Vogesen-Tripel 2012 & die Folgen

von: veloträumer

Vogesen-Tripel 2012 & die Folgen - 10.03.13 23:16



VOGESEN-TRIPEL 2012 & die Folgen

Update 2017: Durch besondere Umstände entwickelte sich die letzte Reise des Tripels zu einem Kristallisationspunkt mit mehrfachem Wiederkehreffekt am selben Ort. Dies machte hier erstmals die Änderung des Titels nötig. Nunmehr sich weitere Folgen von Vogesentouren ergeben haben – nicht nur die in die „Jazz-Vogesen“ von La Petite-Pierre – möchte ich den Titel nochmal anpassen, sodass schlussendlich auch noch weitere Berichte von Kurzreisen in der Zukunft angefügt werden können. So ist dieser Sammelbericht über Vogesenkurzreisen im Forum auch unter den alten Bezeichnungen „Vogesen-Tripel 2012“ oder „Vogesen-Tripel 2012 und LPP revisited 2014“ o.ä. zu finden. Damit sei hier auch eine Parallele zum geografisch zur Ostseite gegenüberliegenden Schwarzwald gezogen, der ebenso mit einem Sammelfaden (Neues vom Schwarzwaldboten) zahlreiche Kurzreisen einer Region bündelt. Das sei hier nicht zufällig erwähnt, gibt es doch etliche Touren, die in beide Regionen geführt haben, der Schwerpunkt mal mehr hier, mal mehr dort.

In meiner Statistik habe ich 18 Velo-Kurzreisen in die Vogesen seit 2003 verzeichnet (Stand Ende 2017). Nur Alpen und Schwarzwald habe ich bisher häufiger auf Kurztrips angesteuert. Während folgend gegebene Einführung sich noch auf das 2012er Tripel bezieht, gleich hier in der Übersicht mit direkter Anklickfunktion alle Touren auch in der Folge, derer es nun nach Stand 2017 in Summe schon 7 dokumentierte Kurzreisen geworden sind, darunter aktuell drei neue (V.-VII.).

I. Süd-Vogesen & Sundgau: Tour du Ballon de Servance (gleich nach Einführung)

II. Vogesen mit Schwarzwald: Tour de Col du Petit Ballon

III. Nord-Vogesen mit Schwarzwald: Tour de la Petite-Pierre 2012 feat. Alsace meets Cuba

IV. LPP revisited 2014 feat. Mediterranean World & US City Groove

V. LPP revisited 2016 feat. Swinging New Musette

VI. LPP revisited 2017 feat. Trumpet Concepts

VII. Vogesen Süd/Mitte 2017: Grand Ballon d'Alsace - Vallée de la Meurthe - Natzwiller


Einführung & Übersicht (Stand 2012)

Wie wohl schon einigen im Forum bekannt, sind die Vogesen mir nicht gerade unbekannt. Einen Überblick mit weiteren Links zu bereits gefahren Vogesen-Touren habe ich zu Beginn meiner Vogesen-Berichte 2011 gelistet. Die vielen verästelten Sträßchen durch das vielfach dünn besiedelte und wenig befahrene Mittelgebirge jenseits des Rheins bilden immer noch ein Eldorado, um neue Nischen zu erschließen. Erstmals habe ich dabei auch das Oberelsass intensiv beradelt, dass – heute als Sundgau bezeichnet – im Dreieck zwischen Belfort, Basel und Mulhouse bereits von den Ausläufern des Jura gebildet wird. Damit ist auch der (fast unmittelbare) Anschluss an die große Juratour gelegt, die ich nur wenig später im Mai des selben Jahres antreten sollte (samt Forumstreffen Biel/Bienne). Neben der Südvogesen-/Sundgau-Tour, die im Westen auch weit aus dem Elsass raus in die westlichen Vogesenausläufer führte (Haute-Saône), gab es zudem eine Tour in die dazu nördlich angrenzenden Südvogesen mit dem Petit Ballon als Hauptziel und eine kleine Nordvogesen-Tour, wiederum weit in den Westen reichend. Der Fokus lag bei letzterer Tour auf einem Festival mit Weltniveau in fast verlassenen Wäldern inmitten elsässischer Provinz. Die beiden letzten Touren hatten zudem einen gewichtigen Anteil Schwarzwald. Die zwei Touren im Frühjahr waren um Feiertage rum gebaut, im August war es lediglich eine Wochenendtour. Während ich auf der Sommertour alle Vorzüge eines mehrdeutig karibischen Flairs genießen durfte, stellte das Wetter zu Ostern und dem 1. Mai jeweils eine heftige Herausforderung dar. Winterkälte, Landregen, Orkanböen und Blitzeinschläge in Rufweite standen weit weniger Sonnen- und Frühjahrsmomenten gegenüber, die es aber immerhin auch gab. Ungehofft also die passende Vorbereitung zu der späteren Juratour.


