Re: Komoot Höhenmeter Planung vs. Aufzeichnung

von: veloträumer

Re: Komoot Höhenmeter Planung vs. Aufzeichnung - 24.06.20 13:25

Etwas metaphysischer betrachtet sehe ich drei Grundprobleme:

1) Zuviele Daten in vielen falschen Händen

Höhenmeterdaten habe früher (vor GPS-Zeit am Velo) nur wenige mit einem speziellen Tachos erfasst bzw. Karten genau ausgelesen und berechnet. Hm-Tachos waren Luxus. Die meisten, die das taten, hatten auch eine reale Vorstellung von der Größe - etwa darüber

- eine Landschaft, eine Tour einzuschätzen, wieviel Hm sie hat

- einen Datenabgleich mit wichtigen Höhendaten (Tief- und Hochpunkte) auf Landkarten bemüht zu haben

- ein Gefühl zu entwickeln, wie sich 1000 Hm gemäß physischer Belastung anfühlen, und zwar in Summe mehrerer Anstiege auf Hügelstrecke oder am Stück an einem Berg

- ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie sich Hm unterschiedlich anfühlen je nach Steigungsgrad

- ein Gefühl für Hm-Teilwerte eines Berges/einer Etappe und für Durchschnittswerte einer Gesamttour

Dem ist heute nicht mehr so. Fast jeder Dorfdepp besitzt heute eine GPS-Gerät und/oder benutzt digitale Planungstools, die ein Höchstmaß an Daten ausspucken, ohne deren Sinn zu erklären und ohne die Genauigkeit einzuschätzen. Auch bereits grafisch ausgewertete Höhenprofile gehören dazu, weil diese stets auf nicht normierten x-Achsen präsentiert werden. Das Wissen und Gefühl für diese Daten wurde aber nicht erlernt bzw. erfahren. Kritische Nachbetrachtungen entfallen, weil man ja alles "weiß". Und was früher einen gar nicht interessiert hat, ist auf einemal in jeder Munde. Die Datenfülle ist aber kein Qualitätsmerkmal. Dazu gehört auch, dass man heute die Daten alle schon vorher über Planungstools erhält, jedoch ohne die Topografie aus eigener Anschauung zu kennen, also auch keine Vorstellung vom Wahrheitsgehalt.

2) Digitale Werte haben den Mythos genauer zu sein als analoge

Das fängt mit dem Nimbus der Satellitentechnik an, der man ein hohe Genauigkeit unterstellt. Tatsächlich hängt auch dort vieles von den Rahmenbedingungen ab, die oft nicht gegeben sind. In der Meteorologie werden sogar teils genaueste Lokaldaten abgeschafft (Wetterstationen), weil man digitalen Berechungssystemen mehr zutraut und größere Lücken von effektiven Messdaten zulässt. Tatsächlich gehen dadurch Daten verloren, die durchaus systemrelvant sein können, aber deren Nutzen man derzeit nicht sieht.

Es setzt sich aber fort über die digitalen Karten, die den Eindruck beliebig genau zoombarer Details vorzugaukeln, ohne jedoch über die Fehlerquellen zu informieren. Jede Analogkarte vermittelte schon optisch und durch den Maßstab eine Vorstellung, wie genau sie sein könnte (gewiss lauern hier auch immer Fehler, die man nicht ahnen kann). Diese Metainformationen gehen im Digitalen verloren.

Andererseits erscheinen barometrische Messungen schwammig, weil sie Luftdruck bzw. Wetter abhängig sind, was den Eindruck verstärkt, nicht so genau wie "exakte" Digitalwerte zu sein. Die allbesagte Luftdruckschwankung wird für Messungen beim Radfahren überschätzt. Tatsächlich treten starke Luftdruckwechsel selten so auf, dass sie wirksam werden, weil das Fahrrad recht langsam fährt (vor allem, weil es vornehmlich um akkumlierte Bergauf-Hm geht und nicht um absolute Höhenwerte) und man bei Wettereinbrüchen sogar oft die Fahrt unterbricht (Sturm, Regen, Gewitter).

Wir kennen das auch von der Uhr (oder auch Thermometer). Ein Digitalanzeige einer Uhr wird als genauer wahrgenommen als eine Zeigeruhr mit nur wenigen Einteilungen auf dem Ziffernblatt. Tatsächlich entscheidet über die Genauigkeit aber, wie genau die Uhr eingestellt wurde, ggf. auch das Uhrwerk usw. Nur kann man an der analogen Uhr die Genauigkeit nicht so gut ablesen.

3) Digitale Höhenmeterdaten sind kaum vergleichbar

Es macht wenig Sinn, ausgefeilte mathematische Methoden oder oder Messanordnungen zu benutzen, die vereinzelt sogar genauer sein können als einfache Vergleichsmethoden, wenn sie an anderer Stelle zu extremen Fehlern führen. Anders gesagt, das wirksamte Messinstrument ist das, dass an jedem Ort der Welt im Durchschnitt die relativ geringsten Ungenauigkeiten erzielt.

Durch verschiedene Höhenmetermodelle und Messmethoden werden weitgehend nicht vergleichbare Daten erzeugt, die zudem sogar noch im gleichen Methodesystem schwanken, z.B. bei unterschiedlicher Topografie unterschiedlich sensible Daten erzeugen. Stellt z.B. Komoot mal ein recht genaues Datum der Höhe fest, scheitert es an einer anderen Route weit kläglicher, ohne dass dies ersichtlich ist. Eine theoretisch Erklärung erläutert zwar, warum das so sein kann, aber nicht wann ein großer oder kleiner Fehler tatsächlich auftritt.

Wechselt man noch die Systeme noch, wird es noch wilder. Eine jüngst von mir nachgeprüfte Strecke im Oberen Donautal auf 136 km erzeugte bei Komoot knapp 1000 Hm, die weit über der Realität liegen dürfte (auch wenn die Strecke nicht ganz flach ist). All Trails spuckte mutige gut 3000 Hm aus. Doch wird dieser Unterschied auch bei einer anderen Route so sein? Keiner weiß das.