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#898823 - 13.01.13 18:52
Radtour von Kassel nach Barcelona
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Mitglied
Themenersteller
abwesend
Beiträge: 12
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Dauer: | |
Zeitraum: | |
Entfernung: | 2354 Kilometer |
Bereiste Länder: | Deutschland Frankreich Spanien
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Hallo, ich bin neu im Forum und poste hier meine Tour nach Barcelona aus dem Jahr 2007.
Mittwoch, 30. Mai 2007
So viele Abschiede. Viele Freunde kommen vorbei, um mir Glück zu wünschen. Das tut gut. In den letzten Tagen scheint sich alles gegen meinen Aufbruch verschworen zu haben. Am Pfingstmontag liege ich mit einem Darmvirus im Bett, schleppe mich Dienstag und Mittwoch mühsam in die Redaktion zu Arbeit. Zudem fängt meine Zahnwurzel an zu eitern und im Schwarzwald fällt Schnee.
Immerhin: Jetzt, 22.07 Uhr sind alle Taschen gepackt, genau 20 Kilo schwer und gut verstaut am Rad, das bei der kleinen Probefahrt um den Block wie eine Katze über den Asphalt schnurrt. Der Tacho zeigt genau 6900 Kilometer an.
Der Vollmond scheint durch das Fenster herein. Morgen geht es los. Endlich!
Donnerstag, 1. Juni 2007 Kaufungen – Niederaula 115 km
Start Punkt 9.30 Uhr. Tatsächlich ist es ein irres Gefühl, so wie schon tausendmal zuvor von daheim wegzufahren und diesmal aber eine solche Strecke vor sich zu haben. Aber so ist es: Auch der weiteste Weg beginnt mit der ersten Pedalumdrehung.
Bei Sonne und leichtem Gegenwind rolle ich auf dem Fuldaradweg R 1 Richtung Süden und bei leichtem Tröpfelregen um 12.15 Uhr nach Melsungen ein. So, das waren nun schon 43 km obwohl es mit dem Auto durch die Söhre nur 27 sind. Da kann ich mir ungefähr ausrechnen, was aus den 1600 Autokilometern nach Barcelona wird.  
Die erste Rast und Banane im Naturschutzgebiet Aue bei Malsfeld um 13.24 Uhr. Ein junger, muskelstrotzender Radler mit einem einrädrigen Wägelchen am Rad – sieht elegant und einfacher aus als meine schweren Taschen – fragt: „Gibt´s noch Überschwemmungen?“ Ich ganz verwundert: „Nein, bis Kassel nicht. Gab´s denn bei Dir welche?“ „Ja, bei Baumbach kurz vor Rotenburg.“
Wird schon gehen sag ich mir und radelt eine Stunde souverän durch die ersten zwei Wasserstrecken, auf denen die Fulda nur zwei Zentimeter hoch steht.     
Hinter Baumbach kommt dann die dritte Flutung, diesmal gute 100 Meter lang. Mit Schwung fahre ich hinein – und versinke nach wenigen Meter im Wasser, das bis zur Hälfte der Packtaschen schwappt. Gerade bekomme ich noch die Füße aus den Klickpedalen, sonst wäre ich wie einst die Titanic vollständig untergegangen. Weil ich nun einmal nass bis über die Radlerhosen bin, wate ich schiebend durch die kühlen Fuldafluten. In den Schuhen quatscht das Wasser.
Artig warne ich alle entgegenkommenden Radler vor der Wasserfalle. Ein nettes Reiseradler-Rentnerpaar aus Holland bedankt sich und erzählt von ihrer 1000 km Deutschland-Tour und den letzten 60 Stunden im Dauerregen. Dabei sind die beiden entspannt, sichtlich gut drauf und nun auf dem Heimweg nach Holland. So schlimm kann das mit dem Regen also auch nicht sein.
Bisher führt der Weg meist eng an der Fulda entlang, die randvoll dahineilt. Meist schöne Landschaften, Einsamkeit, Wälder, Wiesen und Felder. Vor Bad Hersfeld wird´s hässlich. Industriegebiete, viel Verkehr, der Radweg nur durch eine Leitplanke abgetrennt. Zum Glück ist es bald vorbei und ich bin wieder in schönen, grünen Naturschutzgebieten.
An der Radlerpension Brandau in Kerspenhausen fahre ich noch vorbei, aber allmählich bin ich recht erschöpft und trete ohne Kraft dem Ziel entgegen. Bis Niederaula will ich es schaffen. Dunkle Wolken ziehen auf, aber es bleibt trocken.
Endlich um 17 Uhr bin ich Niederaula und bezieht ein nettes Zimmer im Schlitzer Hof direkt in der Mitte des Ortes mit rot-weißen Rautenläden an den Fenstern. Für den ersten Durst gibt es ungefragt eine Schorle – Radlerherz, was willst Du mehr. Das Rad steht sicher in der Garage.
Die Fakten:
Gefahren: 115 Kilometer Unterwegs: 8 Stunden Fahrzeit: 6:24 Stunden Schnitt: 18,27 km/h Max: 55,2 km/h Navi-Tour: 115 Kilometer Gesamt : 7015 km Höhenmeter: 313 m
Freitag, 1. Juni 2007 Niederaula – Steinau an der Straße 113 Kilometer
Nach einem Superfrühstück gehe ich um 8.50 Uhr bei einer Mischung aus Wolken und Sonne an den Start. Ich wechsele wieder auf die andere Fuldaseite, strampele ein Berglein empor, vorbei an einer Alt-Herrengruppe auf Radwanderung. Runde Bäuche aber stramme Waden, und sichtlich gute Laune unter den rund 15 Männern, vermutlich alle schon im Ruhestand.
Es geht entlang grüner, überfluteter Wiesen, auf denen Enten schwimmen, Pferde jagen sich auf einer Weide, ein Mäuschen hastet von rechts über den Weg, die Sonne scheint immer wärmer. Perfekt.     
In Queck dann der Schreck: Ich ertaste in der Windjacke den Garagenschlüssel vom Schlitzer Hof. Kurz überlege ich, einfach weiterzufahren und ihn heute Abend per Post zurückzuschicken. Dann fällt mir ein: In der Garage standen auch noch die Räder von zwei anderen Gästen, die heute noch weiter wollen. Also rufe ich an, dass ich den Schlüssel zurückbringe.
12,5 Kilometer zurück. Ein bisschen ärgere ich mich schon über meine Schusseligkeit. Andererseits: Alle Fehler sind meine Fehler und nur ich bügele sie aus, keiner leidet darunter. Auch ein schönes Gefühl.
Gegen 12 Uhr hinter Schlitz endlich Sonne pur. Die gelbe Regenjacke wandert erstmals in die Packtasche. Pferde laufen auf mich zu, lassen sich streicheln, so weiche Nüstern.    
Diese Stille. Weizenfelder, Lerchen, Bachstelzen tippeln vor mir her, der Asphaltweg führt einsam mitten durch die Flur. Die paar Reiseradler, die mir entgegenkommen, sind durchweg Männer über 50. Ob die alle schon in Rente sind?
Gegen 13 Uhr bin ich am Fuldaer Dom, den ich nach kleiner Irrfahrt doch noch finde. Plötzlich war der R1 weg, entweder habe ich ein Schild übersehen oder es fehlte. Jetzt verschwindet der R1 gleich für immer, denn jetzt muss ich den R3, den Main-Kinzig-Radweg finden.      Dunkel Wolken ziehen auf. Werde ich bald nass? Nein, die Sonne kommt zurück, braves Klärchen. Hinter Flieden erwarten mich jede Menge Steigungen, aber die Kraft ist mit mir. Ich pedale locker die Berge hoch, kein Vergleich zu gestern. Der Lohn ist eine rauschende, 3,5 Kilometer lange Abfahrt hinab nach Schlüchtern. Eine hübsche kleine Stadt, durch die ich aber rasch hindurch bin.
Vorbei an Störchen auf der Wiese geht es weiter.Nach 110 Kilometern komme ich um 17 Uhr in der Märchenstadt Steinau an der Straße an, eine pittoreske Altstadt mit viel schönem Fachwerk, an einer Hauswand etwas kitschig-farbenprächtige Gemälde der Grimm-Märchen. In dieser Puppenstube verbrachten also die Brüder Grimm von 1791 bis 1796 ihre Kinderjahre.
Ich beziehe ein schlichtes aber gutes Zimmer in der Pension Denhard für schlappe 25 Euro und genieße ein frisch gezapftes Franziskaner Weißbier für erfreuliche 2,50 Euro.
Dann mache ich mich auf einen kleinen Stadtbummel und prompt beginnt es zu regnen, hört aber wenig später gleich wieder auf. Ersatz für die daheim vergessene Sitzcreme bekomme ich bei Zweirad Antes leider nicht, dafür gucke ich mir das Grimm-Haus aus 1562 an, das sehr stattliche, burgartige Schloss mit alten und riesig alten Mauern an kaufe mir schließlich den ersten Jerry Cotten seit über 30 Jahren (wie sich später herausstellt ein grottenschlechtes Ding, das ich 1600 Kilometer weiter in Arles in den Müll befördere).
Weil Freitags immer Schnitzeltag ist, serviert mir die nette Wirtin ein Schnitzel von göttlicher Größe mit knusprigen Pommes und einem perfekten Schmandsalat in herrlicher Pilz-Rahm-Soße für schlappe 5,50 Euro. Am Stammtisch nebenan trinken leicht absonderliche Gestalten schon Apfelwein, ganz klar, ich komme nach Südhessen. Als Spezialität haben sie hier „Himmel + Erde“ auf der Karte. Das ist Apfelmus, Kartoffelbrei und Bratwurst.
Der Gasthof ist uralt, ich schlafe direkt auf der Stadtmauer – und ich schlafe prächtig. Draußen klart der Himmel auf. Das Wetter wird gut.
Ach ja, der Bart ist ab. Ab jetzt fahre ich mit glattem Gesicht und sehe richtig schön blöd aus.
Die Fakten: Unterwegs: 8:15 Stunden Gefahren: 6:34 Stunden Schnitt: 17,24 km/h Maximal: 52,5 km/h Gefahren: 111 km Gesamt: 7126 km Navi: 226 km Höhenmeter: 554 m Höhenmeter gesamt: 897 m
Samstag, 2. Juni 2007, 3. Tag Steinau a.d.S. bis Flörsheim 113 km
Punkt 9 Uhr verlasse ich Steinau. Es rollt leicht dahin an der Kinzig, alles ist sehr grün und verwunschen. Am Stausee teile ich mir die Einsamkeit mit ein paar Joggern. Vor Bad Soden schaffe ich es gerade so durch eine sehr schlammig Autobahn-66-Unterführung, hinter Salmünster geht es idyllisch durch Wiesen und Weiden, allerdings hat man das Gefühl, kaum vorwärts zu kommen. Die Namen all der Orte kenne ich vor allem aus den Staumeldungen im Radio. In Gelnhausen rast ich kurz an der Kaiserpfalz. Die hätte ich mir gern angesehen, doch wohin mit dem Rad?
Vor Langenselbold mache ich Rast an ein kleinem Waldsee und halte einen Plausch mit einem Anwalt aus Hanau, den ich um ein Foto gebeten hatte. Er will gar nicht wieder von mir lassen und kann nicht glauben, dass ich mit dem Rad aus Kassel komme. Schier fassungslos ist er über mein Ziel. Er vertritt die Versorgungswerke Hanau gegen säumige Zahler und hält mir einen kleinen Vortrag. Jetzt ist er mit dem Rad auf dem Weg in seine Kanzlei, 13 Kilometer, ganz schön weit     . Wir radeln in Stück gemeinsam, aber er ist viel zu langsam mit seinem Kugelbauch im roten Radlerleibchen und so lässt er mich ziehen. Um 13 Uhr bin ich in Hanau und fahre vorbei an der Kinzig Mündung. Und endlich am Main. An dessen Ufer wird ein Volksfest gefeiert, tausende von Menschen feiern 100 Jahre Eingemeindung von Kesselstadt.
Mitten im Städtegefleht zwischen Hanau und Frankfurt ist es erstaunlich ruhig und grün. Ich folge dem Main, der träge und breit dahinströmt. Bei Rumpenheim nehme ich die Fähre, 40 Cent, und schon bis ich in Offenbach, eine ziemlich hässliche Angelegenheit. Am Kaiserlei vorbei kommt Sachsenhausen in Sicht, endlich in Frankfurt. Viele Menschen flanieren am Museumsufer, Skater, Radler, Jogger, Spaziergänger, Hundehalter, ein richtig schönes buntes Treiben, gegenüber die Hochhäuser, die Bankentürme, gläsern kalt blinken sie in der Sonne, doch hier ist´s eigentlich sehr hübsch. In einem Biergarten herrscht reichlich Trubel, doch ich widerstehe der Verlockung und fahre weiter – und schwupps bin ich schon durch Frankfurt durch. So groß ist es gar nicht. Hinter Schwanheim wird es schon wieder ländlich. Die Industrieanlagen von Hoechst sind kaum zu ahnen. In Kelsterbach bleibe ich am linken Mainufer und erklimme die sehr steil und mit den Packtaschen grenzwertige Staustufe von Eddersheim.
Jetzt bräuchte ich eine Schorle, doch alle Gasthäuser haben zu. Hallo? amstagnachmittag? Sonne? Zum Glück hat ein Pferdebedarfsladen gerade seine Hausmesse mit Würstchen und Bier und dort nehmen sie mich gern auf. Ich bekomme erst eine Toilette und dann ein großes Radler. Eine nette junge Frau in Reiterhosen passt derweil aufs Rad auf und kann wiederum nicht glauben, wo ich hin will. Nein, als Alleinradler hast Du keine Kontaktprobleme.
Um 17 Uhr bin ich in Flörsheim. Der Karthäuser Hof ist mir mit 50 Euro zu teuer und so steige ich im Hotel Gretel für 32 Euro ab. Na ja, ein trauriges Zimmer, aber egal, die Dusche ist heiß.
Zum Essen gehe ich an den Main und lasse es mir im Gasthaus Zum Hirsch schmecken. Es gibt das gute naturtrübe Frankenbier im Steinkrug. 200 Meter über meinem Kopf donnert alle zwei Minuten ein Großjet im Landanflug auf Frankfurt vorbei. Manchmal denke ich, er streift den Kirchturm. Die Sonne hat mir heute ordentlich einen übergebraten.
Nach dem Essen mache ich mich auf den Weg nach einer Kneipe, wo Fußball läuft. In „Zum Taunus“ werde ich fündig. 41. Minute gegen San Marino und 0:0, super. Als ich in die Kneipe komme begrüßen mich die Jungs mit großem Hallo, eine hübsche Griechin (vermutlich) lächelt mir halb entschuldigend für dieses Publikum zu und bringt mir ein Bier.
Was für ein Publikum. Pit-Bull Shirts, Zahnlücken und Haare bis zum Hintern, alles da. Aber sie sind nett, fabulieren nur über Fußball und knallen sich systematisch die Birne zu. Am Ende steht es 6:0, Miro Klose hat wieder nicht getroffen und ich gehe in meine tageslichtlose Bude im Gretel. Im Hotel stehen vier weitere Reiseräder, vier Hamburger sitzen im Hof un trinken zuckersüßen Sekt. Ich setze mich zu ihnen, Norbert feiert seinen 53. Geburtstag. Sie wollen am Main entlang bis Bayreuth fahren, eine nette Truppe. Eine der grandiosesten Mitnahmen dieser Tour ist mein kleiner Weltempfänger. Wenn ich in minen kargen, fensterlosen Butzen zur Ruhe gehe, krächzt Ray Charles mit ins Ohr: „I dont stopp loving you.“ Danke Klaus.
Die Fakten: Unterwegs: 8:20 Stunden Gefahren: 6:10 Stunden Schnitt: 18,79 km/h Maximal: 40,7 km/h Gefahren: 113 km Gesamt: 7238 km Navi: 338 km Höhnmeter: 62 m Höhenmeter total: 1061 m
Sonntag, 3. Juni 2007 Flörsheim – Waldsee 133 km
Nachdem ich in meinem tageslichtlosen, gemütlichen Gretel-Zimmer gut ausgeschlafen habe, gehe ich runter zu Wirtin Klabunde um zu frühstücken. Sonntagmorgen und praktisch ohne spürbare Unterbrechung setzen die Jets zur Landung an. Ja, sagt Frau Klabunde, die Flieger und die Eisenbahn kaum acht Meter auf der anderen Straßenseite sind laut, aber: „Dafür lauft Ihr in Kassel der Arbeit hinterher!“ Da hat sie auch wieder Recht. Ihr Mann ist übrigens gebürtiger Melsunger und ist offenbar auch der Arbeit nach Südhessen hinterhergelaufen.
