die 7. Tür

von: veloträumer

die 7. Tür - 07.12.13 12:41

Amerikanische Zensoren wollten die Adventsengel am Türöffnen hindern, ich habe sie jetzt vorübergehend in die Büsche geschlagen. böse

VIA DINARICA – STEP BY STEP

!!! Technische Anmerkung: Nach den jeweiligen Leseblöcken der insgesamt 10 Kapitel findet ihr jeweils ein Bild, das eine Bildergalerie zum zugehörigen Kapitel öffnet. Die Bilder sind auf 1600 Pixel auf der längsten Achse skaliert, sodass die Querformate auch auf großen Bildschirmen annähernd formatfüllend dargestellt werden können. Selbstverständlich erfolgt auf kleineren Bildschirmen eine automatische Anpassung. Manchmal dauert der Bildaufbau ein paar Sekunden. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Bilder anzuschauen:

(1) Per Klick (Lightbox), empfohlen: Das jeweilige Bild anklicken (es handelt sich nicht um das erste Bild der Galerie, sondern um ein „Einladungs“-Bild zur Region). Danach erscheint das erste Bild der Galerie. Es ist sinnvoll, das Vollbild durch Drücken der Taste F11 zu erzeugen (erneut F11 für Vollbild aufheben). Zum Durchklicken bitte den Pfeil rechts (oder links für zurück) benutzen. Leichtes Bewegen der Maustaste macht die Dateinamen sichtbar (im Bild links unten), die teils Ortshinweise enthalten. Die automatische Diashow- bzw. Vollbild-Funktion des Fotohosters (flickr) funktioniert auf dieser Ebene aktuell nicht. Das Klicken auf die Bildmitte bzw. den Pfeil untere Mitte daher vermeiden!

(2) Diaschau: Das jeweilige Bild anklicken. Danach die ESC-Taste drücken. Rechts unten erscheint ein Symbol mit drei Punkten. Dort draufklicken, es erscheint ein Auswahlmenü, dort Diaschau anzeigen klicken. Es erscheint unten rechts ein Symbol zum Vergrößern der Ansicht (Vollbild). Dort drauf klicken (ESC für zurück). Bei Mausbewegung erscheint unten der Filmstreifen des Albums und oben eine Menüleiste. Dort rechts oben Info anzeigen anklicken. Es erscheint folgend immer automatisch der Dateiname (und noch ein paar andere Infos) bei automatischer Bildfolge. Ich finde, dass hier der Infokasten unschön ins Bild reinragt.



KAPITEL I
Prolog in Bosnien: Quellidyll out of Sarajevo, Schneebergpanorama und Erdpyramiden

Musik: Goran Brégovic aus Sarajevo ist der nationale Popheld der Bosnier. Sein Ruhm begann bereits im Tito-Jugoslawien mit der Rockband Bijelo Dugme. Vom Krieg vertrieben, erarbeitete er sich in Paris Weltruhm als Filmkomponist. Auch vor dem Grand Prix d’Eurovision machte der gelernte Bassist als Komponist nicht halt. Sein wohl wichtigstes Projekt zur Balkanmusik liefert er mit seinem Wedding & Funeral Orchestra, einer Blechbläser-geprägten schrägen Mixtur aus kitschigem Balkanpop, pathetischer Folklore und kratzendem Zigeunerswing. Als Einstimmung ein recht authentisches Traditional: Goran Bregovic „Ederlezi“ (4:01 min. – allerdings Werbung vorgeschaltet!).