I. Süd-Vogesen & Sundgau: Tour du Ballon de Servance – oder:
Warum Osterhasen immer Fell tragen

4-5 Tage | 457 km | 6685 Hm

Die Hauptziele dieser Tour waren neben dem gut 1200 m hohen Ballon de Servance die nahe der südlichen elsässischen Weinstraße verlaufende Route des 5 Châteaux, der Col de Boenlesgrab, das Lauchtal mit seinem romantischen Stausee auf dem Weg nach Le Markstein, der Rundkurs auf den über 1000 m hoch gelegenen Bergweiler Rouge Gazon bei Maurice-sur-Moselle, der knapp 1000 m hohe Col des Chevrères, weitere Varianten durch das Plateau des Mille Étangs mit der stimmungsvollen Kleinseenlandschaft, die Wasserfälle Géhard und Faymont im Westen sowie eine möglichst typische Route durch den Sundgau. Die geplante erneute Befahrung des Col du Grand Ballon von Norden auf der Route des Crêtes (mit der Abfahrtsvariante nach St-Amarin) musste ich wegen verharschter Schneedecke auf der Straße abbrechen. Daraus abgeleitet vermied ich die Südrampe des Ballon d’Alsace auszuprobieren, was aufgrund der regnerischen Witterung am Ostermontag ohnehin unmöglich geworden wäre. Stattdessen ergaben sich die (wiederholten) Stadtbesuche von Belfort und Mulhouse eher zufällig als Folge der schlechten Witterung.

Die Temperaturen überstiegen die zweistellige Zahlengrenze nur zu Anfang um Colmar, bei einer kurzen Aufheiterung am Ostersonntag um das Kirschtal von Fougerolles herum und in der zweiten Tageshälfte am Ostermontag – allerdings meist von Regen begleitet. Die Temperatur blieben um 3-4 °C geringer als in den Wettervorhersagen angekündigt. Morgens hatte ich regelmäßig mit kalten Fingern zu kämpfen – die Handschuhe konnten die fehlende Wärme nicht ausgleichen. Am Ostersonntag musste ich meine Fahrt auch eine Weile in einem Schuppen unterbrechen, als inmitten der Mille des Étangs ein heftiges Schneegestöber aufkam. Trotz der Kälte lugte am Samstag und Sonntag auch immer wieder launisch die Aprilsonne hervor und wärmte so manchmal ein wenig die Seele.

Do 5.4. Stuttgart 14:59 || per Bahn || 18:21 Colmar – Wintzenheim – Col de Repos des Chasseurs Etang Hertzog (605m) – Eguisheim
28 km | 12,3 km/h | 2:11 h | 465 Hm
E: Tartiflette Bargkas, Ww, Cafe Gourmande 25,05 €
Ü: C Des Trois Château 9 €

Es sei erwähnt, dass die Fahrradmitnahme zu den Pendelstoßzeiten auf der Elsassroute Strasbourg – Basel offiziell nicht erlaubt ist. Die Folge ist, dass einige ihre Räder in demontiertem Zustand so in die Bahn packen, dass dabei mehr Platz verbraucht wird, als wenn ein Fahrrad an den dafür vorgesehen Plätzen regulär verstaut würde (Hängevorrichtung). Ich habe mich trotz der Hinweise und mahnender Blicke des Personals über die Bestimmung hinweg gesetzt. Es gibt also keine Garantie, dass das in anderen Fällen auch akzeptiert wird. Regulär hätte ich noch einen Zug später nehmen müssen.

Die Route des Cinq Châteaux gehört zu den versteckten Routen im Elsass, obwohl ganz nahe der betriebsamen Weinroute und dem beliebten Munstertal. Um den Abzweig zu finden, muss man auf der D 417 nach Wintzenheim aufpassen, eine kleine Nebenstraße nicht zu verfehlen. Wenig weiter findet sich dann der gut ausgeschilderte Abzweig. Die Route steigt gleich an, man bewältigt sehr unrhythmisch verschiedene Steigungsstufen, auch sehr steile. Noch vor dem endgültigen Hochpunkt gibt es einen Abzweig zur Hohlandsbourg. Es handelt sich um eine der größten Burganlagen (13. Jh.) im Elsass, die aber just umfangreich renoviert wird. Laut Homepage wird die Anlage mit touristischem Angebot ab Mai 2013 geöffnet. Ich konnte leider nicht nahe ran fahren, weil die Straße unten komplett abgesperrt war (Bauzaun). Schon vor der Hohlandsbourg findet man abseits der Straße eine Burgruine, die man erwandern kann, ggf. auch per Mountainbike radelbar (steile Rampe).