Pünktlich um 9 Uhr sitze ich wieder im Sattel und fahre quer durch das Opel-Werk in Rüsselsheim. Um 10 Uhr mache ich die erste Pause an der Mainspitze, wo von links mächtig der Rhein heramströmt. Amerikanische GI´s und zwei Deutsche teilen sich die Flüsse und halten entspannt ihr Angeln ins Wasser. Gegenüber stehen die Türme von Mainz in der klaren Morgensonne.
Über Eisengitter passiere ich auf der Eisenbahnbrücke den Rhein und erreiche das andere Ufer, nachdem ich zahllosen Jogern und Radlern den Vortritt gelasssen habe. Es ist ein besonderes Gefühl an d e m deutschen Strom entlang zu radeln. Duch schöne Weinberger erreiche ich um 11.30 Uhr Nierstein, wo jede Menge Straußenwirtschaften zur Einkehr verführen wollen. Aber es ist noch viel zu früh, außerdem ist die Sonne zurück und so steuere ich zielstrebig zurück an den Rhein.
Auf endlosen Schotter- und Kieswegen geht es durch das Naturschutzgebiet Kühkopf. Sehr einsam und sehr schön, viele Vögel, kaum Menschen nur ein paar Angler sitzen am Fluss. Am Eicher See bei Biebigsheim verfehle ich mal wieder den Weg und lande nach zwei Kilometern in einer Sackgasse mit zahllosen kleinen, aber meist hübschen Wochenendhäusern. Das ist hier eine richtige Ferienkolonie mit Yachthafen und allem drum und dran. Kleine, seltsam hohe Häuser stehen an dem Binnensee. Auf den Eicher Terrassen mache ich eine Pause und tauche für 30 Minuten in den Sonntag-Nachmittag-Ausflugsverkehr ein.
Allmählich bekomme ich Saft in die Beine. In der Ebene halte ich ziemlich problemlos 27 km/h und es strengt mich kaum an. Die Reifen surren, das Rad schnurrt nur so dahin. Ein herrliches Gefühl.In Worms raste ich am Dom, der leider nicht von einer richtigen Altstadt umgeben aber trotzdem recht eindrucksvoll ist. Am größten Luther-Denkmal der Welt esse ich mein Frühstücks-Brötchen, sehe aber leider nicht viel vom großen Reformator: Er ist komplett in ein Gerüst eingepackt. Also raus aus der Stadt über die Nibelungenbrücke und durch ein wirklich schönes Naherholungsgebiet hinaus aus der Stadt.
Ludwigshafen will ich noch hinter mich bringen. Was mich da erwartet, sehe ich schon ein paar Kilometer vor mir: Riesige Industrieanlagen von Proctor and Gable, wo weiße Riesen die Gehirne waschen, gut, direkt daneben BASF, schön hässlich.Der Weg durch die Stadt ist eine einzige Katastrophe, immer wieder verliere ich den Radweg, weil einfach Schilder fehlen, ich sie übersehe oder weil sie so idiotisch angebracht sind, dass man sie wirklich nicht finden kann. Vielleicht bin ich aber auch nur voreingenommen, weil hier mein Lieblingskanzler herkommt und ich dauernd an Presskopf denken muss.
Neuer Merksatz: Fahre nie einfach weiter, wenn Du den Radweg verloren hast. Du landest garantiert im Nirwana. Vielleicht sollte ich mich aber auch nicht so sklavisch an den Radweg halten, sondern einfach den Landstraßen folgen. Die sind nämlich immer einfach und klar ausgeschildert. Das will ich morgen mal versuchen.
Das freilich nützt mir jetzt nichts. Irgendwann habe ich keine Ahnung mehr, wo ich eigentlich bin. Neben mir hält ein Ausländer auf dem MTB mit Lidl-Türe auf dem Gepäckträger und Ipod im Ohr. Der Rhein??? Er grinst mich aus seinem bärtigen Palästinenser-Gesicht an: „Folge mir.“ Er dreht vor mir ab, quer über die Straße, ich düse hinterher, die Straßen werden mal kleiner, mal größer. In irrem Tempo geht es durch die Stadt, plötzlich nur noch Türken um mich herum, dunkelhäutige Menschen, Halbmondfahnen. Räuberpistolen gehen mit durch den Kopf: nordhessischer Radfahrer in Ludwigshafen vermisst, vertrauensselig folgte er dem Unbekannten was er – das weiß doch wirklich jeder – auf gar keinen Fall tun sollte.
Ich dränge diese Gedanken zurück. Vertraue Deinem Ausländer, dass sind meistens auch nette Menschen. Plötzlich sind wir unter einem irren Gestrüpp von Autobahnbrücken – und da ist er: der Rhein!!! – inklusive Radwegebeschilderung. Ich danke meinem Führer mit Handschlag – und schon ist er weg. Soviel in Sachen Vorurteile.
Herrjeh: Von Oggersheim, Helmuts Heimat, bis nach Rheingönheim – was geschätzten drei Kilometern entspricht, war ich eine geschlagene Stunde unterwegs. Die Entschädigung folgt auf dem Fuß: An der Rheinpromenade wurde ein Sandstrand aufgeschüttet: Reggae-Musik, Palmen, Liegestühle, entspannte Menschen. Erleichtert hole ich mir vom netten Strandmächen ein großes Radler und bin völlig relaxed.
Vor Altrip überholt mich ein MTBler in meinem Alter. Wir kommen ins Gespräch, plaudern ein bisschen, er kennt eine Abkürzung und freut sich, mich auf verschlungenen Wegen quer durch seinen Heimtort und vorbei an seinem Häuschen führen zu können. Prima: drei Kilometer gespart. So gleicht sich über den Tag gesehen alles wieder aus.
Es folgt eine wunderschöne Fahrt durch ein wildes Naturschutzgebiet mit weiten Wiesen, von Efeu überwucherten Bäumen, herrliche Stille und vielen Vögeln. Leider endet die Straße vor einer Baustelle, die auch für Radler gesperrt ist und so muss ich eine fünf Kilometer lange Umleitung in Kauf nehmen. Trotzdem: Mir geht´s prima, ich habe jede Menge Kraft und bin kein bisschen müde. Trotzdem reicht es jetzt. Als ich Waldsee erreiche finde ich nach einigem Fragen (Merke: Glaube nie dem ersten, der sagt, hier gäbe es kein Hotel, sondern frage auch die nette Frau von nebenan) eine Zimmer für 38 Euro im Cafe Oberst. Inzwischen ist es 18.10 Uhr. So spät habe ich noch nie aufgehört.
Beim Griechen im Biergarten und brennender Sonne genehmigte ich mir diverse Weizen und einen üppigen Grillteller. Ach Junge, geht´s mir gut.
Die Fakten: Unterwegs: 9.20 Stunden Gefahren: 7.14 Stunden Schnitt: 18,84 km/h Max: 35,8 km/h Gefahren: 133 km Gesamt: 7371 km Navi: 471 km Höhenmeter: 122 m Höhenmeter gesamt: 1019 m
Montag, 4. Juni 2007 Waldsee – Wintersdorf 114 Kilometer
Es spielt sich ein. Punkt 9 Uhr bin ich wieder auf der Straße nach einem prima Frühstück im Hotel Oberst. Zur Einstimmung auf den Tag mache ich einen kleinen Abstecher zum Kaiserdom von Speyer. Um 11.35 Uhr bin ich wieder am Rhein und mache eine Rast in Germesheim, der Stadt des deutschen Straßenmuseums (was es alles gibt!).
Eine schöne ruhige Fahrt auf dem Rheinhauptdeich hat mich hierher gebracht. Es geht durch Wälder und Wiesen und ich bin fast immer ganz allein, die Musik von Midnight Oil im Ohr. Ein Schnitt von 21 km/h kommt mir jetzt locker aus den Beinen. In Leimersbach sehe ich wieder Weißstörche direkt am Radweg, die sich gar nicht von mir stören lassen. Weil am Damm gearbeitet wird, muss ich wieder eine Umleitung nehmen. Und schon ist der Weg wieder weg.
Während ich noch nach dem Schild zurück zum Rheinradweg Ausschau halte, sehe ich einen Radler, der über eine Karte grübelnd auf einer Brücke steht. Sein altes Herkules-Reiserad ist schwer bepackt. Ich spreche ihn an, er will auch nach Süden. Also fahren wir ein Stück zusammen. Er heißt Joscha, ist 19 Jahre alt und den 3. Tag unterwegs. Im Zelt, allein und mit wenig Geld. Acht Wochen hat er Zeit, nachdem er gerade seine Schornsteinfeger-Lehre abgeschlossen hat und sich nun auf den Weg zum Fachabitur machen will. Danach will er dann Umweltschutz studieren.
Der junge Mann ist 1,90 Meter groß und 69 Kilo leicht. Er will den Rhein entlang bis zum Bodensee, von dort nach Tschechien, zurück die Elbe hoch bis Rügen und dann die Oma in Hannover besuchen. Glückliche Jugend. Mich schätzt er auf 40. Erst als ich den Helm abnehme, sagt er: „Ja, jetzt sehe ich die 56!“
Es tut gut, mal wieder in Gesellschaft unterwegs zu sein. Bei Wörth geht´s über den Rhein Richtung Karlsruhe und dann auf dem Rhein-Radweg, erstmals rechtsrheinisch südwärts. Wir radeln durch wunderschöne Auenwälder, die Luft ist gesättigt von Pappelsamen, manchmal sieht es aus, als wenn es schneit.
Auf der anderen Seite ist schon längst Frankreich und doch ist es noch ein weiter Weg bis nach Mühlhausen.Es ist schön, in Begleitung durch diese endlosen Auenwälder zu fahren. Wir plaudern und fliegen im Gleichklang dahin. Von Anstrengung keine Spur. Manchmal brennen die Beine etwas, aber der Po hält prima durch. Ein Loblied auf das Polster in der Spezialize-Hose, das war eine gute Investition.
In Plittersdorf machen wir einen kleinen Einkaufsbummel bei Edeka. Joscha kauft sich fürs Abendessen eine Dose Ravioli für 95 Cent. So billig komme ich wohl nicht davon. Für mich tun es vier Bananen, was mir wiederum den Kommentar meines jungen Begleiters einbringt, dass er sich gottlob noch nicht so gesund ernähren müsse.Vor dem Campingplatz von Ottersdorf trennen sich schon wieder unsere Wege. Joscha hat seine 80 Kilometer für heute voll und steuert den Zeltplatz an. Wir verabschieden uns herzlich.
Ich rolle noch ein wenig weiter, aber jetzt habe ich auch keine rechte Meinung mehr. In Wintersdorf lockt das Landgasthaus „Kreuz bei Tom“ zunächst mit diesem symphatischen Namen und dann mit modernen Fremdenzimmern, die erst im April eröffnet wurde. Hier bleibe ich. Jetzt ist es 18.41 Uhr und ich sitze vor dem Gasthaus gegenüber der alten „Volks-Schule“. Vier Rennradler kommen in knallbunter Kluft heran. Sofort gibt es das übliche Woher? Wohin? Und Fragen nach Kilometern und Durchschnitt. Als ich ihnen sage woher ich komme und wohin ich will gibt es wieder jenes ungläubige Staunen, an das ich mich so allmählich gewöhne. Also einsam ist das Alleinradeln nicht.
Ich genieße ein wunderbares Rumpsteak und drei Hatz-Weißbiere mit dem sinnigen Werbespruch: Wer hat, der Hatz. Ja, die Leute sind hier kreativ. Ich glaube, ich habe jetzt erst einmal genug von all den Kurven entlang der Fluss-Radwege. Morgen fahre ich ein bisschen Straße, ich muss mal etwas Kilometer machen. Schon fünf Tage unterwegs und ein gutes Stück Deutschland und Frankreich komplett liegen noch vor mit. Und nur noch zwölf Tage bis Montpellier.
Die Fakten: Unterwegs: 7:56 Stunden Gefahren: 5:46 Stunden Schnitt: 20,44 km/h Maximal: 39,3 km/h Gefahren: 114 km Gesamt: 7487 km Navi: 586 km HM: 126 m Höhenmeter total: 1145 m
Dienstag, 5. Juni 2007, 6. Tag Wintersdorf – Breisach 125 km
Erstaunlicherweise kommt ich heute um Punkt 9 Uhr los – nach einem wirklich fabelhaften Frühstück. Ich glaube das wird mir fehlen, wenn ich erst einmal in Frankreich bin. Heute also Straße. Es rollt hurtig dahin über tolle Radwege entlang nahezu jeder Straße, stets schön durch Grasstreifen abgegrenzt von den Autos. Unterwegs, führt Tom, der Samariter der Radwege, einen verwirrten Rentner aus Sachsen zurück auf die rechts Spur. Der Arme hatte seine Radkarte bei einer Rast auf der Bank liegen gelassen und ist nun völlig orientierungslos unterwegs. Ich bringe ihn an den heute von mir gemiedenen Rhein-Radweg und düse zurück zur Straße.
Ich bin jetzt auf der Badischen Spargelstraße unterwegs und die Badener kennen offenbar weder Rast noch Ruh´, seit 20 Kilometern habe ich keine Bank mehr gesehen. Im Schatten der St. Joahnneskirche in Rheinbischoffsheim kann ich endlich eine Pause einlegen und die Karte wechseln.
Um 2.45 Uhr habe ich schon 60 Kilometer abgespult. Auf der Straße flutscht es doch ganz anders. Aber es ist warm. Ich raste unterm Baum im Pfarrgarten von Dundenheim. Irgendwo muss ich ja auch was dafür bekommen, dass ich seit bald 30 Jahren besonders Kirchgeld zahle, obwohl ich in keiner Kirche bin. Eine Stunde schlafe ich friedlich und unbehelligt zum Muhen der Kühe. Ich bin so gut drauf: 25, 29, 32 km/h sind kein Problem. Bob Dylan singt, das gelbe Reclam-Büchlein von Heinrich Detering über die Songs und Alben von Dylan ist ein echter kleiner Schatz und entdecke den Lieblingssänger meiner 20er Jahre ganz neu.
Die Dörfchen sind lang, hübsch und sehr aufgeräumt. Schöne Fachwerkhäuser in Orten, die Allmannsweier, Nonnenweier und Wittenweier heißen. Das letzte Nest verkündet sogar stolz, dass es Landessieger und schönstes Dorf des Breisgaus ist. Na ja, einen großen Unterschied zu den beiden anderen konnte ich nicht erkennen.
Vorbei am Europa-Park in Rust mit riesigen Achterbahnen und endlos vielen Hotels, die bestimmten Ländern folgen – Mini-Vegas. In der Badischen Zeitung steht, dass der Europa-Park gerade zum schönsten Freizeitpark Europas gewählt wurde. In Sasbach am Kaiserstuhl denke ich, ich sollte doch noch ein paar Kilometer am Rhein fahren, den ich heute noch gar nicht gesehen habe. Also zurück an den großen Fluss. Ein Fehler! Erstens geht es sofort wieder mit der Sucherei nach dem Weg los. Und kaum bin ich ein paar Meter auf dem hemmenden Kies neben dem Hauptdeich gefahren, kommt der Regen. Seit zwei Stunden schon hängt über dem Schwarzwald eine riesige, schwarze Gewitterwand, doch rechts von mir, war immer blauer Himmel.
Vorbei. Es pladdert aus allen Rohren, zum Glück ist es warm dabei – und noch zwölf Kilometer bis Breisach am Fuß des Kaiserstuhls. Es zieht sich, aber es hat auch was. Feuchter Dunst liegt über dem Rhein, auf dem riesige Frachtschiffe nordwärts stampfen. Schwäne gründeln unbeeindruckt und strecken putzig den Hinterleib gen Himmel. Alles tropft, die Vögel singen.
Endlich gegen 17.30 Uhr in Breisach, einer wirklich hübschen kleinen Stadt mit einem riesigen Münster, das die Stadtsilhouette beherrscht und wo, 1951, der Grundstein für die EU gelegt wurde. Ein bronzener Stier mit einer stilisierten Europa auf dem Rücken bricht symbolträchtig aus dem Pflaster. Das sie mir hier schon ein Denkmal setzen, ist wirklich sehr vorausschauen gewesen.
Im Hotel Schiff finde ich ein Quartier für 40 Euro. Pünktlich mit meinem Eintreffen in der Stadt hat es auch aufgehört zu regnen, sogar die Sonne lässt sich wieder blicken.
Nachdem ich mich leidlich abgetrocknet habe, starte ich zu einem kleinen Stadtbummel durch die Stadt, die so alt wirkt und auch über 1000 Jahre alt ist und die im Krieg zu 85 Prozent zerstört wurde - fast so stark wie Kassel.
Chinesisches Essen im Schiff, Auge in Auge mit traurigen Koi-Karpfen. Am Nebentisch essen fünf französische Frauen, die sich wunderbar leicht unterhalten. Das perlt und kichert und strahlt soviel Temperament und Selbstbewusstsein aus. Ich verstehe natürlich kein Wort, aber das ist die Sprache, die mich ab morgen begleiten wird.
Denn der Blick auf die Karte überzeugt mich, das ich schon hier in Breisach auf die französische Seite wechseln werde. Es sieht so herrlich leer aus, da drüben. Also geht es morgen nach Volgelsheim.