Sa 15.6. Stuttgart – Flughafen LE 17:50 || 19:20 h (ca. 21 h, Verspätung) Flughafen Sarajevo – Ilidza
32 km | 14,3 km/h | 2:16 h | 250 Hm (bezieht sich wesentlich auf die Stuttgarter Flughafenanfahrt, daher nicht in den Gesamtdaten der Reise berücksichtigt)
W: Sarajevo stark bewölkt, nachts 20-21 °C
E (Ilidza-Zentrum): Pizza, Bier ~7 €
Ü: C Oaza Ilidza 10 €

So 16.6. Ilidza – Bosna-Quellen – Hrasnica – Krupac – Trnovo – Rogoj (1163 m) – Dobre Polje – Ockkvalje – Donji Budanj – Skravnik (835 m) – Susjesno – Foca – Brod – Prhalj
115 km | 14,1 km/h | 8:02 h | 1370 Hm
W: sonnig, warm
E (Camp/SV): Brot, Käse, Bier 1-2 KM, eingeladen, Slibowitz
Ü: C Tara-Rafting-Camp No. ?, Hütte 0 KM, eingeladen

Da mein Flug erhebliche Verspätung hatte und die Entpackungsorgie des Fahrrads ein gutes Stück Arbeit war, erübrigte sich jedwede Überlegung, vielleicht doch einen Abstecher in die Hauptstadt Sarajevo zu machen. Geplant hatte ich das ohnehin nicht, denn es bräuchte ja schon mindestens eine halben Tag, einen richtigen Eindruck von der Stadt zu erhalten. Immerhin verlockt das Vielschichtige dieser Stadt, von der Juli Zeh in ihrem Reisebericht „Die Stille ist eine Geräusch“ das folgende Bild entwirft: „Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt … begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt.“ So wird der eine oder andere Leser auch überrascht sein, dass ich die Tour, ohne einen Blick auf die aufstrebende Metropole des Landes zu werfen, gleich ins Ländliche hinein begonnen habe.

Der Flughafen liegt eigentlich schon in der Vorstadtgemeinde Ilidza, wo sich ein großräumiger Campingplatz mit zahlreichen festen Hütten bzw. Ferienwohnungen befindet. (Die Sanitäranlagen sind eher bescheiden, Campingpreis erscheint für Sarajevo angemessen, für die Qualität weniger.) Zuvor durchfährt man den Stadtkern von Ilidza, ein ziemliche quirlige Vorstadt – nicht zuletzt mit einem besseren Viertel mit Wellnesseinrichtungen, Freizeitparks und Hotels für Besserverdienende. Meine eigentliche Idee war es, nach dem Zeltaufbau die Tropical-Therme aufzusuchen, die an Samstagen sogar bis 2 Uhr nachts geöffnet hat. Nachdem ich mich auch noch etwas verfahren hatte, da geradeaus in Bosnien eher nicht geradeaus bedeutet (gilt für Schilder wie auch für Auskünfte von Einheimischen, von denen auffallend wenige des Englischen mächtig waren), zog sich das Zeltprozedere bis weit nach 22 Uhr hin, sodass ich die Lust auf den Thermenbesuch verloren hatte – zumal ich als früh erwachender Radreisender die nächtliche Schlusszeit nicht wirklich ausschöpfen könnte.

Das Camping-Restaurant hatte längst geschlossen, außerhalb hingegen drängten sich noch Menschen in einigen schön gelegenen Biergärten und Bistros. Trotz des anhaltenden Sommernachtsbetriebes waren aber überall schon die Küchen geschlossen, so fuhr ich noch in die Stadt. Dort drängelte sich Partyvolk in sexy Outfits zu Technoklängen bei Alkodrinks direkt neben Muslimen in keuchen Verschleierungen in alkoholfreien Kneipen mit Orientgesäuselmusik, wo gelegentlich bärtige Herren an Wasserpfeifen zapften. Multikulti pur, wenn man so will, aber auch schon wieder befremdlich, wenn man nicht zu sagen weiß, ob sich solches Nebeneinander durchaus verschiedener Weltanschauungen auf Dauer verträgt. Richtige Restaurants gibt es auf der teils überquellenden Partymeile aber keine, Fastfood schon eher. Der Hit war dann das 0%-Bier zur Pizza – hatte ich doch unwissend eine muslimische Zapfstelle erwischt. Wäre es kalt gewesen, hätte es sogar geschmeckt. Bei einem Rundgang durch das laut-hektische Nachtleben musste ich feststellen, dass das nicht wirklich meine Welt ist – egal welches kulturelle Vorzeichen.

