Re: Rekristallisation

von: ohne Gasgriff

Re: Rekristallisation - 13.10.15 00:54

In Antwort auf: Lord Helmchen
Hat der Schweißer in der Praxis vielleicht irgendeine sonderbare Mischform der Auslagerngsarten gewählt?


Der Schweißer hat wahrscheinlich einfach nur geschweißt. zwinker

Ich habe zu diesem ganzen Themenkomplex auch nur Halbwissen aus längst vergangenen Tagen und muß mich jedesmal neu einlesen, wenn derartige Fragen hochkommen. Ist nicht wirklich mein Metier, also take it with a grain of salt!

"Rekristallisation" erscheint auch mir zunächst mal der falsche Terminus. Die Kristallbildung ist längst abgeschlossen und jetzt kann's nur noch darum gehen, am Gitter rumzubasteln, also "Auslagerung" (Fachterminus, to be used by professionals only! zwinker ). Kristallbildung/-neubildung geschieht nur bei hohen Temperaturen.
Dazu zunächst mal ein paar Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausscheidungsh%C3%A4rtung#Aush.C3.A4rten_von_Aluminiumlegierungen
http://www.bs-wiki.de/mediawiki/index.php?title=Aluminium#Kaltauslagern
http://www.wikipedalia.com/index.php?title=Aluminium/Details

Um das mal halbwegs verständlich zusammenzufassen: Die festeren Alulegierungen sind allesamt übersättigt, enthalten also mehr Legierungsanteile, als bei Raumtemperatur vom Alu in Lösung gehalten werden können. Bei höheren Temperaturen gehen sie jedoch voll in Lösung und bilden Mischkristalle. Aus dieser Temperatur, typischerweise 500°C, wird die Legierung abgeschreckt und enthält dann zunächst auch bei Raumtemperatur dieses Zuviel an Legierungszusätzen in voller Lösung. Das Material ist in diesem Zustand noch weich und verformbar, eignet sich z.B. zum Kaltschmieden oder sonstiger Massivumformung. Die Legierungszusätze diffundieren jedoch mit der Zeit aus, verspannen das Gitter und lagern sich an den Korngrenzen an. Dadurch steigen Festigkeit und Härte. Dieser Prozeß setzt unweigerlich ein, kann jedoch, je nach Legierung, durch Temperatur beschleunigt werden. Genau das bezeichnet man als "Auslagern", entweder kalt oder warm. Legierungen, die warm ausgelagert werden, erreichen innerhalb von 48h den Zustand, den sie kalt erst nach drei Monaten erreichen würden. M.W. kann man jedoch alles, was man warm auslagern kann, genau so gut auch 'ne Weile liegen lassen und kommt am Ende zum gleichen Ergebnis. Vermutlich verläuft die Festigkeitszunahme über diesen Zeitraum auch nicht linear, sondern erreicht schon nach kurzer Zeit Werte in der Nähe des Endzustandes. Und auch kleine Temperaturerhöhungen über 20°C hinaus, also z.B. ein Plätzchen am Heizkörper, beschleunigen den Prozeß.

Jeder Fahrradrahmen hat eine solche Behandlung hinter sich - und Schweißen macht sie unweigerlich kaputt. Aber kaputt ist der Rahmen ja ohnehin, sonst bräuchte man ihn ja nicht zu schweißen. Geschweißt wird in der Praxis alles, solange es nicht um sicherheitskritische Bauteile geht, also z.B. auch das EN AW-7075, in o.g. Wikipedalia-Link ausdrücklich als nicht schweißbar deklariert, solange es nicht gerade um ein Flugzeuglandefahrgestell geht. Ich kann dies jedoch nur aus der beobachteten Praxis berichten und habe im Detail zu wenig Ahnung von den besonderen Problemstellungen beim Schweißen. Klar ist, daß es i.d.R. unmöglich ist, nach dem Schweißen die komplette o.g. Prozedur zu wiederholen. Der Rahmen müßte dazu komplett entlackt, geglüht, abgeschreckt, gerichtet und ausgelagert werden. Da wäre ein Neuer allemal billiger. Klar ist außerdem, daß der Schweißer die Schweißstelle nicht abschrecken kann, um für sie separat den Prozeß einzuleiten. Zwischen warmen und kalten Bereichen gäbe es Bereiche mit Zwischentemperaturen, die dabei ein äußerst unvorteilhaftes, grobes Gefüge bilden würden. Der Schweißer kann letztlich nur schweißen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Der einzige Knopf, an dem er drehen kann, ist die Auswahl des Zusatzwerkstoffes für die Naht, und da nimmt er immer andere Legierungen als die des zu schweißenden Werkstückes.