Die Fakten: Unterwegs: 8:36 Stunden Gefahren 5:50 Stunden Schnitt: 21,85 km/h Max: 38,7 km/h Gefahren: 125 km Gesamt: 7611 km Navi: 711 km HM: 163 m HM total: 1308 m
Mittwoch, 6. Juni2 007, 7. Tag Breisach – Etupes 120 Kilometer
Inzwischen habe ich die Länder des Bellheim und des Hatz-Bieres durchquert und bin im Reich des Freiburger Ganter Bräus angekommen. Nebenbei waren es auch die Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Nun also werde ich bald im Land des Rotweins, des Kronenbourg-Bieres und einer mir weitgehend unbekannten Sprache sein. Tschüs, Deutschland, salu France.
Nach dem einsamen Frühstück im Schiff in Gesellschaft der netten Chinesin – ich war tatsächlich der einzige Gast und jede Tasse Kaffee musste ich einzeln ordern und sie wurde von der Frau mit asiatischer Geduld serviert – radele ich kurz zur Tanke, um den Dreck der gestrigen Regenfahrt vom Rad zu spülen. Alles voller Sand. Kurz die Kette geölt, frische Luft in die Reifen und schon überquere ich die Rheinbrücke ins gelobte Land.
Um 10 Uhr ist es geschafft. Ich bin in Frankreich. Je sui en France!! Oder so ähnlich.
Auf der kerzengerade D 32 geht es stracks südwärts, kaum Verkehr, nur manchmal kippt mich ein Lastzug fast vom Sattel. Ein bisschen Southwest-Feeling stellt sich ein, weil die einsame Straße manchmal förmlich am grünen Horizont verschwindet. Aber ich bin so stolz, dass ich schon mal so weit gekommen bin, dass mich nichts erschüttern kann. Lastzüge saugen mich auf und spucken mich wieder aus wie einen alten Kaugummi.
Ich rolle die ersten 30 Kilometer leicht dahin mit 25 km/h. Die Sonne wärmt angenehm, Kinder radeln an meiner Pausenbank vorbei und grüßen artig.12.34 Uhr: Die ersten 50 Kilometer in Frankreich sind abgespult. Bei Petit Landau rechts ab auf einer schönen mählichen Steigung durch den Hardt-Wald. Meine erste Pause am Rathaus von Habsheim südöstlich von Mulhouse. Ich kaufe zwei Gebäckstückchen bei der sehr freundlichen Madame, es klappt, und tatsächlich: Kein Wort Deutsch mehr, alles Franzosen.
Erstaunlich leicht umrunde ich Mühlhausen, von Großstadt ist eigentlich gar nichts zu spüren. Alles atmet ländliche Ruhe in hügeligem Bauernland. Allerdings muss ich dabei zwei knackige Anstiege bewältigen. Macht nichts, Steigungen verlieren allmählich ihren Schrecken. Dafür werde ich mit einer langen schönen Talfahrt nach Brunstatt belohnt.
Die D 18.5 indes ist stark befahren. Bis Froeningen macht es einfach keinen Spaß, eine Alternative gibt es aber auch nicht. Immerhin kann ich jetzt auf winzig kleine Straßen ausweichen und sofort sind die Autos verschwunden. Bei einer Pause an einem stinknormalen Straßenlokal zahle ich für zwei kleine Radler 7 Euro. Junge, Junge, ab jetzt nur noch Getränke an der Tanke.
Ab jetzt wird es richtig knackig! Es ist ein ständiges Auf und Ab mit zum Teil ziemlich deftigen Anstiegen. Ab ich muss kein einziges Mal vom Rad!! Von Dannemarie bis Delle geht es durch eine wunderschöne Hochebene durch Wiesen und Wälder mit vielen Kühen und wenig Verkehr.Bei Vellescot steht auf einer Anhöhe ein alter Weltkrieg-II-Panzer, ein Denkmal für das Afrika-Corps, das hier offenbar auch gegen die Deutschen gekämpft hat. Die Kanone zeigt direkt auf die französische Flagge, seltsame Symbolik.
In Delle gibt es zwar ein hübsches Zentrum, aber leider kein Hotel. Eigentlich bin ich müde, aber es hilft ja nichts. Also weiter nach Beaucourt, noch acht Kilometer. Aber was für welche!! 10 Prozent Steigung klettere ich hinauf, staune über mich selbst. Die Sonne brennt, ich habe einigermaßen genug und weit und breit kein Hotel in Sicht.
Wenn ich danach frage, ernte ich nur ratloses Kopfschütteln. Weiß nicht, ob es an meinem Gestammel „La direction Hotel???“ liegt, oder ob es hier wirklich keines gibt. Dabei ist Beaucourt doch eigentlich gar nicht so klein. Also noch mal zehn Kilometer weiter nach Montbeliard. Zwei dicke Bauarbeiter haben gesagt, kurz vorher gebe es ein Motel – wenn ich sie denn richtig verstanden habe. Na denn.
Immer wieder Steigungen, aber erstaunlicherweise spielen die Beine mit. Im Kopf bin ich kaputt, aber weiter unten geht es noch. Geistig ermattet verfehle ich mal wieder den richtigen Weg – was sich aber diesmal als Glücksfall erweist. In Dampierre-les Bois stecke ich den Kopf unter das herrlich kühle Wasser des Dorfbrunnens. Ein Bild davon gibt’s leider nicht, ich bin zu müde. In Etupes habe ich dann eine Art Fata Morgana: Ein Motel, vorn Frankreich pur, hinten Amerika. Und die liebe Madame hat tatsächlich noch ein Zimmer frei für schlappe 44 Euro. Vor ein paar Tagen in Flörsheim habe ich ein recht komfortables Zimmer für 45 Euro noch entrüstet abgelehnt, jetzt greife ich bei der armen Butze zu wie bei einem Hauptgewinn und habe sogar noch einen Pool vor der Tür.
Madame serviert mir ein herrlich riesiges Kronenbourg zum Tagebuchschreiben vor mein Zimmer. Genau jetzt, wo ich im Trockenen sitze, geht ein gemütliches, kleines Gewitter nieder, dicke Tropfen platschen in den Pool, manchmal streift mich ein Hauch Wasser auf der noch ungeduschten Haut, Ha! Das Leben in Frankreich ist soo schön.
Das Motel füllt sich. Abends sitze ich auf der Terrasse mit gut 20 Männern die vor sich hinschweigen und Essen in sich reintun. Mir gegenüber ein muskulöser junge Mann mit arabischem Aussehen in Begleitung einer ganz attraktiven Mittvierzigerin. Der Junge raucht ohne Ende und sie guckt ihn an und sucht verzweifelt nach eine Gesprächsthema. Klappt aber nicht. Na ja, nachher, wenn der Junge sein Pflicht tut, gibt es nicht mehr viel zu reden.
Die Fakten: Unterwegs: 8.37 Stunden Gefahren: 6.10 Stunden Schnitt: 19,8 km/h Max: 53,3 km/h Gefahren: 120 Kilometer Navi: 831 km Höhenmeter: 632 m Höhenmeter total: 1783 m
Donnerstag, 7. Juni 2007, 8. Tag Etupes – Chalezeule 108 Kilometer
Frühstück kostet in Frankreich extra, da muss ich mich erst dran gewöhnen, also löhne ich brav meine 8 Euro, erhalte dafür ein leidliches Petit Dingsbums, blättere in einer französischen Zeitung, gucke mir die Bilder und das Layout an. Ich habe geschlafen wie ein Ratz in meinem Zimmerchen, dass ungefähr genauso groß war, wie mein Doppelbett - aber mit TV.
Es ist bewölkt, als ich mich auf die Suchfahrt nach dem Doubs mache. Start um 8.57 Uhr ! Rekord! Es herrscht ein ziemlicher Verkehr, aber die Franzosen nehmen mich als Hindernis gelassen hin. Schon nach 15 Kilometern bin ich am Doubs, dem ich nun eine gute Weile folgen will. Die Stimmung im ein-Mann-Team ist prima, ich singe alle Lieder aus Brechts Mahagonni, die mir einfallen.
Bei Colombiere-Fontaine wechsele ich versehentlich die Flussseite und komme auf die N 463, die es mir mit einem schönen Berg dankt. Aber da kommt ja auf des Berges Gipfel ein kleiner Trost: Hinweisschild auf eine Abkürzung! Die nehme ich.
Das hätte ich besser nicht getan. Ich lande in Blussangeaux, wo vor mir, glaube ich, noch kein Mensch außer der hier lebenden Bevölkerung gewesen ist. Eine gnadenlose Sackgase, vor mir der Fluss, hinter mir der Berg, den ich gerade beherzt heruntergerollt bin. „Schwimmen“, lautet die lakonische Antwort eines Franzosen auf die Frage, wie ich nach Isle-sur-Doubs komme. Dann wendet er sich seinen beiden Begleiterinnen zu, zuckt die Achseln und sagt: „Les Allemane!“
Irgendwie trifft mich das, aber er hat ja auch Recht. Also fahre ich durch das zugegeben sehr schöne Flusstal zurück, strampele den Berg wieder hoch und fahre und fahre über die ungeliebte Nationalstraße nach L´Isle sur le Doubs. Keine Ahnung, was ich mir davon versprochen habe, war nix Dolles. Aber der Kaffe war okay.
Die geplante Route finde ich mal wieder nicht, also zurück auf die ungeliebte N 83. So schlimm ist es aber gar nicht. Über Rang geht es ins hübsche Clerval und dann finde ich endlich die Nebenstrecken und die winzigen Straßen. Die sind wirklich wunderschön. Winzige Flecken mit Brunnen, deren Wasser ich inzwischen unbesorgt trinke, weiße Kühe die mich in himmlischer Ruhe betrachten. Aber diese Steigungen!
Immerhin habe ich Bergen gegenüber inzwischen ein ziemlich stoische Haltung. Sie sind da, also muss ich drüber. Kleinster Gang, Augen auf die Straße und kurbeln. Schneller als geglaubt bin ich oben, rolle ein paar Meter runter und dann wieder hoch. In Roche les Clerval Rast am Brunnen, kopf drunter, Handschuhe auswaschen, weiter. Die Landschaft ist einfach großartig. Steile Felswände, Wälder und Wiesen, Bauerndörfer und offenbar uralte Häuser aus Natursteinen.
Um 14.30 Uhr bin ich in Beaumes les Dames. Vor der aus grauen Steinquadern gebauten Kirche mache ich eine Pause beim Panachee. Mächtige Glocken rufen die Leute zum Gebet, schließlich ist heute Fronleichnam. Wie weiter? Einen kurzen Moment war ich versucht, einfach hier zu bleiben, weil es so ein paar hübsche kleine Hotels gibt. Aber es ist noch viel zu früh. Ein dicker Franzose meines Alters kann Englisch! So was gibt´s wirklich. Er zeigt entschuldigend auf seine dicke Kulle und sagt, früher sei er auch mal Radfahrer gewesen, aber heute... Eindringlich warnt er mich vor dem Weg über Silley-Blefond, nach dem ich ihn gefragt habe. Bloß nicht, tödliche Steigung! Ich soll lieber über Esnaus fahren, da gibt es auch eine Steigung und ab da nur noch flach.
Und wirklich, es wird eine wunderbare Fahrt. Breit gleitet der Doubs dahin, steile, dicht bewaldete Berge mit großen Felswänden dazwischen. Zum Glück muss ich da nicht drüber. In weiten Kurven folge ich dem Fluss durch eine Landschaft, die eine Ruhe atmet, wie sie der Seele gut tut.
Es geht auch anders. Bis Novillars geht es über eine zermürbend lange Gerade, die sich kilometerweit vorn im Nichts verliert und bei der mir ein kräftiger Wind auf der Brust steht. Dann verstehe ich mal wieder den Weg nicht, der weg vom Fluss einen steilen Berg hochführt. Das kann ich nicht mehr.
Jetzt wird´s ernst. Zurück auf die N 83, direkt auf diese riesige Stadt Besancon zu. Es wird spät, es ist heiß, ich kann nicht mehr, habe Angst vor der Stadt und keine Ahnung, wie ich hier ein Hotel finden soll. Bald wird die Straße vierspurig, ich fühle mich wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn, die Autos rasen vorbei, manche hupen. Klar, hier habe ich nichts verloren. Mir wird echt mulmig.
Kurz vor dem Eingang nach Besancon mache ich noch mal ein Bild vom Rad vor dem großen Wegweiser in die Stadt. Da muss ich jetzt rein und ich fasse alle Mut zusammen.
Eine Steigung. Ich wackele hinauf und werde von den Lkw durchgeschüttelt. Irgendwann kapituliere ich, steige vom Rad und schiebe auf dem von halbmeterbreiten Wasserdurchlässen unterbrochenen Seitenstreifen bergwärts.
Dann die Rettung: Der Abzweig nach Chalezeule, die ich schiebend erreiche – das erste Mal auf dem ganzen Weg. Kaum bin ich von der N 83 weg, umfängt mich unwirkliche Ruhe. Der Doubs steht still wie ein See vor mir, mit Wasser gefüllte Ruderboote dümpeln am Ufer, Vögel zwitschern, kaum ein Mensch zu sehen. Und dann das Hotel 3 Iles un Relais du Silence. Wirklich! Es ist himmlisch ruhig hier. Kaum zu glauben, nur drei Minuten vom tosenden Highway entfernt.
Ein netter, dicker Franzose mit rudimentären Englisch-Kenntnissen sagt mir, welch ein Glück ich habe. Gestern war das Hotel ausgebucht, wegen einer Tagung in Besancon. Im 3. Stock beziehe ich mein Zimmer 17, Geranien auf der Fensterbank, Blick auf Berge und Burgruine, 52 Euro, heute fällt das Dinner aus. Ich frage meinen Wirt nach einem schönen kalten Bier, er hebt den Zeigefinger: Das hat er. Er geht an die dunkle Bar, greift ein Bier mit Champagner-Korken drin, löst den Drahtverschluss es ploppt angenehm und ich weiß, dass ich jetzt das teuerste Bier meines Lebens trinken werde.
Am breiten, ruhigen Doubs entlang gehe ich zehn Minuten zu einem absurd großen Einkaufszentrum, die USA lassen grüßen. Ich kaufe Bordeaux, Käse, Wurst, Nüsschen und Bier für meine Zimmerparty, breite die Herrlichkeiten auf dem Bett aus und versuche den enormen Flüssigkeitsverlust des heutigen Tages auszugleichen.
Was für ein Glück: Im TV gibt es auch noch ARD. Da läuft leider „Deutschland lacht“, worüber ich eigentlich? Selten so etwas Blödes gesehen. Aber mir geht’s wirklich gut. Keine Ahnung, wie ich morgen durch oder um diese Stadt komme. Aber es wird schon gehen. Alles geht. 21.15 Uhr. Draußen regnet es, der Donner grollt. Ist das nicht einfach wunderbar?
Die Fakten: Unterwegs: 8:19 Stunden Gefahren: 5:52 Stunden Schnitt: 18,85 km/h Max: 46,1 km/h Gefahren: 108 km Navi: 939 km Höhenmeter: 485 m Höhemeter total: 2226 m
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#898856 - 13.01.13 19:53
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Hallo, und willkommen im Forum. Ist ja ein gewaltiger Einstand, den Du hier gibst Danke für den ersten Teil des schönen Reiseberichts. Heutzutage hättest Du es auf Deiner Strecke etwas einfacher, denn am Doubs / Rhein-Rhône-Kanal ist mittlerweile von Mülhausen bis Dole ein durchgehend flacher Radweg (Eurovelo 6). Viele Grüße, Stefan
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#898949 - 13.01.13 22:50
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: StefanS]
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Hallo Stefan, danke für die schnelle Resonanz. Leider konnte ich den Rest nicht mehr einstellen, weil dann gemeldet wird, den Bericht gibt´s schon. Da muss ich noch probieren, wie es weitergeht. Ciao
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#898950 - 13.01.13 22:52
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Freu' mich auch schon auf den 2. Teil. Gibt's denn auch Fotos?
Beste Grüße und gleichfalls ein Willkommen im Forum.
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#898955 - 13.01.13 23:09
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Einfach toll zu lesen, danke! Was aber verbirgt sich hinter diesen Hieroglyphen?      Benenne die Fortsetzung doch um in Teil 2 oder so. Alternativ wende dich an das Team, dort wird dich gehelft.
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...in diesem Sinne. Andreas |
Geändert von iassu (13.01.13 23:12) |
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#898960 - 13.01.13 23:36
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: iassu]
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Was aber verbirgt sich hinter diesen Hieroglyphen?      Es handelt sich wohl um den missglückten Versuch, das Trenn- oder Leerzeichen der fernöstlichen Schriften zu verwenden Zur Fortsetzung des Reiseberichts kann man entweder seinen ursprünglichen Bericht ändern, oder einfach auf seinen ersten Beitrag antworten, dann gibt es ihn eben in mehreren Teilen im selben Thema. Viele Grüße, Stefan
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#898980 - 14.01.13 06:52
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: StefanS]
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Danke für den Beginn Deines Reiseberichtes - ich bin schon auf die Fortsetzung gespannt. Deine Schreibweise gefällt mir - ich kann vieles so richtig mit-/nacherleben. Aaaaaaaber: Hast Du auch ein paar Bilder zusätzlich für uns?
