von: Yann201
Erfahrungen mit Rennstahl / Falkenjagd - 29.06.23 07:36
Liebe Community,
Selber besitze ich nun mit meinem Reiserad von Rennstahl eine starke Leidensgeschichte.
Dies ist größtenteils nicht auf das handwerkliche Produkt zurückzuführen, welches sehr schön verarbeitet und meist durchdacht ist, sondern wie mit mir als Kunde von Anfang an umgegangen wurde.
Akt 1:
Mit dem Einstieg in den Job war die Bereitschaft groß ein "Rad fürs Leben" zu kaufen. Wenige Marken erfüllten die Voraussetzungen für mich. Mit 2,01m, 115KG und Schuhgröße 51 war es mir von Anfang an klar "Das könnte schwierig werden".
Die Beratung fand direkt in Garching vor Ort statt. Mir wurde versichert, dass deren größtes Modell passend für mich sei. Da ich bis dato nur wenig Erfahrungswerte mit einem "Reiserad" hatte und aus der Probefahrt wenig herauszulesen war, vertraute ich dem dortigen Personal. Eine Einstellung auf meine Körpergröße oder andere Serviceleistungen existierten nicht.
18.000km später muss ich sagen: Das Rad ist deutlich zu klein für mich. Nur der größte und stärkste Vorbau von by.schulz in Verbindung mit einem 100mm Rise Lenker gab Abhilfe.
Hinzu kommt, dass ich aufgrund meiner Schuhgröße die hintere Achsaufnahme oft als Fußraste verwenden kann. Der Rahmen von S zu XXLwächst nicht mit. Nur Ober-, Unter- und Sitzrohr werden aufgepustet.
Akt 2:
Während der eben erwähnten 18.000km zeigten sich schnell Grenzen dieses Fahrrads:
1. Die Bremsleistung der verbauten Bremse beim zulässigen Systemgewicht ist erschreckend. Auf Reise mit insgesamt 170kg Systemgewicht, war die Bremsleistung bei 10% Steigung bergab kaum in der Lage mich sicher zu verzögern. Das mag extrem subjektiv sein, gebe ich zu, aber erst das Nachrüsten auf eine 220mm Scheibe von der verbauten 180mm, gab mir die Möglichkeit sicher zu sein.
2. Der Rahmen inkl. Schutzbleche und Lowrider wurde mir in der 27,5+ Version, als Fahrrad vorgestellt, welches ohne Probleme 3 Zoll Reifen fahren kann. Aber leider wurde mir schnell klar, dass wenn ich abseits der befestigten Wege (beispielsweise Skandinavien) unterwegs sein möchte, bei 2,6 Zoll Schluss ist. Sicher vollkommen ausreichend, aber in erster Linie geht es mir um die Art und Weise mit welchen "Versprechungen" das Rad angekündigt wurde.
3.In einem Vorstellungsvideo von Rennstahl wird darauf hingewiesen, dass man den Slider, welcher für die Riemenspannung und -linie verantwortlich ist, auf keinen Fall "anfassen" sollte. Nunja, was aber, wenn der Slider beim Antritt am Berg sich trotz vorheriger Überprüfung der Drehmomente löst und eingestellt werden muss, weil man ansonsten ein Zugticket lösen darf?
Nach einem Telefonat mit Rennstahl, erklärte man mir ,dass dies unmöglich sei und unterstellte mir Vorsatz. Danke an dieser Stelle.
4. Wo bergab die verbaute Bremse ein Nadelöhr ist, ist es bergauf die Rahmengeometrie. Da ich aufgrund meiner Schuhgröße die Packtaschen weit hinten platzieren muss, den Sattel sehr hoch, fährt es sich ab 10% Steigung extrem unangenehm. Regelmäßig kommt mir der Lenker entgegen und ich ziehe bergauf Wheelies, welche mein MTB neidisch machen. Um dem entgegenzusteuern benötige ich eine massive Gewichtserhöhung auf der Vorderachse und ein Kissen auf meinem Lenker, da ich mich meist auf ihm hinlege.
Akt 3:
Die Fahrräder von Rennstahl & Co. haben viele speziell für diese Fahrräder produzierte Bauteile. Diese proprietären Teile sind im Sinne des Gesamtkonzepts dienlich, allerdings verhindern sie, dass man sich aus dem Sekundärmarkt Ersatz beschaffen kann.
Meine bisherigen Bemühungen einen 1 zu 1 Ersatz für Verschleißteile (z.B. Schrauben des Sliders, Schutzbleche, usw.) über Rennstahl selber zu bekommen, blieben erfolglos. Trotz Kontaktaufnahme per Telefon oder Email verwies man mich immer auf die "Zukunft". Mittlerweile wird einem ein extrem teurer Service angeboten, mit dem die Fahrradwerkstatt meines Vertrauens sich eine goldene Nase verdienen würde.
