Re: Umfrage Alter der Mitglieder 2019

von: veloträumer

Re: Umfrage Alter der Mitglieder 2019 - 12.03.19 13:10

In Antwort auf: Martina
Eigentlich dachte ich immer, dass es genau dem Zeitgeist entspricht, Leiden rein zum Spaß mit immer größerem Aufwand zu erzeugen, siehe Bungee Jumping und ähnliche Auswüchse. Früher *tm* haben wir wenn wir leiden wollten morgens kalt geduscht und nachts im ungeheizten Zimmer geschlafen....

Aber mal ernsthaft: das heldenhafte Antreten des Abenteuers Radreise erledigt sich *viel* einfacher, wenn man ein gewisses Alter, das hoffentlich mit einer gewissen Lebenserfahrung und meistens mit dem entsprechenden finanziellen Polster verbunden ist erreicht hat und ganz genau weiß, dass man viele der üblichen auftretenden Probleme mit Hilfe von Smartfon und Kreditkarte lösen kann.

Das ist vielleicht schon die neue Abenteuergeneration oder du gehörst bereits zu dieser Gruppe oder es gab eine solche schon immer neben anderen Gruppen. Ich kann mich nicht erinnern, irgendein Problem auf einer Radreise mit Smartphone (hatte ich bis vor kurzem gar nicht) oder mit Kreditkarte gelöst zu haben (obwohl stets genutzt zur Geldbeschaffung). Auch fehlt mir die Fantasie, mich als wohlhabend zu bezeichnen - zumindest in Relation zur hiesigen Gesellschaft, und mit den Jahren mit abnehmender Kurve. Probleme hatte ich doch einige auf Reisen, auch sehr kritische. Offenbar sind doch manche Probleme auf Radreise solcher Natur, die bei der jüngeren Abenteuergeneration nicht so ganz hoch im Kurs stehen oder abschrecken (z.B. längere schlechte Witterungsbedingungen, harte Kompromisse bei Unterkünften & Komfortverzicht, körperliche Schmerzen überwinden etc.). Das dürfte nicht alle Radreisenden so sehr betreffen, auch nicht in der Vergangenheit, aber eben doch den harten Kern, derer ich im Forum viele vermute.

Was den Abenteuerspaß eingangs deines Postings betrifft, dürfte dir doch klar sein, dass Abenteuer und Abenteuer zwei verschiedene Dinge sein können. Das funsportorientierte Abenteuererlebnis jüngeren Freizeitverhaltnes ist mehr mit dem ultimativen Adrenalin-Kick als mit ausdauerndem Leiden verbunden. Ich würde auch nie ein Karusell auf dem Cannstatter Wasen betreten, dazu fehlt mir der Mut. Aber die meisten Karusellkreischer dürften den Mut verlieren, wenn sie mich auf Radreise begleiten müssten.

Diese Funsport-Erlebnisse sind durchaus im Einklang mit zeitgemäßen Schnelllebigkeit von Medien, Beruf und Alltag. Nicht zuletzt beklagen das Vereine und Trainer in traditionellen Sportrichtungen (sogar inkl. Fußball), dass der ausdauernde Ziel- und Leistungsaufbau - oder hier dem Radreisen zugewandt - der ausdauernde Komfortverzicht ohne eine spektakulären schnellen Kick - ein Zeitphänomen ist. Bis das Glückserlebnis eintritt, muss man länger geduldig ausharren - das ist nicht jung & sexy.

Selbst innerhalb des Radsports werden solche Adrenalin-Kick-Verkürzungen gesucht, etwa mit MTB-Parks mit schwierigen Parcours, zu denen auch Sporttouristen von weit her anreisen oder das Downhill-Biken mal generell. Die Organisation und Ausdauer einer Radreise wäre diesen Gruppen häufig zu leidensstark, auch Rennradfahrer, die ich unterwegs auf Reisen traf, haben mir das schon häufig so bekundet. Leiden tun sie ja auch bei ihrem sportlichen Ehrgeiz, aber eben doch in einer kleiner Komfortwanne, abends wieder zuhause zu sein, kein Gepäck am Rad zu haben. Es gibt sogar im Forum "Hybridfahrer", die ja dieses Gepäck-durch-Landschaft-Kurven als lästig bis unzumutbar halten. Das reicht von den getarnten radreisenden Rennradlern, über die wiedererstarkten Bikepacker bis hin zum modernen Leidensbegrenzer des E-Motors.

Ganz neu ist es natürlich nicht, Radreisen als solches ist noch nie Massenbwegung gewesen, und noch nie ein Domäne der Jugend. Sogar ich als Fast-immer-Radfahrer habe das Radreisen erst sehr spät für mich entdeckt (37-jährig), endgültig bestätigt und zugwandt dann nochmal ein paar Jahre später. Dabei spielt auch immer eine Rolle, inwieweit die Umgebung das erlaubt (familiär, beruflich usw.), manch potenzieller Forumsneukunde ist da schon wieder abgesprungen. Neben dem Leidensaspekt ist es auch der Erlebensaspekt, der Jugend abschreckt. Dass sich das langsame Fortbewegen und Erleben als sogar sehr nachhaltiger Adrenalinkick entwickeln kann, muss man erst erfahren oder lernen, vielleicht auch die Geduld als Grundeigenschaft mitbringen, die manchmal dem jüngeren Menschen fehlt, in der digitalen Neuzeit sicherlich noch mehr.

Die Lage ist aber nicht aussichtslos, denn Gegenströmungen gibt es zu allen Zeiten und immer wieder. Radreisen ist also nicht bedroht, dürfte aber auf hohem Niveau erstmal für einige Zeit stagnieren.