Rekristallisation

von: michiq_de

Rekristallisation - 12.10.15 17:55


Zitat:
Autor: hansano
Datum: gestern um 22:49
Betreff: Re: Reformationstour am 31.10.2015

In Antwort auf: michiq_de
[zitat] Probefahrt habe ich noch nicht gemacht, ich will wegen der Rekristallisierung noch eine Woche mit der Belastung warten


Für diese Aussage hätte ich gerne eine belastbare Quelle damit ich unsere Schweißer damit konfrontieren kann.

Wäre nett. schmunzel


Hallo,Hansano,
ich habe das mal abgetrennt, da es nicht zum Thema "Reformationstour" gehört.
1. ich habe diesen Hinweis vom Schweißer (Alu) erhalten
2. ein Teilnehmer bestätigte in diesem Link die Wartezeit für das Auskristallisieren
3. bei Google findest Du klick oder Klack oder klickeklack

mfg
Michael
von: Lord Helmchen

Re: Rekristallisation - 12.10.15 19:25

Hi Michael, mich wundert die Sache etwas. Aluminiumlegierungen werden warm oder kalt ausgelagert, und darum scheint es mir hier zu gehen. Bei diesem Vorgang ist die Kristallisierung schon geschehen (passiert beim Abkühlen relativ schnell) - aber die anderen Legierungsbestandteile werden danach gezielt im Kristall ausgeschieden, damit sie Störungen im Kristall ergeben, die das Material widerstandsfähiger (härter, zugfester etc) machen.

Allerdings sind die typischen Fahrradlegierungen alle warmauslagernd; da macht es aus meiner Sicht wenig Sinn, noch 1-2 Wochen zu warten. Eine warm ausgelagerte Legierung sollte meinem Verständnis nach relativ bald belastbar sein, da die Ausscheidungsvorgänge ja eben bei einer bestimmten Temperatur (grob um 150°) schon stattgefunden haben.

Kann hier jemand mit mehr Fachkenntnis Licht ins Dunkel bringen? Hat der Schweißer in der Praxis vielleicht irgendeine sonderbare Mischform der Auslagerngsarten gewählt?
von: ohne Gasgriff

Re: Rekristallisation - 13.10.15 00:54

In Antwort auf: Lord Helmchen
Hat der Schweißer in der Praxis vielleicht irgendeine sonderbare Mischform der Auslagerngsarten gewählt?


Der Schweißer hat wahrscheinlich einfach nur geschweißt. zwinker

Ich habe zu diesem ganzen Themenkomplex auch nur Halbwissen aus längst vergangenen Tagen und muß mich jedesmal neu einlesen, wenn derartige Fragen hochkommen. Ist nicht wirklich mein Metier, also take it with a grain of salt!

"Rekristallisation" erscheint auch mir zunächst mal der falsche Terminus. Die Kristallbildung ist längst abgeschlossen und jetzt kann's nur noch darum gehen, am Gitter rumzubasteln, also "Auslagerung" (Fachterminus, to be used by professionals only! zwinker ). Kristallbildung/-neubildung geschieht nur bei hohen Temperaturen.
Dazu zunächst mal ein paar Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausscheidungsh%C3%A4rtung#Aush.C3.A4rten_von_Aluminiumlegierungen
http://www.bs-wiki.de/mediawiki/index.php?title=Aluminium#Kaltauslagern
http://www.wikipedalia.com/index.php?title=Aluminium/Details

Um das mal halbwegs verständlich zusammenzufassen: Die festeren Alulegierungen sind allesamt übersättigt, enthalten also mehr Legierungsanteile, als bei Raumtemperatur vom Alu in Lösung gehalten werden können. Bei höheren Temperaturen gehen sie jedoch voll in Lösung und bilden Mischkristalle. Aus dieser Temperatur, typischerweise 500°C, wird die Legierung abgeschreckt und enthält dann zunächst auch bei Raumtemperatur dieses Zuviel an Legierungszusätzen in voller Lösung. Das Material ist in diesem Zustand noch weich und verformbar, eignet sich z.B. zum Kaltschmieden oder sonstiger Massivumformung. Die Legierungszusätze diffundieren jedoch mit der Zeit aus, verspannen das Gitter und lagern sich an den Korngrenzen an. Dadurch steigen Festigkeit und Härte. Dieser Prozeß setzt unweigerlich ein, kann jedoch, je nach Legierung, durch Temperatur beschleunigt werden. Genau das bezeichnet man als "Auslagern", entweder kalt oder warm. Legierungen, die warm ausgelagert werden, erreichen innerhalb von 48h den Zustand, den sie kalt erst nach drei Monaten erreichen würden. M.W. kann man jedoch alles, was man warm auslagern kann, genau so gut auch 'ne Weile liegen lassen und kommt am Ende zum gleichen Ergebnis. Vermutlich verläuft die Festigkeitszunahme über diesen Zeitraum auch nicht linear, sondern erreicht schon nach kurzer Zeit Werte in der Nähe des Endzustandes. Und auch kleine Temperaturerhöhungen über 20°C hinaus, also z.B. ein Plätzchen am Heizkörper, beschleunigen den Prozeß.