Mag Sarajevo eine Attraktion sein – besser als diesen stimmungsvollen Morgen in leichten Nebelschwaden in der Allee mit wienerischem Fiakerverkehr zur Bosnaquelle hätte ich die Tour nicht eröffnen können. Die Bosnaquelle ist ein idyllisches Freizeitparadies für gestresste Städter – weitläufige Parkanlagen, teils mit blumenreicher Gartenkultur, teils mit wild belassenen Bereichen, großen Wiesenflächen, aber auch Ausflugslokalitäten. Das Wesen des Parks besteht jedoch aus seinen Wasserflächen, die ausgehend von der fast unscheinbaren, aus dem Berg Igman kommenden Karstquelle (gleich das Thema der Reise getroffen!) ein Netz von Bächen und Teichen bilden, zahlreiche Bogenbrücken verbinden die Wege dazwischen – Schwäne, Wasseramseln beim Morgenturteln. Die Stimmung zu dieser frühen, noch unbesuchten Morgenstunde ist unbeschreiblich – ich versuche es mal in Englisch: a place of pure tranquility and remote beauty.

Ohne komplett nach Ilidza zurückzuradeln, kann man auf einer Nebenstrecke durch Ödland, Felder und kleine Orte unweit der Berghänge zur Rogoj-Passstraße fahren, auf die man dann einmündet, ohne städtische Außenbezirke von Sarajevo zu berühren. Man sollte neben einer Karte auch etwas Orientierungssinn haben, denn allzu viele Schildhinweise gibt es nicht. Besser gesagt: Weder die Bosnier noch die Montenegriner haben das Schilderwesen erfunden. Ortsbestimmungen im ländlichen Raum werden schon mal zum Ratespiel. Besser sieht es mit der Versorgung an Sonntagen aus. Viele der kleinen Minimarkets haben geöffnet und bieten ein mehr oder weniger ausreichendes Sortiment zur Selbstverpflegung an.

Ob an Wochentagen auf der Rogoj-Passstraße mehr Betrieb ist, vermag ich nicht zu sagen – sonntags ist es jedenfalls recht idyllisch. Im unteren Teil gibt es noch mehr Verkehr, ein Teil fließt dann in Richtung Igman und dem Wintersportgebiet Bjelasnica, ein weiterer Teil beendet sein Fahrten im letzten größeren Bergörtchen Trnovo. Landschaftlich durchfährt man zunächst eine kleinere Schlucht, passiert zwei angestaute Seeflächen, die zum Fischfang genutzt werden und erhascht einen recht eindrucksvollen Blick auf die Schneekuppen von Bjelasnica, den man auch nochmal von der großen Kehre zum Pass im Gesamtpanorama des Tales genießen kann.

Die Passhöhe steht im Zeichen des Balkankrieges – ein verfallenes, ausgebranntes Haus, ein junges Mahnmal der Toten – leuchtende Wiese umher, Wanderwege zweigen ab. Auf der Südseite folgen nach Panorama und Wald mehrere Schluchtpassagen, teils bewegt sich die Straße annähernd auf Flusshöhe. So hat man auch Gelegenheit Badeplätze zu finden, wenngleich diese versteckt sind und die meisten Flussteile unzugänglich sind. Für den Abzweig zum Skravnik-Pass ist wieder Intuition gefragt. Zur schlechten Beschilderung kommt noch eine wenig Vertrauen erweckende Straße mit einer schwer durchschaubaren Topographie, man glaubt in eine Feldwegsackgasse einzufahren. Trotz Besiedlung finden sich selten Leute zum Fragen. Ein Junge kann mir bedingt helfen, quasselt etwas von Pyramiden. Pyramiden – bin ich in Ägypten? verwirrt