(Bsp. 40€ Ölwechsel des Piniongetriebes --> Arbeitszeit 3 Minuten; Materialkosten 3-4€)
Akt 4:
Stand heute freue ich mich nach der Odyssee immer noch Fahrrad zu fahren und fernab des Trubels Natur und Freiheit zu genießen. Schafft es das Rennstahl?
Ja und Nein.
Ja, weil der Großteil der Komponentenauswahl mir die Möglichkeit dazu gibt.
Nein, weil nahezu alles was "Rennstahl" gebrandet ist, mir oft Sorgenfalten auf die Stirn zaubert.
Abschließende Gedanken:
Wäre das bei einem anderen Fahrradhersteller anders?
Ich weiß es nicht, da ich mir bewusst bin, dass ich mit meinem Körper Extreme fordere.
Hätte ich mir die Zeit nehmen sollen für einen Maßrahmen?
Ja. Doch viele Ideen und Wünsche entwickelten sich erst aus den Erfahrungen mit diesem Fahrrad, so dass ich nun weiß, was ich brauche und benötige.
Bin ich enttäuscht, wie mit mir als Kunde umgegangen wurde?
Defintiv. Nicht nur der Start, sondern auch der laufende Service ist bei vielen Herstellern und Händlern in diesem Preissegment um Welten besser. Klar wird mir dies immer und immer wieder durch Berichte von Freunden, Kollegen und der Familie.
Kann ich die Marke weiterempfehlen?
Nicht nur aus den aufgelisteten persönlichen Gründen nicht, sondern auch aus Sicht der Unternehmensentwicklung. Für mich war und ist Nachhaltigkeit im Vordergrund. Die Firma schrieb sich dies nun, mit ihrer Zusammenführung zu 1Bike4Life, erneut auf die Flagge. Nachdem man aber nun einen riesen Fokus auf Carbonentwicklung legt, empfinde ich dies als Green-Washing par excellence.
Was sagt mein Umfeld dazu?
Sowohl meine Fahrradhändler, als auch Personen, welche ebenfalls solche Fahrräder der Marke Rennstahl, Falkenjagd und Parapera in meiner Umfeld fahren oder damit arbeiten, berichten mir Ähnliches.
Ich würde ich freuen, wenn ich andere Meinungen und Perspektiven dazu lesen darf. Gerne auch meinen Punkten widersprechen oder untermalen.
Danke schon mal im Voraus!
Jan
Selber besitze ich nun mit meinem Reiserad von Rennstahl eine starke Leidensgeschichte.
Dies ist größtenteils nicht auf das handwerkliche Produkt zurückzuführen, welches sehr schön verarbeitet und meist durchdacht ist, sondern wie mit mir als Kunde von Anfang an umgegangen wurde.
Akt 1:
Mit dem Einstieg in den Job war die Bereitschaft groß ein "Rad fürs Leben" zu kaufen. Wenige Marken erfüllten die Voraussetzungen für mich. Mit 2,01m, 115KG und Schuhgröße 51 war es mir von Anfang an klar "Das könnte schwierig werden".
Die Beratung fand direkt in Garching vor Ort statt. Mir wurde versichert, dass deren größtes Modell passend für mich sei. Da ich bis dato nur wenig Erfahrungswerte mit einem "Reiserad" hatte und aus der Probefahrt wenig herauszulesen war, vertraute ich dem dortigen Personal. Eine Einstellung auf meine Körpergröße oder andere Serviceleistungen existierten nicht.
18.000km später muss ich sagen: Das Rad ist deutlich zu klein für mich. Nur der größte und stärkste Vorbau von by.schulz in Verbindung mit einem 100mm Rise Lenker gab Abhilfe.
Hinzu kommt, dass ich aufgrund meiner Schuhgröße die hintere Achsaufnahme oft als Fußraste verwenden kann. Der Rahmen von S zu XXLwächst nicht mit. Nur Ober-, Unter- und Sitzrohr werden aufgepustet.
Akt 2:
Während der eben erwähnten 18.000km zeigten sich schnell Grenzen dieses Fahrrads:
1. Die Bremsleistung der verbauten Bremse beim zulässigen Systemgewicht ist erschreckend. Auf Reise mit insgesamt 170kg Systemgewicht, war die Bremsleistung bei 10% Steigung bergab kaum in der Lage mich sicher zu verzögern. Das mag extrem subjektiv sein, gebe ich zu, aber erst das Nachrüsten auf eine 220mm Scheibe von der verbauten 180mm, gab mir die Möglichkeit sicher zu sein.