Die Route liegt gänzlich im dichten Wald, mystisch legt sich kalter Nebel zwischen die Bäume. Autos kann man zählen, es braucht nicht mal beide Hände dazu. Und doch werde ich beobachtet. Es knackst und raschelt, schon unheimlich mutet es an – Trolle, Geister, Feen? Doch hinter den Bäumen verraten sich die neugierigen Beobachter manchmal: Die Ruhebrecher sind Rehe. Der Atemhauch droht bald zu gefrieren, da sehnt man sich wieder nach unten. Vom Panoramaweinort Husseren-les-Châteaux fährt man durch offene Rebenhänge steil hinunter nach Eguisheim. Zu den drei Burgen, die Eguisheim eine schöne Kulisse geben, zweigt von der Burgenroute oben ein Waldweg ab, es fehlte mir aber wegen der einbrechenden Dunkelheit die Zeit, diese zu erkunden. Weil es doch reichlich kalt war, genehmige ich mir abends gefährliche Feuerspeisen verschiedener Art. schmunzel

Fr 6.4. Eguisheim – Gueberschwihr – Col de Wolfsgrube (748m) – Col de Borne Jaune (738m) – Col de Firstplan (722m) – Col de Boenlesgrab (865m) – Linthal – Le Markstein (1179m) – 2 km près Grand Ballon (~ 1250m) – Le Markstein – Kruth – Urbes – Col de Bussang (727m) – St-Maurice-s-Moselle
100 km | 12,1 km/h | 8:11 h | 1905 Hm
E (Snack Bar): Salat Tom., Ruccola, Quiche Lorraine, Rw, Eis Schoko/Van. 12,80 €
Ü: C St-Maurice-s-M. 5 €

Auf dem Camping war ich zwar einziger Zeltgast, doch herrschte ganz guter Betrieb von Wohnwagen- und Wohnmobilgästen. Manchem erschien ich da natürlich etwas suspekt. Kritische Blicke werfen auch die Störche nach unten, derweil ich das schmucke Weinörtchen Eguisheim durchstreife. Mein Rad hat ja eine verdächtige Farbe – „könnte ein Frosch sein“ wird Meister Adebar wohl denken. Noch wenig grün ist es auf der Fahrt durch die Weinhänge, leicht über der Autobahn liegt die parallele Fahrstraße. Die Reben knospen noch zaghaft, graue und braune Erdtöne dominieren im Stangen- und Drahtgewirr für die geordnet wachsende Traubenranke. Doch verheißen hin und wieder leuchtend weiße Kirchblüten süß-fruchtige Sommerträume.

Nach Gueberschwihr, wiederum ein Panoramaweinort, geht es dann erheblich hinauf, und danach noch kräftiger, aber bald durch Wald von Aussicht abgehalten. Von Husseren gäbe es auch eine Höhenpanoramaroute nach Gueberschwihr, wenn man nicht nach Eguisheim hinabtauchen möchte. Landschaftlich ist nun die Route durchschnittlich, man passiert ein größere Klosteranlage – dort nimmt bald die Steigung ab. In einer Kurve wenig weiter findet sich der Abzweig zu einer Forststraße, zunächst mit Steinen fest gepresst, später mehr erdige, aber feste Waldpiste. Man braucht Karten, die Ausschilderung ist komplex und nicht eindeutig. Orientierungssinn ist hilfreich, ich verfahre mich kurz, merke aber anhand der Kurven und Topographie, dass ich falsch liege.

Hat man den Col de Wolfsgrube erreicht, fährt man geradezu flach um einen Berg herum und kommt zum Col de Borne Jaune, wo sich gute Picknickmöglichkeiten finden. Beide Pässe sind Kreuzungspunkte für Wanderwege und Pisten. Hier ist der Wald etwas lichter. Auch die folgende Route bis zur Straße am Col de Firstplan ist weniger dunkel als die Auffahrt zuvor. Überraschend sind einige Radler unterwegs, zwei Mountainbikegruppen, aber auch ein Reiseradlerpaar.

Die Piste zum Col de Boenlesgrab ist schottriger, wenn festgefahren sehr robust, wird auch von Autos befahren. Die Strecke ist nun deutlich offener, der höchste Punkt liegt an einer Wegekreuzung mit Lichtung unweit und etwas oberhalb vom Col de Boenlesgrab. Wer gut offroad-tauglich ist, kann die Piste vom Col de Boenlesgrab zum Col du Petit Ballon fahren – sie gilt aber als schwierig, was ein Blick meinerseits von unten auch bestätigt. Am Boenlesgrab-Pass gibt es eine Auberge, die aber nicht immer geöffnet ist. Der Parkplatz dient jederzeit als beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen. Ins Lauterbachtal (Lauchtal) geht es dann flott wieder asphaltiert.