Ja tatsächlich, nach dem Wirrwarr einiger Kreuzungen fühle ich auf dem richtigen Weg – allerdings Piste, der Asphalt endet wider Erwarten. Bald wird das Geläuf zunehmend schlechter, bleibt aber fahrbar. Und dann auch tatsächlich Pyramiden: Erdpyramiden – wie aus dem Nichts stehen dort einige Sandsäulen in einem Pastellton zwischen Sandfarben, Ocker und Rot. Ein von Müll überladender Picknickplatz deutet an, dass es häufiger Besucher gibt. Das ist eine Überraschung für mich – hatte ich solche Skulpturen nicht erwartet. Geheimtipp! Aber anstrengend, denn es geht fortan steiler auf schlechter Piste zur Passhöhe. Farne üppig, oben eingeschränktes Panorama, archaische Bäume, ein paar Häuser – teils unbewohnt, fürs Wochenende gedacht, aus dem Tal hört man mehr Volk, nicht allein also.

Die Ostseite ist weniger attraktiv, durchschnittliche Vegetation, alsbald wieder Asphalt und verteilte Häuser in den Hängen, zu Tal der Blick schon auf die Drina. Foca ist für sein Altstadtviertel bekannt, welches aber ungünstig aufwärts im oberen Stadtbereich liegt. Nachdem ich eingangs Foca bemerkt hatte, dass ich ja mein Ladegerät für die Kameraakkus vergessen hatte, senkte sich mein Gemütspegel so deutlich, dass ich die Lust an irgendwelchen Besichtigungen verlor. Auch gab es wider Erwarten keinen Camping in Foca (falsch auf Karte eingezeichnet, erst einige Kilometer Drina-abwärts), sodass ich mich zur Weiterfahrt entschloss. Dabei ließ ich einen Camping mit Restaurant liegen, legte mich frustriert in die Pedalen. Zudem hatte ich für den nächsten Tag eine eher zu schwierige Etappe geplant – jeder Kilometer heute war gut für morgen. So erreichte ich bei stetigem Auf und Ab ein Rafting-Camp etwa 2-3 km von der Grenze entfernt. Zu essen gab es da eigentlich nichts, der Wirt machte mir ein wenig Aufschnitt – nicht gerade eine Offenbarung nach der schon wenig erquicklichen Pizza des Vortages. Dann kam das, womit nach den Erzählungen und Legenden anderer Balkanreisenden rechnen muss: Einladung, Slibowitz-Wettkampf zwischen tschechischen BMW-Bikern und dem bosnischen Campingwart, dazwischen ein misslauniger, gebeutelter, von Selbstzweifeln geplagter deutscher Pedaleur, der eigentlich nur ein schmackhaftes Abendmahl haben wollte.

Der Bosnier hatte nur käuflichen, marktgenehmen Slibowitz zu bieten, die Tschechen hingegen glänzten mit selbstgebranntem Stoff – der war schon eine Spur härter. Auch hier wieder: Es ist nicht so recht meine Welt, Gastfreundschaft hin oder her – heldenhafte Radlergeschichten hin oder her. Immerhin, mit den Tschechen konnte ich mich ganz gut unterhalten, der bosnische Campingwart konnte hingegen kein Englisch. So ganz trinkfest waren die Tschechen aber auch nicht, so bleibt alles noch im Rahmen. Schließlich hatten sie selbst auch ehrgeizige Pläne mit einigen Pistenfahrten Richtung Albanien. Der Einladungsdeal sah schließlich vor: Ich zahle das Bier, das magere Abendbrot wie der Campingplatz ist gratis. Ich überlasse ihm mehr als verlangt – umgerechnet ca. 2,50 € – da legt er zum Schluss nochmal fast schlechten Gewissens etwas drauf, weist mir nach dem Duschen eine Hütte zu, kann mein Zelt in der Tasche lassen. Zu guter letzt eine gemischte Bilanz aus Bosnien, sicherlich etwas getrübt vom Eigentor des vergessenen Ladegerätes.

Bildergalerie zu Kapitel I (50 Fotos):



Fortsetzung folgt