Danke im Voraus für den nächstes Teil lytze
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Wer schnell fährt, kann auch schnell schreiben... | |
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#898982 - 14.01.13 07:10
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Klasse. Das ist sehr lebendig und macht großen Spaß. Die Fahrt lässt sich wunderbar nachvollziehen und ich kann schon jetzt die Fortsetzung kaum erwarten. Außerdem ist es wirklich höchste Zeit, dass Du Deine Tour von 2007 endlich publizierst. Ich hoffe, Du gönnst uns noch dieses Jahr den zweiten Teil.
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Allen gute Fahrt und schöne Reise. | |
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#898986 - 14.01.13 07:46
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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sehr schöner Bericht zumal ich aus Naumburg komme und da wir Verwandtschaft in der Kaiserpfalz haben kannte ich die ganzen Städtenamen vom Bummelzug Bin gespannt wie's weiter geht. lg Chris
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Geändert von Pununu (14.01.13 07:47) |
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#898995 - 14.01.13 08:11
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: Pununu]
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Mach bloß schnell weiter mit diesem Reisebericht! Liest sich ganz toll! Danke!
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#898998 - 14.01.13 08:16
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Hallo Stefan, danke für die schnelle Resonanz. Leider konnte ich den Rest nicht mehr einstellen, weil dann gemeldet wird, den Bericht gibt´s schon. Da muss ich noch probieren, wie es weitergeht. Ciao Einfach den nächsten Teil als Antwort auf deinen ersten Teil schreiben, an den Betreff kannst Du dann ein "Teil 2" anhängen. Bitte nicht einen neuen Reisebericht beginnen, denn es ist ja eine Fortsetzung. Wenn Du weitere Hilfe brauchst, kannst Du Dich, wie Andreas schreibt, ans Das Team wenden, ganz oben gibt es dort den Link für das Team-Postfach. Ansonsten freue ich mich auch schon auf die Fortsetzung!
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#899032 - 14.01.13 09:59
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Offenbach, eine ziemlich hässliche Angelegenheit In der Ebene halte ich ziemlich problemlos 27 km/h und es strengt mich kaum an Rückenwind? Schöner Bericht, bitte weiterschreiben!
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#899188 - 14.01.13 15:58
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: Tandemfahren]
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Liebe Leute, vielen Dank für die so erfreuliche und zahlreiche Rückmeldung. Da fühlt man sich wirklich sehr freundlich willkommen in Euerer Runde. Das ist ja einfach mein leicht überarbeitetes Tagebuch von damals. Ich war mir etwas unsicher, ob das nicht zu lang und zu lang her ist für die Allgemeinheit. Aber nach so netter Resonanz kommt jetzt natürlich auch noch der lange Rest.
Fotos? Ja, habe ich natürlich reichlich, aber noch keine so rechte Ahnung, wie ich die posten soll. Kann ich die noch nachträglich in den Bericht einfügen? Vielleicht kann mir mal jemand einen Tip geben, wie das funktioniert.
Hier also geht´s weiter Richtung Barcelona:
Freitag, 8. Juni 2007 Chalezeule – Dole 72 Kilometer
Abschied vom schönen Hotel und gleich zum Start eine hammerharte Steigung, 1,5 Kilometer kämpfe ich mich bergauf – und rolle auf der anderen Seite doch mitten hinein nach Besancon. Die Hoffnung, ich könnte die Großstadt elegant umfahren hat sich leider zerschlagen. Erstaunlicherweise ist es gar nicht schlimm. Es ist relativ ruhig, die Autofahrer gehen ganz behutsam mit mir um, ich bin allerdings auch der einzige Radler weit und breit. Am Fuß der mächtigen Zitadelle (rechts) spricht mich ein älterer Franzose auf Prima Deutsch an: „Ich kann helfen“, sagt er und deutet auf meine Karte, auf der ich gerade meinen Weg suche. Dann guckt er die Karte ziemlich ratlos an, dreht sie auf den Kopf und hält sie ganz dicht vor seine alten Augen. Dabei erzählt er, dass er eine Zeitlang in Frankfurt gearbeitet hat und sich daher immer freut, etwas Deutsch sprechen zu können. Immerhin zeigt er mir dann wirklich den richtigen Weg durch den Tunnel direkt unter der Zitadelle.
Als ich da durchfahre, habe ich das erste mal richtig Schiss. Aber es klappt und schon bin ich wieder am Doubs. Dann die Freude: Der Radweg E6 nach St. Vit führt direkt am Fluss entlang, völlig getrennt vom Verkehr durch eine wunderbare Landschaft. So ein Glück, die N 73 bleibt mir also vorerst erspart.
Der Weg ist eine Wucht, brettflach, toller Belag, hervorragend ausgeschildert. Entweder führt er direkt am Fluss oder einem Kanal mit zahllosen Schleusen und hübschen Hausbooten entlang. Alle Kapitäne winken und grüßen freundlich. Papa ist stets am Steuer, Mama liegt auf Deck oder wuselt herum.
In Ranchot ist leider Schluss, der Radweg geht weiter nach Arc, ich überlege kurz, ob ich die Route wechseln soll, bleibe dann aber doch im Plan. Leider komme ich versehentlich auf die N 73, aber das erweist sich mal wieder als nicht so schlimm. Sowohl die großen Städte wie auch die breiten Straßen verlieren allmählich ihren Schrecken.
In Orchamps finde ich zurück auf die Nebenstrecke und raste unter großen Ahornbäumen direkt am Fluss. Unter mir packen deutsche Urlauber aus zwei Wohnmobilen ihre Kanus aus und bringen sie zum Fluss. Ich zögere ein wenig, ob ich die Landsleute einfach mal ansprechen soll, um mich mal wieder etwas zu unterhalten. Aber irgendwie sehen die nicht so aus, als ob sie Lust auf einen Plausch hätten, also lasse ich es.
Irgendwie fehlt mir heute die richtige Einstellung. Zudem hängen schwarze Wolken am Himmel. So viele gute Gründe, da höre ich auf meinen Bauch. Ausruhen ist angesagt. Auf winzigen Sträßchen fahre ich bis Dole, eine hübsche kleine Stadt. Vor mir lägen jetzt noch 40 Kilometer, auf denen es vielleicht kein Hotel gibt. Also bleibe ich hier, obwohl es erst 15 Uhr ist. Ich finde ein kleines Hotel im Zentrum mit einem hübschen Zimmer nach hinten auf den Hof, also sehr ruhig. Der nette, kettenrauchende Wirt zeigt mir auch gleich eine sichere Stelle für den Trekker.
Jetzt ist es 16.22 Uhr und ich sitze bei einem halben Carlsberg. Anschließend mache ich einen Bummel durch Dole, hübsche Altstadt, netter Park, alles auf angenehme Weise unspektakulär. In einem kleinen Markt kaufe ich Käse, Wurst, Salat, ein Baguette, Bier und Rotwein. Ich muss mal ein bisschen auf die Preisbremse treten. Das ständige Menu-Essen in Frankreich bei gleichzeitig doch deftigen Hotelpreisen schlägt mir zu sehr auf die Kasse.
Die Fakten: Unterwegs: 6:13 Stunden Gefahren: 4:07 Stunden Schnitt: 17,97 km/h Max.: 40,7 km/h Gefahren: 72 km Navi: 1011 km !!! Höhenmeter: 267 Meter Höhenmeter total: 2517 Meter
Samstag, 9.Juni 2007 Dole – Bourg en Bresse 133 Kilometer
Die kurze Etappe gestern hat mir gut getan. Bin erholt und bester Stimmung, als ich um 9 Uhr aus Dole rolle. Nebel hängt über dem Land, aber die Sonne ist schon zu ahnen. Es ist herrlich flach, auf winzigen Straßen geht es südwärts. Maisfelder so weit das Auge reicht und zum letzten Mal am Doubs entlang, der hier schon viel schmaler ist. Tschüs, Doubs, war schön mit dir.
12 Uhr: Die D 3 bringt mich nach Pierre de Bresse, ein hübsches Städtchen, wo ich in der Bar Pmu Kaffee und Wasser trinke. Die ersten 40 Kilometer habe ich leicht und locker hinter mich gebracht, den Medicus im Ohr. Macht Spaß, der ist unterwegs nach Persien und ich nach Spanien.
Der Himmel ist blau, die Sonne wärmt, brennt aber nicht. Ideales Reisewetter. Die nächste Pause mache ich in St. Germain du Bois und um 14 Uhr fahre ich in die schöne alte Stadt Louhans mit ihren Kopfsteinpflasterstraßen und Arkadengängen ein. Ein richtig angenehme kleine Stadt mit netten Geschäften und sogar einigen Touristen.
Ich trinke eine Coke, aber das taugt nichts. Von dem süßen Zeug bekomme ich nur noch mehr Durst und ein Kraftspender ist es auch nicht. Noch 50 Kilometer bis Bourg en Bresse, aber mir ist nicht bange, nur sehr warm inzwischen.
Seit Louhans habe ich das Gefühl, richtig im Süden zu sein. Es wird immer wärmer. Die Straße zieht sich kerzengerade in großen Wellen vor mir hin. Kaum habe ich eine Höhe erklommen, geht´s schon wieder ins nächste Tal, hinter dem der nächste kleine Hügel wartet.
Im winzigen Ort Varennes-St. Sauveur haben sie einen riesigen Brunnen und einen kleinen Alimentari, in dem ich mir – ich gestehe, Gnade Euer Ehren – eine Dose eiskaltes Kronenbourg kaufe und es mit Genuss vor dem Laden in den ausgedörrten Körper tue.
Mit frischem kalten Wasser in der Flasche fahre ich weiter – und dann ist auf einmal dieses Gefühl da: Ich bin unterwegs und ganz und gar eins mit mir, völlig ausgeglichen und voller Zuversicht und ohne jeden Stress. Ich genieße die Zeit allein mit mir, was ich vorher nicht unbedingt erwartet habe. Eigentlich bin ich jetzt erst richtig unterwegs. Die Landschaft strahlt eine wunderbare Ruhe aus. Rob Cole ist bei mir auf dem Weg nach Persien, um Medicus zu werden. Alles passt zusammen.
Ach, ja, so ganz nebenbei bin ich wieder in ein neues Departement eingefahren, diesmal also nach Rhone-Alpes.
Um 18 Uhr bin ich Bourg-en-Bresse. Eine schöne Altstadt, aber leider sind alle Hotels voll. Das erste Mal überhaupt, seit ich unterwegs bin. Der nette Mann hinter dem Tresen des Kyriad beschreibt mir den Weg zurück, den ich gerade gekommen bin. In Virat stehen fünf Kettenhotels direkt nebeneinander. Die billigen sind alle voll, aber im Balladins finde ich ein Zimmer für 44 Euro.
Ich gewöhne mich langsam an die Preise. Seit ich nicht mehr Essen gehe, sondern mir mein Abendmahl im Supermarkt hole, bleibe ich bei etwa 50 bis 60 Euro am Tag, das geht. Direkt neben dem Balladins liegt wieder mal eines dieser absurd großen Einkaufszentren. Möbel, Wasserbetten, Fahrräder, Sport, Handwerkszeug, Baumarkt – ich bin richtig erleichtert, als ich doch noch in der Ecke des glühendheißen Parkplatzes einen Supermarkt finde.
Die Frau hinterm Hoteltresen wirkt erst so unwirsch, aber dann darf ich mein Fahrrad in ihrem winzigen Zimmer direkt neben ihrem Bett abstellen. Also doch nett.
Die Fakten: Unterwegs: 8:56 Stunden Gefahren: 6:36 Stunden Schnitt: 20,62 km/h Max: 43,6 km/h Gefahren: 133 Kilometer Navi: 1144 km Höhenmeter: 361 km Höhenmeter total: 2838 km
Sonntag, 10. Juni 2007 Bourg-en-Bresse – L´Isle de Abeau 121 Kilometer
Ich packe in Ruhe und mit inzwischen erworbener Routine und bin um 9 Uhr wohlgelaunt im Sattel. Wieder mal ein schöner Zufall: Die Straße vor meinem Hotel führt genau in meine Richtung nach Peronnas. Nun habe ich leider kein einziges Bild von Bourg gemacht, denn das liegt jetzt nicht mehr auf meinem Weg. Na ja, vielleicht ein andermal.
Im steten Auf und Ab rolle ich durch die Seenlandschaft des Bresse Richtung Chalamont. Von den vielen Seen auf der Karte sind leider in natura nur einige wenige zu sehen. Klaus schickt eine SMS: In Chalamont kocht Sarah Wiener und ihr Restaurant mit einem Radfahrer an der Fassade liegt direkt am Weg.Leider kann ich das Restaurant der Fernseh-Köchin nicht finden und erstaunlicherweise habe ich auch noch keine Lust auf eine Pause, obwohl mir die Sonne ganz schön einheizt. Also weiter.
Um 12 Uhr habe ich schon 38 Kilometer geschafft – und das bei ständigem Gegenwind. An einem kleinen See mache ich an einer recht idyllischen Stelle kurz vor Meximieux Rast. Bisher war alles gut, jetzt ist alles Mist. Ich finde einfach den Weg nicht, fahre Riesenberge hoch und gleich wieder runter, verfranze mich total und bin immer genervter. Dabei ist auf der Karte alles so einfach, aber hinter Perouges verliere ich einfach jede Orientierung. Vielleicht habe ich auch zu wenig getrunken und der Geist macht einfach schlapp.
Ich spreche einen Mann in meinem Alter an, ein Franzose wie aus dem Bilderbuch mit Kippe im unrasierten Gesicht und einem Baskenkäppchen auf dem Kopf. Er spricht kein Wort Deutsch oder Englisch, sieht aber an, dass ich ziemlich durch den Wind bin. Also nimmt er sich unendlich Zeit mir klarzumachen, dass ich genau den Berg, den ich eben hoch und wieder runtergrollt bin, wieder hinaufmuss. Das will ich nicht, wir scheiden als gute Freunde und ich fahre genau entgegengesetzt weiter.
Plötzlich steht ich vor dem Hinweisschild, dass ich bisher offenbar immer übersehen habe. Genau: Hier geht es nach Charvieu-Chavagneux. Endlich habe ich wieder eine Richtung. Nach über einer Stunde Irrfahrt bin ich genau 3,5 Kilometer weiter von der Stelle entfernt, an der ich die Richtung verloren habe und da ist die verdammte N 73.
Wind und Berge arbeiten fleißig daran, dass sich die schlechte Stimmung einnistet. Und dann fängt es auch noch an zu regnen. Als ich endlich völlig kaputt in Villefontaine bin finde ich das Zentrum dieser elenden Stadt nicht. Nach jedem Schild Richtung Centre Ville bin ich schon wieder auf einer Ausfallstraße, natürlich immer nach einem hübschen Anstieg. Ich frage zwei Mädchen nach einem Hotel: Nein, schütteln sie den Kopf, das gibt´s hier nicht.
Wie bitte? Hallo? Eine Stadt mit 20 000 Einwohnern und kein Hotel?. Doch, unten, am Fuß des Berges stand ein Motel, an dem ich noch stolz vorbeigeradelt bin. Also wieder den Berg runter: Das Hotel ist ein Rohbau und hat noch nicht eröffnet.
Ich frage eine Gruppe Franzosen. Ja, du musst zurück vier Kilometer mach Verpilliere. Als ich da bin, Schulterzucken, hier gibt es kein Hotel, aber in Villefontaine ist das Mercure. So langsam reicht es mir.
Das Mercure ist ein drei Sterne-Schuppen mit verschlossenem Stahlschiebetor. Das rollt brav zur Seite, denn hier ist ein Zimmer frei. Es soll aber 120 Euro kosten und so kaputt, dass ich das bezahle, bin ich nun doch noch nicht. Der hilfsbereite Consierge ruft ein Nachbarhotel an und reserviert mit ein Zimmer für 65 Euro. So wie ich aussah, hat der sich gleich gedacht, dass ich bei ihm nicht bleibe.
Also noch mal weiter vier Kilometer nach Lísle d´Abeau und siehe da: direkt neben der Autobahn stehen ein Premiere 1 und ein Ibis direkt nebeneinander. Im Premiere 1 bekomme ich ein Zimmer für 32 Euro und bin wieder mit der Welt versöhnt. Schließlich liegt es genau an der Straße, auf der ich morgen weitermuss. Im Fernsehen sehe ich, wie Roger Federer das Finale der French Open gegen Natal verliert. Ich wasche meine Radlerklamotten aus und begebe mich auf die Suche nach einem Supermarkt.