Jeder Fahrradrahmen hat eine solche Behandlung hinter sich - und Schweißen macht sie unweigerlich kaputt. Aber kaputt ist der Rahmen ja ohnehin, sonst bräuchte man ihn ja nicht zu schweißen. Geschweißt wird in der Praxis alles, solange es nicht um sicherheitskritische Bauteile geht, also z.B. auch das EN AW-7075, in o.g. Wikipedalia-Link ausdrücklich als nicht schweißbar deklariert, solange es nicht gerade um ein Flugzeuglandefahrgestell geht. Ich kann dies jedoch nur aus der beobachteten Praxis berichten und habe im Detail zu wenig Ahnung von den besonderen Problemstellungen beim Schweißen. Klar ist, daß es i.d.R. unmöglich ist, nach dem Schweißen die komplette o.g. Prozedur zu wiederholen. Der Rahmen müßte dazu komplett entlackt, geglüht, abgeschreckt, gerichtet und ausgelagert werden. Da wäre ein Neuer allemal billiger. Klar ist außerdem, daß der Schweißer die Schweißstelle nicht abschrecken kann, um für sie separat den Prozeß einzuleiten. Zwischen warmen und kalten Bereichen gäbe es Bereiche mit Zwischentemperaturen, die dabei ein äußerst unvorteilhaftes, grobes Gefüge bilden würden. Der Schweißer kann letztlich nur schweißen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Der einzige Knopf, an dem er drehen kann, ist die Auswahl des Zusatzwerkstoffes für die Naht, und da nimmt er immer andere Legierungen als die des zu schweißenden Werkstückes.
von: Toxxi

Re: Rekristallisation - 13.10.15 05:06

Danke!
von: JensD

Re: Rekristallisation - 13.10.15 06:59

Nur als kleine Ergänzung- eine Schweissstelle hat eine so schnelle Abkühlung dass sie als abgeschreckt durchgeht. Aber halt nicht definiert und es bilden sich ganz komische Übergangsbereiche.

Schweissnähte in Alu erstmal ablagern lassen ist tatsächlich übliche Praxis und ist bei einem Fahrradrahmen die einzige Möglichkeit da er wohl nie warm ausgelagert werden wird (Platz, Zeit, Lack, usw.).

Viele Grüße von
Jens.
von: GEBLA

Re: Rekristallisation - 13.10.15 07:50

Moin Moin,

man muß da auch noch zwischen den üblichen Legierungen unterscheiden:

6000er Legierungen MÜSSEN nach dem Schweißen lösungsgeglüht, das heißt auf rund 530°C gebracht und dann in Wasser abgeschreckt werden, sonst bleiben sie mehr oder weniger weich. Erst nach diesem Lösungsglühen kommt dann das Warmauslagern. Ohne das bleibt es mehr oder weniger weich. Ich kenne in D keinen, der das komplette Verfahren bei Fahrradrahmen macht.

7000er Legierungen sind anders, da reicht eine Abkühlung an Luft aus, so daß sich die Bereiche der Schweißnaht praktisch automatisch lösungsglühen.
Diese Legierungen KANN man auch kalt auslagern, dann wird nach ein paar Wochen wieder fast die originale Festigkeit erreicht. Der Preis für das Kaltauslagern ist eine hohe Rißempfindlichkeit. Also schreiben alle Rohrhersteller das Warmauslagern in einem zweistufigen Prozeß vor. Dann wird nicht nur die Festigkeit noch höher, sondern auch die Rißempfindlichkeit sinkt deutlich. Wenn man die Auslagerungszeit noch etwas steigert kann man das Material überaltern: Die Festigkeit sinkt wieder etwas, aber die Rißempfindlichkeit sinkt massiv. Wäre meine Empfehlung und mache ich auch bei meinen Rahmen und bei Reparaturen so.
Daß Kaltauslagern nur durch Abwarten eine passable Lösung ist, ist leider Allgemeinwissen im Fahrradbereich und kaum aus den Köpfen zu bekommen. Der Preis dafür ist, daß das Material Aluminium bekannt dafür ist, irgendwann zu reißen. Für eine wirtschaftliche Reparatur kann das OK sein, für einen Neurahmen nicht. Wird natürlich mit entsprechenden Resultaten trotzdem gemacht.

