Re: Kann ein Fahrad "schnell" sein?

von: veloträumer

Re: Kann ein Fahrad "schnell" sein? - 16.03.23 17:23

In Antwort auf: Mikado
Was macht ein Rad schnell?
Natürlich machen das meine Beine, genauer meine ich die Frage, wie bzw wodurch ein Rad meine Kraft möglichst gut in Vorwärtsbewegung umsetzt (insbesondere im Bereich zwischen 20 und 30 km/h, ich meine nicht die Höchstgeschwindigkeit und nicht das Fahren im Bereich um 40 km/h)
...

Zusatzfrage: (auch viel zu allgemein formuliert, aber vielleicht gibt es ja eine sinnvolle Antwort)
Wie sieht eine gute Kombination aus Schnelligkeit und Stabilität (für Reisen und Gepäcktransport) aus?
Oder bewegen wir uns im Bereich der Glaubensfragen?

Glaubensfragen vielleicht nicht, aber deine Frage beinhaltet ein paar seltsame Annahmen. Was ein schnelles Rad schnell macht, findest du bereits im Rennradsport praktisch beantwortet. Für das Reiserad ist das weitgehend unerheblich und damit sind wir bei uterschiedlichen Radeinsätzen und unterschiedlichen Radtypen. Den von dir angebenen Geschwindigkeitsbereich erreiche ich auf Radreise wohl maximal in 10 % der Gesamtfahrzeit. Die restliche Zeit liegen darunter, zuweilen weit darunter. Da gelten dann andere Kriterien für das "schnelle Rad".

Wie unsinngig die Frage ist, zeigt sich wie folgt: Überlege mal, was ein Rad schnell macht, wenn es bei gut 10 % Steigung auf einer rüden Schotterstrecke auffahren soll. Du brauchst fette, griffige Reifen und auch sonst lauter Eigenschaften, die dem Renner auf einer Flachstrecke als Ideal konträr entgehenstehen. Mit einem schnellen Renner schaffst du hingegen die Piste gar nicht. Das gilt sogar fürs runterfahren. Im Zweifel geht es zu Bruch. Ab einem bestimmten Untergrund brauchst du dann auch eine Federung, um schneller zu sein, wirst aber damit wieder schwerer.

Weiterer Denkfehler: Nehmen wir mal dein Geschwindigkeitsvorgabe und ein Rennradmodell als Ideal: Warum schließt du 40 km/h aus? Es gibt Fahrer, die schaffen mit einem identischen Rad vielleicht 25 km/h, andere rasen mühelos mit über 40 km/h damit. Deswegen brauchen die jeweiligen Fahrer auch unterschiedliche Dinge um schnell zu sein: Der starke Fahrer braucht, größere Übersetzungen, um sein Tempo umszusetzen, während der schwächere Fahrer mit einer zu großen Übersetzungen lansgamer wird. Eine große Übersetzung kann also ein Rad schnell machen (notwendige Bedingung), kann es aber auch langsam machen (andere Grundannahme, andere notwendige Bedingung).

Ähniches gilt für Agilität. Manche vermögen die Vorteile eines sehr agilen Rades gar nicht umzusetzen, andere schon. So bringt z.B. eine Wiegetrittbeschleunigung bei Volllastreiserad nahezu nichts, bei einem gepäcklosen Rad sind die Effekte ganz andere. Man braucht also wiederum unterschiedliche Räder, um ideale Schnelligkeit zu erlangen. Ein kleines Ergbnis für deine Zusatzfrage kommt dennoch raus: Bei Gepäckrad spielt die Lastenverteilung eine Rolle, beim gepäcklosen Rad ist das ein vernachlässigbare Größe, sie wird bereits über die Fahrradgeometrie und Sitzhaltung erschöpfend geklärt.

Es gibt noch weit mehr Punkte, die auseinanderfallen, wenn man verschiedene Aspekte betrachtet. Sehr schnell ist man bei solchen Analysen nämlich bei Laborbedingungen und vergisst die Realbedingungen - Beispiel Aerodynamik. Eine optimale Aerodynamik ist unter Realbedingungen ggf. gar nicht zu erreichen, weil die Windbedingungen sich ändern. Das fällt z.B. beim Bahnradfahren weg und dort kann man solche Optimierungsprofile erstellen. Das verliert sich dann in der freien Natur recht schnell und manches gilt nur noch rudimentär oder evtl. gar nicht mehr. Es gibt dazu recht seltsame Experimente, z.B. beim Zeitfahren der Tour de France, wo es mal für die besten Fahrer Sitte war, einen bestimmten Teil der Strecke mit Scheibenrad zu fahren, und für einen anderen Teil auf ein Velo ohne Scheibenrad zu wechseln. Wenn ich mich recht entsinne, sind solche Experimente mittlerweile wieder verschwunden, weil nicht zielführend.

Schlussendlich ist das "schnelle Rad" im Ideal eine komplexe, spezifische mathematische Funktion, die für jeden Fahrertyp, jeden Anwendungszweck, jede Teilstrecke einer Tour unterschiedlich Faktoren und unterschiedliche Parameter. Entsprechend fällt die Vergleichbarkeit über die gesamte Radwelt hinweg aus, man kann sich dabei nur auf kleine Teilfeldern dem nähern. Was ein Rad schnell macht, ist also höchst unterschiedlich.