Doch das Leiden hat noch kein Ende. Es ist Sonntag, kein Laden hat auf, keine Tanke mit Markt in Sicht, die ganze Stadt besteht aus tristen Wohnblocks. Rettung naht in Gestalt des Pizza Flashs. Hier bekomme ich noch eine sehr große und wohlschmeckend Pizza Catalane, Bier haben sie zwar nicht, also muss es eine Cola tun. Wenigstens muss ich nicht hungrig ins Bett.
Dann sitze ich völlig ausgedörrt in meinem Zimmer neben dem Wasserhahn. Den habe ich so lange laufen lassen, bis das Wasser wenigstens ein bisschen kühl ist. Aus dem Zahnputz-Plastikbecher trinke ich ohne Ende und sehne mich nach einem kühlen Kronenbourg. Aber das gibt´s leider nicht.Auf dem Bett lege ich einmal die Karten aneinander, auf der die Strecke eingezeichnet ist, die ich noch fahren muss. Meine Güte, ist das noch weit.
Die Fakten: Unterwegs: 8:44 Stunden Gefahren: 6:49 Stunden Schnitt: 18,18 km/h Max: 47 km/h Gefahren: 121 Kilometer Navi: 1265 km Höhenmeter: 477 m Höhenmeter total: 3315 m
Montag, 11. Juni 2007, 12. Tag L´Isle de Abeau – Romans 110 Kilometer
Fette schwarze Wolken hängen über der Stadt, als ich um 9 Uhr in den Sattel steige. Heute kann es ja eigentlich nur besser werden als gestern, aber trotzdem bin ich etwas zittrig auf dem Rad und weiß mal wieder nicht, was der Tag bringen wird. Der gestrige Tag hat mich doch etwas erschüttert, jetzt muss ich mich erst wieder etwas aufbauen.
Bis Four geht es gleich erst mal drei Kilometer stramm bergauf und dann geht es erst richtig los. Auf winzigen Sträßchen geht es über eine harte Steigung nach Roche, dann schön flink runter nach Artas und wieder drei Kilometer bergauf nach St. Jean de Bournay. Ausgeschlossen, dass schon ein mal ein Mensch in Deutschland diese Namen gehört hat. Die Dörfchen sind hübsch, oft nur ein paar Häuser, eingebettet in Wiesen und Felder.
Inzwischen bin ich im Drome. In St. Jean trinke ich einen Kaffee und ein Mineralwasser, die nette junge Frau, die mich bedient, erprobt ihr karges Englisch. Wir plaudern, sie ist angemessen beeindruckt von meiner Fahrt. Endlich spricht mal wieder jemand mit mir. Die Einsamkeit knabbert genauso am Willen wie die Berge.
Eine schier endlose Gerade führt mich auf der D 502 Richtung Vienne. Ich fahre zwei Kilometer zu weit und muss zurück. Jetzt weiß ich auch, warum ich ständig den Weg verpasse. Die Hinweisschilder sind oft nur von der anderen Richtung aus zu sehen. Was denken die Franzosen sich eigentlich? Dass man Augen im Hinterkopf hat? Der geplante Weg ist nicht zu finden, also fahre ich nach Meyssies, Berg hoch, Berg runter. In Meyssies fahre ich wieder falsch. Diesmal hatte jemand die Schilder einfach umgeknickt. Immerhin merke ich den Irrtum nach ein paar hundert Metern.
Der Weg nach Cour et Buis zwingt mich über die Hammersteigung schlechthin, bei vermutlich deutlich über zehn Prozent muss ich runter vom Rad und schieben. Das erste Mal.Dafür gibt es mal wieder eine berauschende Abfahrt auf einer kleinen Waldstraße und endlich, endlich bin ich auf der D 538, die ich vor ein paar Stunden einfach nicht finden konnte.
Aber jetzt bin ich richtig und ich trete rein. Aber nicht lange: drei Kilometer geht es stracks bergauf, kurbeln im kleinsten Gang und ich verfluche das überflüssige Gepäck. Zum Glück regnet es leicht, das kühlt mich wieder ab.
Eine lange, lange Regenabfahrt bringt mich nach Beaurepaire. Und wieder verpasse ich die Straße. Allmählich glaube ich, dass das nicht an der schlechten Ausschilderung liegt, sondern an mir. Irgendwie verliere ich die Orientierung, wenn ich erschöpft bin. Ein freundlicher Rennradler Mitte 40, den ich nach dem Weg frage, sagt, sie machen gerade Mittagspause, fahren dann aber auch nach Romans. Ich soll einfach warten und dann mit ihnen fahren. „Too fast for me“, sagte ich und finde auch selbst den Weg.
Doch die Berge nehmen kein Ende, liegen mir als Höhenrücken stets genau im Weg. Lange Steigungen hinter Lens-Lestang, schnell runter bis Hauterives und wieder endlose fünf Kilometer bergauf. Es nimmt einfach kein Ende, zweimal muss ich schieben.
Aber dann ist es geschafft. Eine lange, wunderbare Abfahrt mit Spitze 56 km/h ins Tag. Alles jubelt in mir. Bin so stolz, was alles in mir steckt. Nun, 17 Uhr, bin ich fast in Romans. Kurz vorher überholen mich die sechs Rennradler aus Beaurepaire. Mein Bekannter ruft: „Salut, my friend“, und schon sind sie vorbei. Im Vergleich zu denen fühle ich mich wie ein Packesel.
Romans ist eine bildhübsche Stadt mit altem Zentrum, in das ich inzwischen völlig angstfrei einfahre. Leider gibt es wieder kein bezahlbares Hotel im Zentrum.Ich spreche einen bärtigen 50er an, der gerade mit seinem Jungen redet, und erlebe Erstaunliches. Der Mann spricht Englisch und sagt: „One minute“, springt in ein nahes Restaurant und kommt mit Papier und Kugelschreiber zurück. Dann zeichnet er in unglaublicher Detaillfreude den Weg zum Formule One. „Alles andere zu teuer“, lacht er und reibt Daumen und Zeigefinger. Zwischendurch kommt seine bildhübsche Frau mit Kindern vorbei, Küsschen, aber er lässt sich nicht beirren und zeichnet mir absolut perfekt den Weg auf. Wir verabschieden uns mit Handschlag und ich finde nach der Skizze völlig problemlos das Hotel und ein Zimmer für konkurrenzlose 27 Euro.
Hinter Tresen ist eine sehr nette Schwarze, die ihre 20 Worte Englisch zusammenklaubt. Wir erzählen uns damit erstaunlich viel über unser Leben und sie zeichnet mir den Weg zum Supermarkt auf. Heute ist der Tag der Zeichnungen. Dort erstehe ich fünf Dosen Bier und einen Liter Orangensaft. Käse, Wurst und Brot habe ich von gestern über all die Berge geschleppt. Im Laufe des Abends trinke ich alles aus und muss nicht mal pinkeln.
Abends klettere ich auf die Feuerleiter des Hotels und habe die ganze Bergkette der Rhones Alpes vor mir liegen. Zusammen mit einem kühlen Guinnes ist das ein wahres Gesamtkunstwerk.
Die Fakten: Unterwegs: 8.38 Stunden Gefahren: 6:28 Stunden Schnitt: 17,44 km/h Max: 56 km/h Gefahren: 110 Kilometer Gesamt: 8277 km Navi: 1375 km Höhenmeter: 1098 Meter Höhenmeter total: 4413 m Größte Höhe: 472 m
Dienstag, 12. Juni 2007 , 13. Tag Romans-sur-Isere – Montelimar 82 Kilometer
Wieder mal bin ich ein bisschen zittrig beim Start aber das legt sich gleich, als ich auf der Straße bin. Schnurgerade und flach geht die D 538 dahin. Sonne, helle Wolken, Wind von hinten, was will man mehr. Ich rolle leicht dahin. Links verschwinden die Rhone Alpes im Dunst. Dann der Schreck: Nach Montpellier noch 232 Kilometer!! Meine Güte, in zwei Tagen wäre ich schon da. Ich muss mir einen Schlenker überlegen. Vielleicht fahre ich doch noch einen Umweg durch die Carmargue. Heute ist Dienstag und am Samstag landet Peter in Montpellier. Da habe ich noch so viel Zeit.
Der Höhenmesser ist kaputt, schade, jetzt muss ich schätzen.
Vor Crest baut sich wieder ein ziemlich steil aussehender Höhenzug quer vor mir auf. Heute habe ich aber genug von Steigungen, also verlasse ich die so sorgfältig ausgetüftelte Route. Über Montmeyran und Montoison (dort eine kleine Pause am Brunne) rolle ich immer leicht bergab hinab ins Rhone-Tal. Bei Livron geht es über eine alte Steinbogenbrücke über den Drome, blauer Himmel, dicke weiße Wolken und eine schöne geschwungene Landstraße eingefasst von hohen Bergen.
Seit ich weiß, wie nah ich schon an Montpellier bin, fahre ich völlig unangestrengt dahin. Jeder Druck ist von mir abgefallen.
In Loriol-sur Drome eine Überraschung: Jumelage de Schwalmstadt Hessen steht auf dem Schild am Ortseingang. Ist das nicht verrückt? So weit weg und doch so nah. Auf der N 7 geht es besser als zu befürchten war. Alle Reisenden im Internet hatten davor gewarnt, durchs Rhone-Tal zu fahren, aber so schlimm ist es gar nicht. Der Verkehr hält sich in Grenzen und meistens gibt es einen hinreichend breiten Seitenstreifen, auf dem ich ziemlich unbehelligt vorwärts komme.
Am anderen Ufer der Rhone stehen drohend die vier Kühltürme des Atomkraftwerkes Meysse. Auf einem von ihnen ist ein spielendes Kind aufgemalt. Sieht irgendwie pervers aus. Schon um 14 Uhr bin ich in Montelimar und checke wieder im Balladins ein. So früh habe ich noch nie aufgehört, aber ich habe plötzlich so viel Zeit. Nach einer kleinen Schlafpause fahre ich in die Stadt, nur 1,5 Kilometer.
So ist das: Nachdem ich bei drei Städten ins Zentrum gefahren bin und kein Hotel gefunden habe, habe ich diesmal gleich am Stadtrand eingecheckt. Und dabei stehen hier im Zentrum viele kleine Hotels, alle hübsch und preisgünstig und perfekt ausgeschildert. Heute hätte ich auch im Pierre für 26 Euro mitten in der historischen Altstadt wohnen können, zu spät.
Aber die Stadt ist schön. Breite, von Platanen schön beschattete Alleen mit vielen Bars und Restaurants, eine ausgedehnte Fußgängerzone mit engen, hohen Gassen und einer großen Zitadelle, die leider geschlossen ist. Ich lasse den Abend gemächlich kommen, sitze unter den Platanen und schaue dem Treiben zu.
Die Fakten: Unterwegs: 5:40 Stunden Gefahren: 4:38 Stunden Schnitt: 18,36 km/h Max: 42,8 km/h Gefahren: 82 Kilometer Gesamt: 8359 Kilometer Navi: 1457 km Höhenmeter: 140 Meter Höhenmeter total: 4553 Meter
Mittwoch, 13. Juni 2007, 14. Tag Montelimar – Avignon 100 Kilometer
Der Verkehr auf der N 7 ist nervig, aber vor Donzere wechsele ich auf die D 844, bin sofort weg von jedem Verkehr, bezahle dafür aber mit einem langen, allerdings moderaten Anstieg. Vorbei an Pierrelatte mit seiner offenbar in ganz Frankreich bekannten Krokodil-Farm überholen mich zahllose Autos auf der D 458. Obwohl der Verkehr bis nach Pont St. Esprit immer stärker wird, kann ich dank eines breiten Randstreifens relativ unbehelligt fahren.
Die Brücke von 1309 ist toll, 25 Steinbögen über die Rhone, in die hier die Ardeche mündet. Unter den Schatten spendenden Platanen der Stadt mache ich meine inzwischen schon übliche Kaffeepause. Sehr schön.
Der Tag wird härter als erwartet. Was wie eine Spazierfahrt aussah – keine Ahnung, wie ich auf so einen Gedanken kommen konnte – wird zu einem 100-Kilometer-Ritt unter brennender Sonne. Hinter Pont St Esprit bin ich zwar endlich wieder von den großen Straßen weg, aber es wird wirklich ständig heißer. Winzige Straßen entlang der Rhone unter mächtigen, steilen Felswänden.
Jetzt ist es 15.16 Uhr und nach 88 Kilometern gönne ich mir ein großes Panache in Sauveterre. Die wieder einmal sehr nette Wirtsfrau füllt mir meine Trinkflasche mit kaltem Wasser aus dem Tresenhahn auf. Das machen übrigens ausnahmslos alle, wenn man durstig fragt. Noch kein einziger Wirt hat mir einfach Leitungswasser eingefüllt. Radler genießen hier glaube ich großes Ansehen – vermutlich weil außer den Rennradlern kaum einer fährt.
Noch 15 Kilometer bis Avignon. Zum Glück zieht sich der Himmel mit dicken schwarzen Wolken zu. Gegen 17 Uhr sehe ich zum ersten Mal die goldene Maria auf dem Dom neben dem Papst-Palast. Über die Pont Daladier fahre ich in die Stadt. Links die berühmte Brücke aus dem Lied.
Wieder mal Glück: Ich komme genau auf die Rue Vernet, wo das im Führer genannte Innova-Hotel seinen einsamen Stern auf die Straße hält. Der Preis ist mit 45 Euro zwar deutlich höher, als Michael Müller Glauben machen will, aber der Schuppen hat Atmosphäre. Die hübsche Schwarze gibt mir mit breitem Lächeln den Schlüssel für meine acht-Quadratmeter-Butze, Zimmer 9, in dem erstaunlicherweise sogar noch Platz für eine Dusche ist. Das Fenster zeigt mir eine Altstadtstraße, das buddelwarme Bier aus der Packtasche kühlt im Becken runter. Ich bin sehr zufrieden.
Ich unternehme einen Bummel durch diese wirklich schöne alte Stadt, trinke zwei Biere in der Rue Tenturies, der alten Färbergasse unter alten Platanen, Kopfsteinpflaster und sich drehendem Mühlrad. Rings um mich herum die Boheme, man trinkt Bier und raucht Selbstgedrehte. Fühle mich sehr geborgen. Nach einer Pizza beim Mamma Leone sinke ich um 22 Uhr redlich müde ins Bett. Draußen knattern die Mopeds.
Die Fakten: Unterwegs: 7.32 Stunden Gefahren: 5:03 Stunden Schnitt 20,22 km/h Max: 51,6 km/h Gefahren: 100 Kilometer Gesamt: 8459 km Navi: 1557 km Höhenmeter: 120 m Höhenmeter total: 4673 m
Donnerstag, 14. Juni 2007 15. Tag Avignon – Pont du Gard – Arles 73 Kilometer
Leicht heraus aus der Stadt, es herrscht viel Verkehr, sechs-spurig ist die N 100 wie eine Autobahn, blöd zu fahren. Mit flauem Gefühl strampele ich auf dem Seitenstreifen einen langen Berg hinauf, manche hupen, eigentlich habe ich hier auch nichts verloren, aber eine richtige Alternative gibt es auch nicht.Nach 30 Kilometern bin ich um 11 Uhr am Pont du Gard, ein phantastischer Äquadukt der Römer über den Gardon. Ein Erlebnis. Ich lasse mir richtig Zeit, fahre unter den drei großen Steinbögen über den Fluss und lasse dieses gewaltige Bauwerk auf mich wirken. 35 Steinbögen, 49 Meter hoch und trotzdem von filigraner Leichtigkeit. Unglaublich, wie die alten Römer schon rechnen konnten. Zwischen der Quelle und Niemes, dem Ziel des Wassers, beträgt das Gefälle auf 50 Kilometer gerade einmal 17 Meter, das sind 34 Zentimeter pro Kilometer. Und trotzdem flossen damals 20 000 Kubikmeter jeden Tag nach Nimes.
Ich besuche das sehr informative Museum (7 Euro) in dem sehr anschaulich gezeigt wird, mit welchen technischen Mitteln damals diese tonneschweren Quader übereinandergewuchtet wurden. Lohnt sich wirklich.
In Remoulins nehme ich, erschöpft von soviel Kultur und neuem Wissen schon mittags ein Panasche zu mir und starte um 12.45 Uhr nach Arles. Die Fahrt wird eine ausgesprochen unangenehme Angelegenheit. Ein starker Wind steht mir voll auf der Brust, obwohl es flach ist, komme ich kaum über 15 km/h hinaus. Da hilft nur ein: Ipod ins Ohr, John Katzenbachs „Der Patient“ anstellen und diesem recht spannenden Thriller lauschen. Dabei vergeht die Zeit und ich merke gar nicht, wie langsam ich nur vorankomme. Die Landschaft ist auch nicht sehr aufregend, viel Industrie und Verkehr.