Viele Grüße,
Georg
von: Toxxi

Re: Rekristallisation - 13.10.15 08:54

In Antwort auf: GEBLA
6000er Legierungen MÜSSEN nach dem Schweißen lösungsgeglüht, das heißt auf rund 530°C gebracht und dann in Wasser abgeschreckt werden, sonst bleiben sie mehr oder weniger weich. Erst nach diesem Lösungsglühen kommt dann das Warmauslagern. Ohne das bleibt es mehr oder weniger weich. Ich kenne in D keinen, der das komplette Verfahren bei Fahrradrahmen macht.

Frage:

Mein Rahmen von Posion besteht aus 6061 und hat das Label "Made in Germany"....

Gruß
Thoralf
von: HeinzH.

Re: Rekristallisation - 13.10.15 09:19

In Antwort auf: Toxxi
In Antwort auf: GEBLA
6000er Legierungen MÜSSEN nach dem Schweißen lösungsgeglüht, das heißt auf rund 530°C gebracht und dann in Wasser abgeschreckt werden, sonst bleiben sie mehr oder weniger weich. Erst nach diesem Lösungsglühen kommt dann das Warmauslagern. Ohne das bleibt es mehr oder weniger weich. Ich kenne in D keinen, der das komplette Verfahren bei Fahrradrahmen macht.

Frage:

Mein Rahmen von Posion besteht aus 6061 und hat das Label "Made in Germany"....
Gruß
Thoralf


Moin Thoralf,
das ist eine Al Mg1SiCu-Legierung aus der früher seegängige Flugboote und heute Flugzeugstrukturteile im Flugzeugtoiletten (Urin!) und -küchenbereich (O-Saft!) hergestellt werden... Man kann bei 6061 (und bei eingen anderen Legierungen) die Widerstandskraft gegen Risse durch definiertes Kugelstrahlen etwas erhöhen.
Gruß aus Münster,
HeinzH.
von: GEBLA

Re: Rekristallisation - 13.10.15 10:17

Hallo Thoralf,

welche Frage stellst Du denn? Ob es nicht doch Rahmen aus 6000er Legierung gibt, die in D geschweißt werden? Mußt Du mal bei Poison fragen, mir wäre es neu...

Viele Grüße,
Georg

In Antwort auf: Toxxi

Frage:

Mein Rahmen von Posion besteht aus 6061 und hat das Label "Made in Germany"....

Gruß
Thoralf
von: HeinzH.

Re: Rekristallisation - 13.10.15 10:26

Moin moin,
die Rahmen der Kettler-Aluräder waren aus 6061 und wurden übrigens kugelgestrahlt. Ich habe diese Information von einem Mitarbeiter der Kettler-Fabrikation im Saarland.
HeinzH.
von: GEBLA

Re: Rekristallisation - 13.10.15 11:28

Hallo Heinz,

meines Wissens nach haben die immer mit selbstaushärtenden Legierungen wie AlMg5 gearbeitet. 6061 ist für Europa sehr untypisch, wäre aber bei den Mengen von Kettler auch denkbar. Aber dann müßten sie eigentlich auch wärmebehandelt haben...
Wäre spannend, wenn sich da wer von Kettler hier äußern könnte. Leider gab es damals noch kein Internet...

Viele Grüße,
Georg
von: toddio

Re: Rekristallisation - 13.10.15 15:32

Sind die Kettler-Räder gemeint, deren Gabeln so gern ohne Vorwarnung brachen? (Die Modelle hießen unter anderem Dixi und Daxi (frühe 80er Jahre))
von: michiq_de

Re: Rekristallisation - 13.10.15 16:36

Hallo,
Danke für die hilfreichen Infos! Sie klingen logisch und nachvollziehbar.

Ich denke, der Schweißer meinte "Kaltauslagern", sagte aber "Rekristallisation". "Warmauslagern" hätte er auch angeboten, dazu hätte ich aber den gesamten Rahmen demontieren und entlacken müssen, damit er bei rund 500°C in den Ofen kann. Das habe ich aus wirtschaftlichen (und zeitlichen) Gründen abgelehnt.
Jetzt ruht sich das Rad noch im warmen Heizungskeller (ca. 20°C) vom Schweiß-Streß aus, Ende dieser Woche will ich es wieder an seine Tätigkeit heran führen. Mal sehen, wie lange der Rahmen hält. Vermutlich bin ich schon längere Zeit mit den Brüchen gefahren.

mfg
Michael