2. Der Rahmen inkl. Schutzbleche und Lowrider wurde mir in der 27,5+ Version, als Fahrrad vorgestellt, welches ohne Probleme 3 Zoll Reifen fahren kann. Aber leider wurde mir schnell klar, dass wenn ich abseits der befestigten Wege (beispielsweise Skandinavien) unterwegs sein möchte, bei 2,6 Zoll Schluss ist. Sicher vollkommen ausreichend, aber in erster Linie geht es mir um die Art und Weise mit welchen "Versprechungen" das Rad angekündigt wurde.
3.In einem Vorstellungsvideo von Rennstahl wird darauf hingewiesen, dass man den Slider, welcher für die Riemenspannung und -linie verantwortlich ist, auf keinen Fall "anfassen" sollte. Nunja, was aber, wenn der Slider beim Antritt am Berg sich trotz vorheriger Überprüfung der Drehmomente löst und eingestellt werden muss, weil man ansonsten ein Zugticket lösen darf?
Nach einem Telefonat mit Rennstahl, erklärte man mir ,dass dies unmöglich sei und unterstellte mir Vorsatz. Danke an dieser Stelle.
4. Wo bergab die verbaute Bremse ein Nadelöhr ist, ist es bergauf die Rahmengeometrie. Da ich aufgrund meiner Schuhgröße die Packtaschen weit hinten platzieren muss, den Sattel sehr hoch, fährt es sich ab 10% Steigung extrem unangenehm. Regelmäßig kommt mir der Lenker entgegen und ich ziehe bergauf Wheelies, welche mein MTB neidisch machen. Um dem entgegenzusteuern benötige ich eine massive Gewichtserhöhung auf der Vorderachse und ein Kissen auf meinem Lenker, da ich mich meist auf ihm hinlege.
Akt 3:
Die Fahrräder von Rennstahl & Co. haben viele speziell für diese Fahrräder produzierte Bauteile. Diese proprietären Teile sind im Sinne des Gesamtkonzepts dienlich, allerdings verhindern sie, dass man sich aus dem Sekundärmarkt Ersatz beschaffen kann.
Meine bisherigen Bemühungen einen 1 zu 1 Ersatz für Verschleißteile (z.B. Schrauben des Sliders, Schutzbleche, usw.) über Rennstahl selber zu bekommen, blieben erfolglos. Trotz Kontaktaufnahme per Telefon oder Email verwies man mich immer auf die "Zukunft". Mittlerweile wird einem ein extrem teurer Service angeboten, mit dem die Fahrradwerkstatt meines Vertrauens sich eine goldene Nase verdienen würde.
(Bsp. 40€ Ölwechsel des Piniongetriebes --> Arbeitszeit 3 Minuten; Materialkosten 3-4€)
Akt 4:
Stand heute freue ich mich nach der Odyssee immer noch Fahrrad zu fahren und fernab des Trubels Natur und Freiheit zu genießen. Schafft es das Rennstahl?
Ja und Nein.
Ja, weil der Großteil der Komponentenauswahl mir die Möglichkeit dazu gibt.
Nein, weil nahezu alles was "Rennstahl" gebrandet ist, mir oft Sorgenfalten auf die Stirn zaubert.
Abschließende Gedanken:
Wäre das bei einem anderen Fahrradhersteller anders?
Ich weiß es nicht, da ich mir bewusst bin, dass ich mit meinem Körper Extreme fordere.
Hätte ich mir die Zeit nehmen sollen für einen Maßrahmen?
Ja. Doch viele Ideen und Wünsche entwickelten sich erst aus den Erfahrungen mit diesem Fahrrad, so dass ich nun weiß, was ich brauche und benötige.
Bin ich enttäuscht, wie mit mir als Kunde umgegangen wurde?
Defintiv. Nicht nur der Start, sondern auch der laufende Service ist bei vielen Herstellern und Händlern in diesem Preissegment um Welten besser. Klar wird mir dies immer und immer wieder durch Berichte von Freunden, Kollegen und der Familie.
Kann ich die Marke weiterempfehlen?
Nicht nur aus den aufgelisteten persönlichen Gründen nicht, sondern auch aus Sicht der Unternehmensentwicklung. Für mich war und ist Nachhaltigkeit im Vordergrund. Die Firma schrieb sich dies nun, mit ihrer Zusammenführung zu 1Bike4Life, erneut auf die Flagge. Nachdem man aber nun einen riesen Fokus auf Carbonentwicklung legt, empfinde ich dies als Green-Washing par excellence.
Was sagt mein Umfeld dazu?
Sowohl meine Fahrradhändler, als auch Personen, welche ebenfalls solche Fahrräder der Marke Rennstahl, Falkenjagd und Parapera in meiner Umfeld fahren oder damit arbeiten, berichten mir Ähnliches.
Ich würde ich freuen, wenn ich andere Meinungen und Perspektiven dazu lesen darf. Gerne auch meinen Punkten widersprechen oder untermalen.
Danke schon mal im Voraus!
Jan