Kurz nach 16 Uhr bin ich in Arles, eine knuddelige, schöne kleine Römerstadt. Dem guten Michael Müller folgend, steuere ich zielstrebig das Hotel Gaugin an, frage den dicken zahnlosen Wirt, der in kurzer Hose, mächtigem Bauch unter T-Shirt und freundliche grinsend vor mir steht nach einem Zimmer mit Balkon – und bekomme es auch.
Ach, wie schön: Unter der Decke dreht sich lautlos ein großer Ventilator, die weite Flügeltür öffnet sich und unter mir liegt ein großer belebter Platz. Kein Fernseher, kein Radio, dafür ein winzige Dusche. Ich glaube, hier bleibe ich einfach mal zwei Nächte.
Ich brauche mal eine Pause vor dem Endspurt nach Barcelona – und habe ich nicht immer von jener schmierigen kleinen Bodega in Mexico geschwärmt, wo ich unter einem quietschenden Miefquirl liege mit zwei eiskalten Dosen Budweiser auf dem Bauch? Nun ist es eben Arles statt Mexico.
Jetzt ist es 20.30 Uhr, ich sitze am Amphietheater und gönne mir ein großes Steak. Nachdem sich heute kein Schwein um mich gekümmert hat und weder SMS noch ein Anruf mich erreichte, muss ich mich eben selbst verwöhnen. Doch kaum sitze in der lauen Luft hier, sehe Fledermäusen beim Jagen zu, lärmt das Handy los, Line ruft an, und gleich darauf SMS von Axel, Peter und Klaus. Na siehste, ich bin noch nicht vergessen.
Unterwegs: 5:42 Stunden Gefahren: 4:20 Stunden Schnitt: 17,07 km/h Max: 44,4 km/h Gefahren: 73 Kilometer Gesamt: 8332 Km Navi: 1630 km Höhenmeter: 130 Meter Höhenmeter total: 4803 Meter
Freitag, 15. Juni 2007 16. Tag Arles 0 Kilometer
Erstmals zwei Nächte im selben Bett. Ich kann es kaum glauben, dass ich heute nicht in den Sattel muss, es bekommt mir gut. Noch besser gefällt mir, dass es um 7 Uhr kräftig anfängt zu schütten. Die Blitze zucken nur so, der Donner donnert was das Zeug hält und der Regen rauscht mächtig durch die Löcher in den Dachrinnen. Ist das nicht irre? Am ersten Tag, an dem ich nicht früh auf die Straße muss, kommt der erste richtig harte Regen.
Aber ab 10 Uhr scheint schon wieder die Sonne. Ich kaufe für 9 Euro eine Eintrittskarte Parcure romain, die mir den Zugang zu römischen Stätten in der Stadt eröffnet. Ich schlendere über den römischen Friedhof außerhalb der Stadtmauern, eine Allee aus Sarkophagen, und klettere auf die Bühne des römischen Theaters. Viel Zeit nehme ich mir für das Amphietheater, das nach Rom besterhaltene überhaupt.
Nach dem Kulturtripp bringe ich ein Päckchen mit den warmen Klamotten zur Post, wo sich die Angestellten und Kunden wie in Zeitlupe bewegen. Aber die Leute stehen geduldig Schlange und ertragen es mit unbewegter Mine, wenn eine Oma 15 Minuten braucht, um ein paar Briefmarken zu erwerben. Mein Päckchen kostet tapfere 29 Euro, das Gewicht spielt keine Rolle. Hätte ich das ganze arme Zeug, das ich nicht ein einziges Mal gebraucht habe, doch gleich Zuhause gelassen.
Es schließt sich ein herrlich sonniger Nachmittag auf dem Balkon an. Ich faulenze hemmungslos, flätze mich auf dem Bett herum, trinke Bier, esse Erdnüsse, telefoniere mit daheim und mit Peter in Göttingen, der in Montpellier zu mir stoßen wird. Er packt gerade. Ich höre den halben Schamanen und schlafe selig ein. Um 5 Uhr früh wecken mit die Männer von der Müllabfuhr.
Samstag, 16. Juni 2007 17. Tag Arles – Montpellier 118 Kilometer
Hinaus aus Arles in die Einsamkeit der Camargue. Madame serviert mir wieder ein für französische Verhältnisse üppiges Frühstück, kassiert ihre 76 Euro in Bar, denn Kartengeld kennen sie hier wohl nicht und verabschiedet mich freundlich.
Es wird die schönste Fahrt bisher: Der Himmel ist von einem lichten Blau, es ist warm, aber nicht heiß, brettflach und ein eigener Radstreifen für mich ganz allein. Reiseradler kommen mir entgegen, wir winken und lachen und zu, glückliche Gemeinschaft. Vögel zwitschern, weiße Fischreiher streichen über wasserbestandene Reisfelder. So still. Und nur noch 16 Kilometer bis nach Aigues Mortes.
In Aigues Mortes trinke ich aber nur schnell einen Panasche, es ist so touristisch. Zum Glück spielt direkt vor mir ein Straßenmusikant wirklich wunderbar Gitarre. Die Stadt mit ihrer düsteren, komplett erhaltenen Stadtmauer mit den Ecktürmen hat natürlich schon was, aber es mir einfach zu betriebsam.
In Le Grand Motte sehr ich zum ersten Mal das Mittelmeer. Es ist eine unglaublich hässliche Hotelstadt, aber mit einem schönen, feinsandigen Strand. Ich verfahre mich mal wieder und gerade kurz auf die vierspurige Schnellstraße, die für Fahrräder gesperrt ist. Ich schiebe zurück und finde mit einiger Mühe den Weg zur Grand Travers. Der Weg ist ein zehn Kilometer langer einziger Badestrand, an dem ein Auto am anderen steht. Hinter einem Dünenwall tobt das Strandleben. Ich gönne mir wegen der Gluthitze ein Panasche und lasse mir von dem netten Mädchen hinter der Strandtheke mal wieder die Wasserflaschen mit eiskaltem Wasser aus dem Hahn füllen.
So geht es weiter bis Carnon Plage. In Lattes gibt es mal wieder kein Hotel, also fahre ich weiter Richtung Flughafen. Unterwegs sehe ich ein Schild zum Kyriad-Hotel, prüfe aber erst einmal den Weg bis zur Ankunftshalle. So groß ist der Flughafen aber nicht, also rolle ich die zwei Kilometer zurück und buche bei Gloria ein sehr schönes Doppelzimmer für 55 Euro. Ab jetzt geht es ja durch zwei, da brauche ich nicht mehr so zu knausern. Gloria spricht sogar ganz gut Deutsch, hat mal bei Hannover und Stuttgart gewohnt.
Pünktlich um 18.35 Uhr bin ich mit dem Rad in der Ankunftshalle und sehe auch schon Peter mit dem Helm auf dem Kopf herankommen. Er überragt die anderen um Haupteslänge. Wir fallen uns in die Arme. So schön, nicht mehr allein zu sein. Peter montiert die Pedale, wir pumpen Luft in die Reifen und schon geht es los. Dieses Zusammentreffen, seit Monaten geplant und mit doch einige Ungewissheiten befrachtet, hat schon mal geklappt. Wir lassen uns das Menu schmecken und sinken müde in die Betten.
Die Fakten: Unterwegs: 7:45 Stunden Gefahren: 6:29 Stunden Schnitt: 19,07 km/h Max: 43,6 km/h Gefahren: 118 Kilometer Gesamt: 8650 km Navi: 1748 km Höhenmeter: 20 m Höhenmeter total: 4823 m
Sonntag, 17. Juni 2007 18. Tag Montpellier – Vinassan 126 km
Nach einem wirklich tollen Frühstück im Kyriad rüsten wir uns für die ersten gemeinsamen Kilometer. Mit uns waren nur noch zwei junge Franzosen im Hotel. Und die bleiben sich wirklich treu: Obwohl das Frühstücksbufett geradezu deutsche Ausmaße hat, nehmen die beiden sich nur schwarzen Kaffee und einen Croissont.
Um 8.30 Uhr sind auf sonntäglich leeren Straßen unterwegs, der Himmel ist dicht bewölkt, es bleibt aber trocken. Auf kleinen Straßen fahren wir entlang des Etang de Vic. In Los Aresquiers sehen wir das erste Mal das freie Mittelmeer, nachdem wir zuvor lange an dem Etang einer Art Binnensee, vorbeigeradelt sind. Welch ein Glück: Die Steife Brise weht von Südost und treibt uns seitlich voran. Wenn wir die auf der Brust hätten….
Sete ist nett, aber nicht wirklich hübsch. Doch dahinter beginnt eine 19 Kilometer lange Küstenstraße direkt am weiten Sandstrand. Endlos viele Wohnmobile zeigen, dass der schon längst kein Geheimtipp mehr ist. Aber Straße und Strand sind einfach ideal, um hier ein paar Sandtage im RV zu verbringen.
Peter und ich fahren gut zusammen. Er ist fit und wir haben denselben Rhythmus beim Fahren und beim Pause machen. Durchs hübsche und freundliche Agde geht es auf kleinen Straßen weiter. Ein paar Kilometer folgen wir sogar dem Canal di Midi. Daneben stehen weiße Pferde bis zu den Fesseln im Wasser und grasen friedlich. Weiße Vögel und Fischreiher fliegen zwischen ihnen dahin, fast wie in der Carmargue.
In Serignan machen wir eine Panaschee-Pause. Durch abgeschiedenes, schönes Weinanbaugebiet fahren wir weiter Richtung Narbonne. Unterwegs fahren wir an einem villenartigen Gites de Frances vorbei, zu dem auch noch ein Schild zeigt. Aber es gibt schon seit langer Zeit keine Vermietung mehr, man hat nur vergessen, das Schild vom Radweg zu entfernen. Aber ein paar Kilometer weiter werden wir in einem Nest namens Vinassan fündig, in dem wir niemals ein Hotel vermutet hätten. Die Hotelsuche in der Großstadt Narbonne bleibt uns also erspart.
Wir beziehen ein Zimmer im Erdgeschoss, alles in Gelb, aber sehr hübsch. Zu Essen gibt es hier nichts, aber der nette Mann an der Rezeption schickt uns 100 Meter hoch in den Wald, da würden wir schon etwas bekommen.
Nach dem Duschen schlendern wir in den nahen Pinienwald und erleben das abgefahrendste Restaurant-Erlebnis seit langem. Auf Plastikstühlen sitzen sonst doch so gourmetartige Franzosen und schaufeln gewaltige Portionen Fast-food in sich hinein. Die Kinder wuseln überall herum, an Getränkecontainern kann man Bier Weiß- und Rotwein tanken, so viel man will. Für 13 Euro kann man hier nach Herzenslust Essen und Trinken, die Stimmung ist vergnügt, die Kinder herzig und die jungen Eltern sehr entspannt. Wir auch. Nach den Anstrengungen des Tages ist das genau das Richtige. Wir lassen es uns völlig entspannt schmecken und sinken dann einigermaßen geschafft in die Betten.
Die Fakten: Unterwegs: 9:23 Stunden Gefahren: 6:40 Stunden Schnitt: 19,32 km/h Maximal: 55,2 km/h Gefahren: 126 Kilometer Gesamt: 8775 km Navi: 1874 km Höhenmeter: 200 m Höhenmeter total: 5823 m
Montag, 18. Juni 2007, 19. Tag Vinassan – Argeles 111 Kilometer
Gut geschlafen im Le Mas Pierrot und auch das Frühstück ist prima. Um 8.45 Uhr sitzen wir schon wieder im Sattel, Peter ist ein sehr disziplinierter Begleiter, der kein Stück schwächelt, obwohl es gestern gerade für ihn ein weiter Ritt gewesen ist.
Nach nur fünf Kilometern durch bäuerliches Landschaft sind wir in Narbonne, eine verschlafener Provinzstadt mit einem riesigen gotischen Dom in der Mitte. Das kleine hübsche Einkaufszentrum erwacht gerade, die Leute sitzen in den Cafes. Aber uns ist noch nicht nach Pause und so rollen wir auf einer ausgesprochen hässlichen und überbreiten Ausfallstraße mit mächtig viel Verkehr darauf gleich wieder hinaus.
Und wieder ein hübsche Überraschung: Kaum 500 Meter nach der Abfahrt von Bages umfängt uns totale Ruhe in einer wunderschönen Landschaft. Wir rollen zwischen Weinfeldern und an dem stillen Wasser des Etang de Bages vorbei. Unglaublich, nachdem wir gerade eben noch diesen tobenden Verkehr in den Ohren hatten.
Ebenso schön ist es in Peyriac de Mer, wo wir eine Frühstückspause einlegen. Ein altes Dörfchen, auf dem Platz in der Mitte hat nur das kleine Lädchen auf, alles wirkt völlig verratzt, aber für Ruhe suchende Menschen, die Spaß am Wandern entlang des Etang haben, ist das hier genau das Richtige. Peter merkt sich das schon mal für einen späteren Urlaub vor. So schön bleibt es nicht. Notgedrungen müssen wir auf die N 9 zurück und rattern die 15 Kilometer bis Sigean in wortlosem Windschattenrennen herunter. Hier ist konzentriertes Fahren angesagt, denn der stramme Verkehr ist kaum eineinhalb Meter links von uns. Hier ist übrigens Corbiers-Land, die Quelle unseres gern getrunkenen Weins vom Schluckspecht. In Leucate beginnt zu allem Überfluss auch noch der Regen. Hey Leute, das ist hier Südfrankreich, fast schon Spanien. Hier hat gefälligst die Sonne zu scheinen.
Das tut sie aber nicht und so strampeln wir in einem zum Glück nicht kalten Nieselregen dahin. Peter, das Frohgemüt, ist natürlich durch nichts zu erschüttern. Wir verlassen zweimal die Schnellstraße, scheitern aber jedes Mal dabei, andere Wege zu finden. Außerdem ist es nicht schön dort: Massenhafter Badetourismus, allerdings sind kaum Leute zu sehen. Der Regen hört bald wieder auf, aber irgendwie ist das landschaftliche alles nicht so toll. Auf der Karte sah das attraktiver aus, als es in Wirklichkeit ist. In Canet-Plage, etwa auf Höhe von Perpignan holen wir uns Käse, Wurst und Bier aus einem Lidl-Markt und machen Rast auf einer Betonmauer. Ein Franzose kommt tatsächlich vorbei, um an dieser unwirtlichen Stelle seinen Hund auszuführen. Wir plaudern ein bisschen, so weit es unsere rudimentären Sprachkenntnisse zulassen.
Ziemlich flott sind wir jetzt unterwegs, der Führende fühlt sich offenbar immer verpflichtet, besonders heftig in die Pedale zu treten, der andere muss dann hinterherschnaufen.
In Argeles beziehen wir Quartier im Astoria. Die Besitzer kommen aus Luxenbourg und haben das Hotel gerade übernommen. Sie sind wirklich nett und verwalten diesen Palast in pinkfarbenen Gelsenkirchener Barock. Wer hat so was schon mal gesehen? Immerhin: Der Balkon zeigt nach Süden und dort sehen wir schon die imposante Bergkette, über die wir wohl morgen drüber müssen, um endlich in Spanien zu sein.
Nachdem Peter höchst erfindungsreich seine nassen Klamotten über der Abwärme des Kühlschranks zum Trocknen aufgehängt hat (seine sind am nächsten Morgen tatsächlich trocken, meine noch ziemlich klamm) schlendern wir ins hübsche Städtchen und finden beim Italiener ein prima Essen.
Die Fakten: Unterwegs: 7:47 Stunden Gefahren: 5:39 Stunden Schnitt: 20:07 km/h Maximal: 48 km/h Gefahren: 111 Kilometer Gesamt: 8887 km Navi: 1986 km Höhenmeter: 200 m Höhenmeter total: 6023 m
Dienstag, 19. Juni 2007, 20. Tag Argeles – Cadaques 77 Kilometer
Heute also steht die gefürchtete Bergetappe an – die sich später als gar nicht so schlimm erweisen soll. Bestens gestärkt vom Luxembourger Wirts-Ehepaar, die uns wirklich gut in ihrem geschmacksverirrten Hotel beherbergt haben, starten wir um 9.10 Uhr und rollen entspannt in Richtung Collioure. Die erste Steigung endet prompt an einem Aussichtspunkt.Eine echte Sackgasse am Ende eines tierischen Berges, aber der Blick auf den Strand von Racou-Plage war sehr schön. Wir rollen den steilen Hang flugs wieder abwärts und schwören uns, ab jetzt auf der Hauptstrecke zu bleiben.
Die Ausblick auf Küste und Meer sind einfach umwerfend. Dazwischen liegen immer wieder geschützte Tal-Lagen, in denen Wein angebaut wird. Es geht stetig auf und ab, doch die Steigungen sind durchweg moderat. Wir müssen nie schieben und die Abfahrten sind einfach toll. Schön auch: es gibt kaum Verkehr.
Peter erweist sich als Heizer vor dem Herren. Sowohl bergauf wie auch bergab. Den Berg hinauf kurbelt er konsequent auf dem mittleren Ritzel, die kleine Scheibe vorn lehnt er aus grundsätzlichen Überlegungen ab. Weil ich das nicht tue, enteilt er mit bei jeder Steigung nach wenigen Meter. Und da hatte ich mir Sorgen gemacht, er käme nicht hinterher… Auch bei den Abfahrten legt er in den Kurven einen Zahn vor, dass ich kaum mithalten kann. Aber insgesamt harmonieren wir prächtig, jeder fährt seinen Tritt und es gibt keinen Stress.
In Banyuls sur Mer eine Pause. Jetzt sind es nur noch ein paar Kilometer bis zur spanischen Grenze.Der Aufstieg zur Grenze ist mal wieder viel weniger anstrengend, als ich zuvor befürchtet hatte. Es geht zwar ständig bergauf, aber die Steigung ist angenehm, die Sonne gibt sich zwar schön Mühe, brennt aber nicht wirklich störend und dann plötzlich um 12.45 Uhr ist der große Moment da. Exakt bei Kilometer 2024 sind wir an der französisch-spanischen Grenze. Die ist völlig verödet, kein Grenzer weit und breit, die desolate Station ist von Grafitti überzeichent. So ist Europa heute, sehr schön.
100 Meter weiter wird es doch noch etwas feierlicher. Schöne blaue France- und Espanol-Schilder mit goldenen Europa-Sternchen, verbunden mit Gedenktafeln für katalanische Widerstandskämpfer gegen die Nazis, machen den Grenzübertritt doch noch zum erhofften Erlebnis. Dass hier schon Katalonien ist, war mir gar nicht bewusst. Wir fliegen förmlich den Berg hinunter nach Portbou, wo wir das erste Panaschee auf Spanisch trinken (am Preis merkt man sofort, dass Frankreich hinter uns liegt) und eine gute Karte von der Costa Brava kaufen. Der erste Eindruck: Hier ist alles gut ein Drittel billiger als in Frankreich.
Hinter Colera stoßen wir auf die schöne kleine Bucht Grifeu. Hier gehen wir zum ersten Mal im Mittelmeer baden, obwohl uns eine besorgte Frau auf angebliche Feuerquallen aufmerksam macht. Allerdings sehen wir keine und das Wasser ist klar und frisch. Schon um 15 Uhr sind wir in Llance und stellen fest, dass wir schon viel zu nahe an Barcelona sind. Wir dürfen nicht zu früh kommen, schließlich müssen die Kinder arbeiten. Wohin also?
Wir konsultieren die neue Karte und entscheiden uns für einen Schlenker auf die Creus-Halbinsel nach Cadaques. Ein Besuch beim alten Dali, genau richtig. Die Küstenstraße führt herrlich um die Bucht von El Port de la Selva herum, ab da geht es flach in den Naturpark Cap de Creus hinein. Es ist heiß und trocken, ein bisschen erinnert die Landschaft an den Südwesten der USA.
Aber flach bleibt es nicht, im Gegenteil. Rund acht Kilometer schrauben wir uns in weiten Schwingen sanft bis auf 260 Meter Höhe hinauf. Auch das ist kein Problem. Pinienwälder, Weinberge, karstige Hügel, bis auf 600 Meter über Null, viele Vögel, sonst Stille.Wir fligen fünf Kilometer den Berg hinab zu den blenden weißen Häusern von Cadaques. Direkt im Zentrum finden wir ein prima Zimmer mit Balkon und Meerblick für 45 Euro.
Abends bummeln wir durch die Stadt, der Weg Richtung Port Lligat zu Dalis Haus erweist sich aber als entschieden zu weit. Also gehen wir zurück am Meer entlang, machen eine kleine Rast auf einem hübschen Rastpunkt. Auf dem Hauptplatz bekommen wir im Restaurant einen Tisch ganz vorn.
Die Fakten: Unterwegs: 9:08 Stunden Gefahren: 5.06 Stunden Gefahren: 77 km Schnitt: 15,49 km/h Maximal: 50,8 km/h Gefahren: 8963 km Höhenmeter: 1050 m Höhenmeter total: 7073 m Navi: 2063 km
Mittwoch, 20. Juni 2007, 21. Tag Cadaques – Tamariu 97 Kilometer
Im Hostal Marina gibt es tatsächlich kein Frühstück. Also nehmen wir in einem Cafe gegenüber ein wahrhaft kleines Frühstück ein: ein Croissant und ein müder Kaffee müssen genügen. Im Nu haben wir die Räder bepackt und um 8.45 Uhr sitzen wir schon in den Sätteln und machen uns an den fünf Kilometer langen Aufstieg, den wir gestern so herrlich hinabgeflogen sind. Die Luft ist klar, die karstigen Berge stehen wie hingemeiselt vor dem Blau des Himmels. Schneller als erwartet haben wir die Höhe erreicht und radeln auf einer wunderschönen Straße an der Bergflanke hoch über dem Naturpark hinweg. Hoch über Roses machen wir eine Rast, trinken Orangensaft und essen Muffins, Rennradler kommen aus dem Tal herauf, alle grüßen und freundlich. Weil wir noch viel zu viel Zeit haben, entschließen wir uns, einen Abstecher nach Figueras zu machen, um das Dali-Museum zu besichtigen.
Kaum haben wir den Berg nach einer mal wieder herrlichen Schussfahrt hinter uns, beginnt die vierspurige Straße nach Figueras, die wir im Expresstempo und konzentrierten Windschatten-Fahren hinter uns bringen. Ekelhafter Kontrast: Eben noch die Ruhe des Naturparks, jetzt ein elender Verkehr.
Vor dem Museum ist erstaunlicherweise nur eine kleine Schlange. Ein netter Mitarbeiter schließt unser Gepäck ein, die Räder ketten wir an eine Eisenstange und schon umgibt uns die wunderbar schräge Kunst von Dali. Vor fast 25 Jahren war ich zuletzt hier und es begeistert mich wie beim ersten Mal, obwohl schon reichlich Menschen da sind.
Auf winzigen Straßen geht es durch abgeerntete Getreidefelder mit mal runden, mal eckigen Strohballen weiter Richtung Süden. Ein strammer Wind bläst uns entgegen.
Die Straßen werden immer kleiner, letztlich sind es nur noch Feldwege. Ohne Peters phantastischen Richtungs- und Orientierungssinn würden wir uns wohl total verfranzen, denn die Karte ist längst keine Hilfe mehr. Orientierung bekommen wir erst wieder in Viladamat, aber die C 31 ist wirklich eine Scheißstraße. Zwei Spuren, eng, kein Randstreifen auf den man sich flüchten kann. Die Laster knattern einen halben Meter an uns vorbei und rütteln uns jedes Mal richtig durch. Wir sind heilfroh, als wir nach Torroella de Montgri einrollen, eine richtig hübsche kleine Stadt mit engen alten Gassen und einer schönen entspannten Atmosphäre. Auf dem Kirchplatz legen wir eine Rast ein und weil wir es uns wirklich verdient haben, gönne ich mir zwei große Panaschee, halt, ab hier heißen die ja Clara. Oberlehrer Peter warnt vor den verheerenden Wirkungen des Alkohols in nachmittäglicher Hitze, was ich souverän in den Wind schlage. Das wird sich noch rächen.
Die C31 wird nicht wirklich schöner und so sind wir heilfroh, als wir Pals erreicht haben und Richtung Begur aufs Meer zufahren können. Peter hat sich an ein wunderbares Hotel in Tamariu erinnert, in dem er, Hilde und Ju vergangenes Jahr schön genächtigt haben. Und nicht mal teuer. Das also soll es heute sein.
Die lange Steigung nach Begur gibt mir den Rest. So fix und foxy war ich auf den ganzen 2000 Kilometer nicht mehr. Mit Pudding in den Beinen erstreckt sich die Steigung endlose zwei, gefühlte 20 Kilometer kerzengerade vor mir in den Horizont. Peter ist ein wahrer Freund. Er umkreist mich wie ein Schäferhunde die erschöpfte Herde, fährt Windschatten und spricht Mut zu. Endlich kommt das Ortschild von Begur in Sicht und irgendwie kehrt damit auch die Kraft zurück.
Als Sahnehäubchen kommt ein elend steiles Stück bis zum Gipfel. Kleiner Trost: jetzt schiebt auch mein Begleiter. Das Problem: kein einziges winziges Schild zeigt nach Tamariu. Als wir im Supermarkt auf des Berges Gipfel die Packtaschen mit köstlichem Dosenbier füllen, fragte Peter einen jungen, leicht übergewichtigen Spanier nach dem Weg nach Tamariu. Oh, das sei ziemlich weit weg, unkt der herum. Wie weit, fragt Peter. So gute fünf Kilometer! Peter klärt den jungen Mann über unsere Tagesetappen auf und dann geht es schrecklich viele Höhemeter wieder abwärts. Eine Asiatin rät uns, weiter talwärts zu fahren, den Weg über den Berg nach Tamariu würden wir nicht schaffen, der sei gaaaanz schlimm.
Also weiter nach unten Richtung Palafrugell. Beim nächsten Supermarkt gibt uns schließlich ein Engländer den entscheidenden Tipp: „500 Yards, left, straight ahead through the wood to Tamariu. The other way will brake your bone.“
Das wollen wir nun auch nicht, also befolgen wir den Rat, denn er stimmt genau. Nach zwei Kilometer auf staubiger Piste auf namenlosem Weg durch einen namenlosen Wald sind wir im Paradies, das hier auf den Namen Tamariu hört. Mit den Nachsaison-Preisen ist es hier allerdings nichts derzeit. Wir buchen für 136 Euro das teuerste Zimmer der Tour, aber es lohnt sich. Es ist traumhaft schön hier. Wir gehen schwimmen im unglaublich klaren Wasser und bummeln anschließend über die sehr überschaubare Promenade zu einem Aussichtspunkt mit Blick aufs Meer und beschaulich dümpelnden Booten. Das Abendessen ist mittelprächtig, aber uns geht es richtig gut. Julia ruft aus Barcelona an und bereitet das Treffen übermorgen vor. Kaum zu glauben: Der Tripp geht dem Ende zu.
Die Fakten: Unterwegs: 9:33 Stunden Gefahren: 5:51 Stunden Schnitt: 16,89 km/h Max: 46,1 km/h Gefahren: 97 Kilometer Gesamt: 9060 km Navi: 2160 km Höhenmeter: 600 m Höhenmeter total: 7673 Meter
Donnerstag, 21. Juni 2007, 22. Tag Tamariu – Tossa de Mar 60 Kilometer
Wir starten mit einem morgendlichen Bad im Meer. Es ist ein bisschen frisch aber ich staune wieder über dieses absolut glasklare Wasser, in dem nicht die kleinste Trübung zu erkennen ist. Im Wintergarten des Hotels nehmen wir ein sagenhaftes Frühstück mit Blick auf das Meer ein. Hier lässt sich´s gut sein. Wir unternehmen eine Wanderung an der felsigen Steilküste entlang. Erst breite Felsenzungen, über die wir klettern müssen, dann lichte Pinienwälder und immer wieder weite Blicke übers Meer, das mal tiefblau, mal türkis durch die Bäume schimmert, einsame Buchten, Tamariu ist wirklich ein herrliches Fleckchen.
In einer Bucht bekommt Peter nach ungefähr zwei Minuten Pause schon wieder Hummeln in den Hintern. Er will unbedingt zum Leuchtturm gehen, weil ihm den Weg dorthin Hilde und Ju im vergangenen Jahr verwehrt haben. Diesmal bin ich der Spielverderber. Ich bleibe ab kiesigen Strand liegen und schaue den Kormoranen zu, wie sie ihr Gefieder in der Sonne zum Trocknen spreizen, während Peter weitermarschiert.
Der Weg allein zurück hat auch seinen Reiz. Auf dem ersten Teil der Tour habe ich schon gelernt, mit mir allein ganz zufrieden zu sein und so macht es mir Spaß, allein auf den Felsen zurück zum Dorf zu balancieren. Kaum habe ich mich mit einer Flasche kaltem Mineralwasser (irgendwas ist als Mahnung von gestern doch hängen geblieben) niedergelassen, kommt auch schon ein erhitzter Peter an. Auch diesmal hat der den Weg zum Leuchtturm nicht geschafft. Da bleibt noch Unerledigtes zurück für den nächsten Besuch.
Um 12.30 Uhr sind wir auf den Rädern. So spät bin ich die ganze Tour noch nicht in die Gänge gekommen, aber heute haben wir ja auch nur eine kleine Etappe vor uns.Die Steigung hat jeden Schrecken verloren. Völlig entspannt kurbeln wir uns bergwärts bis zum Leuchtturm Far de Sant Sebastia, von wo wir einen tollen Blick nach Palafrugell und Calella haben. Durch den Badeort geht es im steten Auf und Ab Richtung Jardi Botanic, den wir durchqueren wollen. Die Einfahrt in den staubigen Pinienwald ist noch toll ausgeschildert, doch ein paar hundert Meter später haben die Spanier wohl die Lust daran verloren und sie schicken uns auf eine nette kleine Odysee. So kommen wir weit oberhalb von Palamos aus dem Wald heraus, macht nichts. Durch große Badeorte fahren wir an der Küste entlang weiter bis nach Sant Feliu de Guixols, wo einmal mehr ein langer, langer Anstieg auf die Traumstraße der Costa Brava auf uns wartet. Die Straßen haben wir fast für uns allein, denn seit im Hinterland die Autobahn gebaut wurde, fährt hier nur alle paar Minuten ein Auto entlang. Fürs Radeln ist das einfach wunderbar, da stören auch die Steigungen nicht, die ersten kurz, zweitens nicht sehr steil sind und drittens zuverlässig in erholsame Abfahrten münden. Leider scheint es überall neue Urbanicationen zu geben. Alles, so scheint es, wird hier nach und nach zugebaut.
Die Straße hält etliche Anstiege für uns bereit. Peter muss einen Hilfsmotor am Rad eingebaut haben. Kerzengerade im Sattel sitzend verschwindet sein gelbe Leibchen nach wenigen Minuten am Berg in der nächsten Kurve. Der Mann ist völlig ermüdungsfrei und das mit (fast) 62!! Sohn Philip wird sich freuen, dass er zeigt, „wie Silies Pedale treten können“.
Um 18 Uhr sind wir in Tossa de Mar und finden in einem kleinen Hostal direkt am Meer für 36 Euro ein echt schlichtes Zimmer. Peter war hier schon mal, der Wirt ist von sagenhafter Wortkargheit und herrlich unfreundlich zu seinen offenbar einzigen Gästen. Wir haben unsren Spaß daran.Abends eine kleine Wanderung zur Festung oberhalb von Tossa mit Besuch bei Peter und Hildes Lieblingsecke. Abends im Tappa-Restaurant schmeckt es prima, wir haben uns viel zu erzählen.
Die Fakten: Unterwegs: 6:10 Stunden Gefahren: 4:01 Stunden Schnitt: 14,95 km/h Maximal: 47 km/h Gefahren: 60 Kilometer Gesamt: 9210 km Navi: 2220 km Höhenmeter: 840 Meter Höhenmeter total: 8513 m
Freitag, 22. Juni, 23. Tag Tossa de Mar – Barcelona 95,5 Kilometer
Der muffelige Chef vom Hostal del Mar bereitet uns tatsächlich ein passables Frühstück. Während wir noch ratlos auf der Straße nach ihm Ausschau halten, biegt er mit einer großen Brötchentüte um die Ecke. Wir setzen uns auf der anderen Straßenseite an die Strandpromenade, flüchten schon jetzt von der Sonne und zahlen wenig später bereitwillig unsere 40 Euro. Der Muffelkopp ist eigentlich gar nicht so übel.
Kurz hinter dem Ortsausgang von Tossa überholen wir einen schwer bepackten Radler, der schon vor dem eigentlichen Anstieg im kleinsten Gang dahinstrampelt. Als ich vorbeifahre, grüße ich einfach auf Deutsch mit „Guten Morgen“ und siehe da, er antwortet. Die Wahrscheinlichkeit auf deutsche Fernradler zu treffen, ist halt unerreicht hoch
Der Solist kommt aus Erfurt, ist einen Tag nach mir losgefahren und will noch bis nach Malaga – müssen noch so rund 900 Kilometer sein. Sein Rad ist wirklich schwer bepackt, er schläft im Zelt und strahlt eine entspannte Ruhe aus. Nach einigen Freundlichkeiten lassen wir ihn hinter uns, wenige Minuten später entschwindet Peter weit vorn hinter einer Kurve und so sind wir an diesem schönen Sonnentag drei einsame Radler aus Deutschland, die einig und doch getrennt die Steigung angehen.
Eine lange Talfahrt bringt uns nach Lloret de Mar, das genau so grässlich ist, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir bleiben keine Minute länger als unbedingt nötig und fahren einfach durch. Die stark befahrene Nationalstraße schützt uns immerhin mit einem breiten Seitenstreifen. Blanes ist nicht viel anders, Maigrat de Mar dagegen riesig, eine unfassbare Touristenmaschine. Immerhin kommen wir hier an den Strand, der die ganze Strecke über von der Eisenbahnlinie förmlich abgeschnitten ist.Ab jetzt wird es wieder schön, denn wir können dem kilometerlangen, weiten Sandstrand folgen. Wir fahren auf der Promenade und das geht wunderbar: Strandleben pur, entspannte Menschen, alle paar hundert Meter eine Strandbar.
Die Sonne brennt ziemlich erbarmungslos auf uns herab – und ausgerechnet heute habe ich vergessen, mich einzucremen und so handele ich mir tatsächlich am letzten Tag der Tour einen Sonnenbrand ein. Die Fahrt ist viel besser als gedacht. Immer wieder können wir von der Straße an den Strand wechseln. Das ist nicht immer einfach und wir müssen die Augen offen halten, um die Unterführungen unter Straße und Eisenbahn nicht zu verpassen. Der Wechsel zwischen dem dröhnenden Verkehr und der Ruhe nur ein paar Meter weiter ist jedes Mal faszinierend.
In Arenys de Mar kaufen wir in einem riesigen Einkaufszentrum Baguettes und Käse, und hinter Mataro schieben wir durch einen düsteren Durchlass unter der Straße zur Pause am heißen, schönen Strand, an dem nur ein paar Menschen weit verstreut herumliegen.
Ab hier wachsen die Städte so zusammen, dass man sie kaum auseinanderhalten kann. Am Strand geht das schon gar nicht, und hier kann man eigentlich durchgehend auf der Promenade fahren. Im Dunst erkennen wir schon die Türme von Barcelona. Was für ein Gefühl, wir haben es wirklich bald geschafft.
Um 16 Uhr sind wir in Badalona, wo wir uns mit Julia treffen wollen. Bei zwei großen Clara am Strand achten wir argwöhnisch auf Räder und Gepäck. Tim hat uns gewarnt: Lasst sie nicht eine Minute aus den Augen sonst sind sie weg. Das ist nicht mehr das Land, das ist B a r c e l o n a!! Und hier wird geklaut, was das Zeug hergibt. Also geht Peter allein schwimmen, während ich Wache halte.
Um 17 Uhr will Julia am Bahnhof ankommen. Wir stehen Spalier auf der anderen Bahnsteigseite, aber sie kommt nicht. Auch im nächsten Zug ist sie nicht. Peter schickt eine SMS, die Antwort bringt die Erklärung: Zugunglück. Aus unerfindlichen Gründen ist ein Lok-Führer mit seinem zum Glück leeren Zug mit Tempo 120 in eine Baustelle gerast, wo eigentlich 30 km/h vorgeschrieben waren. Der Zug verunglückte und der ganze Zugverkehr in Barcelona ist zusammengebrochen.
Julia will mit der Metro kommen, wir sollen am verabredeten Punkt, also am Bahnhof warten. Das ist aber nun gar nichts für Peter. Wir fahren zur Metro-Station, ruft er und ist schon 200 Meter weg. Also hinterher. Ich denke, das klappt nie, wie wollen wir Julia in diesem Straßengewirr finden.
Es klappt doch. Auf dem Weg zur Metro sehen wir an einer Kreuzung zwei Frauen mit ihren Rädern auf Grün warten, sich dabei angeregt unterhaltend. Peter ruft: „Julia“ und völlig überrascht liegen wir uns in den Armen. So ein Glück. Die andere Frau hatte Ju gerade kennen gelernt und sich nach dem Weg zum Bahnhof erkundigt. Zufälle gibt´s.
Jetzt ist das Glück aber perfekt. Julia lotst uns durch abenteuerliche Ecken am Strand, mit Graffiti übersäte Betonbrücken, seltsame, verlassene Hafenteile, in denen die Straßenjungs baden. Auf der Brücke hinter den drei so charakteristischen Türmen der Müllverbrennungsanlage, die abgerissen werden sollen, erreichen wir auf der Brücke die Stadtgrenze von Barcelona. Es ist geschafft, Julia hält den historischen Moment in Bildern fest.
Gemächlich rollen wir weiter zu Julias Surfclub am Strand. Hier wollen wir uns mit Tim treffen, der natürlich immer noch im Studio ist und arbeitet. Endlich kommt er an, braungebrannt auf meinem guten alten Cannondale. Jetzt sind also meine beiden Räder gemeinsam in Barcelona, das eine per Flieger, das andere per Muskelkraft. Irgendwie kann ich es noch gar nicht richtig glauben, dass ich jetzt am Ziel bin.
Nach einem Bad im Meer, bekommen wir von Tim und Ju unsere Geschenke: Zwei Zara T-Shirst mit den beiden Radfahrern aus dem Quattro Cats und der Aufschrift Kassel – Montpellier – Barceolna. So eine tolle Idee, wir freuen uns riesig und sind mächtig stolz.
Mit dem Rad fahren wir quer durch die Stadt zum Eixample. Das geht erstaunlich gut, denn seit meinem letzten Besuch hier sind überall auf den Hauptverkehrsachsen Radstreifen angelegt worden, auf denen man nahezu völlig unbehelligt vom Verkehr fahren kann. Das geht wunderbar und so sind wir nach kurzer Zeit in der Conselle de Cent und damit – daheim.
Die Fakten: Unterwegs: 11:36 Stunden Gefahren: 5:50 Stunden Schnitt: 16,9 km/h Maximal: 47 km/h Gefahren: 95,5 Kilometer Navi mit Peter: 566 km Navi insgesamt: 2315 Kilometer bis Barcelona Gesamt: 9215 Kilometer Höhenmeter: 430 m Höhenmeter total: 8945 Meter
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Geändert von tomtaurus (14.01.13 16:06) |
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#899211 - 14.01.13 16:41
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Moderator
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Auch mir macht's Lesen Spaß - auch wenn mir Rheinländer zwischendurch mal die Nackenhaare zu Berge standen: Als Spezialität haben sie hier „Himmel + Erde“ auf der Karte. Das ist Apfelmus, Kartoffelbrei und Bratwurst. Bratwurst?Gruß Uli
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"Too much smoke, too much gas. Too little green and it's goin' bad!". "So sad", Canned Heat, 1970
Dear Mr. Putin, let’s speed up to the part where you kill yourself in a bunker. | |
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#899251 - 14.01.13 17:51
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Hallo Tom, Gratulation zu deinem Einstand mit einem flotten Bericht, der sich locker, leicht, lecker, (lichter) aufsaugen lässt. Ein paar Schmunzler deiner unbefangenen Erzählweise darf ich aber mal in ebenso augenzwinkenderweise zitieren: Die Hotelsuche in der Großstadt Narbonne bleibt uns also erspart. eine HALBE Großstadt... ... Argeles – Cadaques ... Heute also steht die gefürchtete Bergetappe an – Hm, hm - ja, ja - die Bergetappe... - ich glaube du hast die westlichen Berge schön elegant absichtlich umfahren, der Tour Madeloc wäre schon mal eine guter Appetithappen gewesen auf den Rest der Pyrenäen... Diese Anmerkung an der französisch-spanischen Grenze. ... 100 Meter weiter wird es doch noch etwas feierlicher. Schöne blaue France- und Espanol-Schilder mit goldenen Europa-Sternchen, verbunden mit Gedenktafeln für katalanische Widerstandskämpfer gegen die Nazis, ... dürfte hingegen sachlich nicht ganz zutreffend sein. Vermutlich handelt sich eher um eine Gedenktafel für deutsche Flüchtlinge, die vor den Nazis flohen? Insbesondere könnte es sich um eine Gedenkstelle zu Ehren Lissa Fittkos bzw. Walter Benjamins handeln. Walter Benjamin, bedeutender Berliner Philosoph, scheiterte mit seiner Flucht in Portbou, weil er von der spanischen Polizei wieder nach Frankreich abgeschoben werden sollte, das von den Nazis besetzt war. Es war gerade ein neues Gesetz in Kraft getreten, man wusste auch noch nicht, wie die Frankisten in der gerade erst besetzten Grenzstadt reagieren würden. Die Folgen fürchtend brachte sich Walter Benjamin in der folgenden Nacht um. Es ist auch denkbar, dass die Gedenktafel spanischen Widerstandskämpfer gegen Franco gewidmet ist - die haben allerdings i.d.R. nicht gegen die Nazis gekämpft - im Gegenteil, sie fanden sogar im Nazi-besetzten Frankreich Unterschlupf. Ein solche Gedenktafel findet sich z.B. am Col de Banyuls - das ist von Banyuls Richtung spanisches Binnenland. Umgekehrt ließ der Faschist Franco deutsche Flüchtlinge durch Spanien passieren (Durchreise nach Amerika z.B.). Die "verbündeten" Franco und Hitler konnten nicht gut miteinander, trotz ihrer gemeinsamen faschistischen Gesinnung, die aber unterschiedliche Ziele hatten. Die Geschichte ist da sehr kompliziert. In einigen Gebieten halfen tatsächlich vertriebene Anti-Frankisten der französischen Résistance im Kampf gegen die Nazis - das war aber in der absoluten Endphase der Besatzung Frankreichs und natürlich auf französischen Boden. Dazu gibt es aber nur selten eine Infotafel - z.B. etwa in der Mitte der Pyrenäen am Col de Py mit der Fluchtroute um den Mont Valier. In Portbou gibt es direkt am Meer ein Stahl-Denkmal zu Ehren Walter Benjamins, das man begehen kann und an dem man das Rauschen des Meeres vernehmen kann - in gewisser Weise auch die Schreie der gescheiterten Flüchtlinge. Von Banyuls-s-Mer nach Portbou führt auch der "Chemin Walter Benjamin", eine Passroute durch das Küstengebirge, die den Fluchtweg nachzeichnet, den zahlreiche Verfolgte gegangen sind, aber auch einige erschöpft nicht überlebt haben. Lisa Fittko, selbst von den Nazis Verfolgte, machte sich als Fluchthelferin verdient. Dieser Fluchtweg ist aber weitgehend nicht mit einem gewöhnlichen Reiserad befahrbar (Col de Rumpissa). Etwas mehr steht auch noch in meinem Pyrenäenbericht des vorletzten Jahres (s. Profil). Ansonsten: Weiter so beim Berichte-schreiben! Fotos kannst du auch noch in einem Folgebeitrag nachreichen, ist dann nicht im laufenden Text. Wenn du viele Fotos hast (über 20-30?), mach lieber einen Link zum Fotoportal, sonst ist das zum Betrachten immer etwas ungelenk und schwierig. Die Forumsstruktur ist kein geeignetes Fotodarstellungsprogramm.
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Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings! Matthias Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen |
Geändert von veloträumer (14.01.13 17:53) |
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#899349 - 14.01.13 21:06
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: Uli]
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Sorry, lieber Rheinländer, wenn die Bratwurst falsch ist. Ich kannte diese Götterspeise nicht. Was tritt denn da an die Stelle der Wurst?
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#899354 - 14.01.13 21:13
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: veloträumer]
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Hallo Matthias, danke für die fundierte Aufklärung. ich konnte die Infotafeln nicht lesen und habe das aus denausdrucksstarken Bildern geschlossen Die Bilder könnte ich in Dropbox hochladen und darauf verlinken, geht das?
Habe deinen spannenden Pyränen-Bericht gelesen. Ich will im Juli wieder nach Spanien, diesmal aber durchs Zentralmassiv und die Cevennen und dann mal richtig über die Berge. Bin jetzt dabei die Route auszuarbeiten und suche eine nicht zu harte Pyränen-Passage. Das Ziel ist wieder Barcelona, weil da Sohn und Familie leben. Hast du einen Vorschlag wie ich über die Berge komme?
Gruß aus Nordhessen Tom
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#899356 - 14.01.13 21:14
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Momentan noch sprachlos, prächtig :-) Hab' die Strecke schon oft (leider per Auto gemacht) schön das aus der Velo-Perspektive zu sehen! Deine Schreibe ist wirklich erfrischend unverschnörkelt und aus dem life aus dem Leben/Sattel. Danke!
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Geändert von bep (14.01.13 21:26) |
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#899363 - 14.01.13 21:24
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Sorry, lieber Rheinländer, wenn die Bratwurst falsch ist. Ich kannte diese Götterspeise nicht. Was tritt denn da an die Stelle der Wurst? Gebratene Blutwurst
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#899369 - 14.01.13 21:39
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: veloträumer]
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Es ist auch denkbar, dass die Gedenktafel spanischen Widerstandskämpfer gegen Franco gewidmet ist - die haben allerdings i.d.R. nicht gegen die Nazis gekämpft - im Gegenteil, sie fanden sogar im Nazi-besetzten Frankreich Unterschlupf. Da liegst du sicher richtig. Am Coll dels Belitres gibt es ein Mahnmal, das den spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen gewidmet ist. Im Februar 1939 sind am Ende des Bürgerkriegs im Rahmen der so genannten Retirada (katalanisch: Rückzug) innerhalb weniger Wochen etwa 500.000 zwischen Portbou und Puigcerdà nach Frankreich geflohen, davon etwa 200.000 bei Portbou. Mehrere Monate haben die meisten davon in improvisierten Lagern am Strand von Argelès zugebracht, bevor sie auf andere Internierungslager, u.a. im nahe gelegenen Rivesaltes, verteilt wurden. Kein besonders ruhmreiches Blatt der französischen Geschichte ist das. http://ca.wikipedia.org/wiki/Coll_dels_Belitres
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#899375 - 14.01.13 21:50
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Die Bilder könnte ich in Dropbox hochladen und darauf verlinken, geht das? Das sollte gehen, obwohl ich ein Laie bin und z.B. nicht genau weiß, was eine Dropbox ist. Die Bilder müssen halt irgendwo auf einem Server online liegen, dann kann man sie verlinken. Ich will im Juli wieder nach Spanien, diesmal aber durchs Zentralmassiv und die Cevennen und dann mal richtig über die Berge. Bin jetzt dabei die Route auszuarbeiten und suche eine nicht zu harte Pyränen-Passage. Das Ziel ist wieder Barcelona, weil da Sohn und Familie leben. Hast du einen Vorschlag wie ich über die Berge komme Trainieren. Ernsthaft: Der Col de Perthus ist ein sehr simpler Pass, leider aber sehr verkehrsreich und daher mit Familie nicht zu empfehlen. Ein "relativ" weicher Übergang ist aber auch der Col d'Ares über das Tech-Tal. Danach kann man recht einfache, dennoch schöne Routen durch die Vulkanregion Garrotxa nach Barcelona bzw. Girona fahren. Da gibt es auch die sog Vias Verdes - alte Bahntrassen als Radwege hergerichtet. Im Forum gibt es dazu Infos, vielleicht auch in Radwiki. Die Bahntrasse bin ich nie komplett gefahren, nur einen kleinen Ausschnitt und weiter Richtung Hochgebirge. Von den Cevennen kommend gibt es im Corbières auch weiche Übergänge. Z.B. südlich von Narbonne über Durban und Tuchan nach Estagel, weiter nach Millas (leichter Pass), Abstecher zu den Felsorgeln in Ille-s-Têt, weiter über Thuir (Weinfass), Llauro nach Ceret im Tech-Tal. Bis dahin alles sehr moderat. Den Col d'Ares dann vielleicht schön aufteilen.
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Geändert von veloträumer (14.01.13 21:52) |
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#899497 - 15.01.13 11:59
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Echt ne flotte Tour und ne flüssige Geschichte, die das Ziel Barcelona leider viel zu schnell erreicht hat. Denn ich würde jetzt gerne noch ein paar Kapitel weiter lesen. Vielleicht bist Du ja von Barcelona wieder zurück nach Kassel geradelt und hast noch was in petto?
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Allen gute Fahrt und schöne Reise. | |
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#899550 - 15.01.13 13:22
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: kettenraucher]
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Hallo kettenraucher (was für ein Name!!) Danke für die nette Rückmeldung. Nein, heimwärts ging es leider mit dem Flieger, damals habe ich noch gearbeitet und nicht so viele Urlaubstage parat, heute, in Altersteilzeit, sieht die Sache schon anders aus. Ich habe noch eine kürzer Tour von Kassel nach Berlin aus 2008, mal sehen, ob ich die auch noch einstelle.
Gruß tom
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#899553 - 15.01.13 13:23
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: veloträumer]
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Hi Matthias, herzlichen Dank für die Vorschläge, die werde ich mir mal auf der Karte genau angucken. Gruß tom
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#900041 - 16.01.13 19:04
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Hallo Tomtaurus, Deinen Reisebericht zu lesen hat sehr viel Spaß gemacht. Auch ohne Fotos konnte ich mir duch die lebendige Beschreibung vieles genau vorstellen. Ich wünsche Dir noch viele schöne Touren und hoffe auf weitere Reisberichte. Gruß Gertrud www.touren-speichenbruch.de
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#900342 - 17.01.13 13:46
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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Geändert von tomtaurus (17.01.13 13:47) |
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#900351 - 17.01.13 13:57
Re: Radtour von Kassel nach Barcelona
[Re: tomtaurus]
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