An der Lauch entlang gibt es recht wildromantsche Passagen, auch der Stausee gehört zu den hübscheren in den Vogesen. Im Dunst lassen sich die noch schneebedeckten Bergrücken des Vogesenkammes ausmachen. Die Straße ist eine der wichtigeren Auffahrten zur Routes des Crêtes, daher gibt es hier auch etwas mehr Verkehr als etwa am Col du Platzerwasel weiter nördlich (vgl. 2. Vogesentour). In Le Markstein gibt es eine große, sehr kommerzielle Verpflegungsinsel. Hier dürfte auch im Winter recht viel Betrieb herrschen, denn umliegend befinden sich zahlreiche Liftanlagen – das größte Skizentrum an der Route des Crêtes. Ich wollte über den Grand Ballon fahren und ein mir noch unbekannte Route nach St-Amarin runter testen. Zwar war die Sperrung der Strecke zum Grand Ballon ausgeschrieben (Richtung Col de la Schlucht war offen), ich hoffte aber als Radler irgendwie durchzukommen. Etwa 2 km vor dem Grand Ballon war dann aber leider vor der Harschschneedecke Schluss. So musste ich den geordneten Rückzug antreten und über Le Markstein und den Lac de Kruth-Wildenstein ins Thur-Tal.

Für den Col de Bussang samt Moselquelle verweise ich auf meine vorjährige Ostertour (Link s.o.). Ich fahre diesmal umgekehrt hinauf – also die Ostseite, auf der es keinen Radweg gibt (westlich Moselradweg ab Quelle). Oberhalb von Urbès gemahnt ein Gedenkstein an die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen aus Dachau, die hier für kurze Zeit in einem Bunker zur Rüstungsproduktion eingesetzt wurden. Eigentlich wäre es meine Absicht gewesen, noch auf den Berggasthof Rouge Gazon aufzufahren. Dazu war es aber mit Blick auf die Essenszeiten zu spät, sodass ich mich in St-Maurice-s-Moselle niederlassen musste.

Der Campingwart begrüßte mich als ersten und wohl einzigen Ostergast und machte mir wohlige Heizwärme im Sanitärraum. Leider finden sich in St-Maurice nur verfallene Restaurants, eine anderes liegt unangenehm entfernt einen Berg hoch. Einzige Möglichkeit war eine Bistro – ein Kneipe für die Dorfgeschädigten – mit Spielautomat, elektronischem Dartspiel und Fernseher. Ich versuche mich an Mikrostudien ländlicher Vogesenjugend nebst internationalem Damentennis aus der Röhre. Hier wird noch kräftig geraucht. Dazu eine ausgetrocknete Quiche Lorraine mit kaltem (!) Rotwein. Ich vermisse Frankreich – in Frankreich. Das beste war vielleicht ein erotisches Poster im realfotografischen Stil über der Theke – Frau mit Hand im Schritt. Soviel heißen Sex gönnt sich wohl nur der Radler an kalten Ostertagen. unsicher

Sa 7.4. St-Maurice-s-Moselle – Les Charbonniers – via RF – Rouge Gazon (1086m) – St-Maurice-s-Moselle – Le Thillot – Col des Croix (679m) – Ballon de Servance (1216m) – Plancher-les-Mines – Col de la Chevestraye (623m) – Belfahy – Col des Chevrères (951m) – Miellin – Servance
91 km | 11,9 km/h | 7:31 h | 1795 Hm
E: Entrecôte, PF, Rw, Apfeltorte 24,60 €
Ü: C wild 0 €

Nach Rouge Gazon fährt man nur aus zwei Gründen: Man braucht ein paar zusätzlichen Höhenmeter oder man möchte die Vorzüge eines einsamen, charmant-rustikalen Berggasthofes genießen. Im Winter kommt die Attraktion eines kleinen Skigebietes hinzu. Während Autofahrer nur die recht gut ausgebaute Straße hin und zurück fahren, empfiehlt sich für den Radler ein (fast) Rundkurs. In Les Charbonnieres kann man auf eine asphaltierte Forststraße abzweigen, die man nach einer kleinen Talmulde erreicht. Im Gegensatz zur regulären Straße geht es fast ausschließlich durch dichten Wald. Die Straße ist in schlechtem Zustand, Tannenzapfen und diverses Geäst sorgen für zusätzliche Gefahrenmomente, wenn man dort herunterfahren möchte. Daher die Forststraße möglichst nur auffahren. Die Steigungen sind unrhythmisch, es gibt Steilrampen, im oberen Bereich auch flachere Passagen. Der Hochpunkt der Straße liegt geringfügig über Rouge Gazon – dort überblickt man das gesamte Gelände um den Hof mit mehreren Gebäuden. Um Aussicht zu genießen muss man vom Gasthof etwas vorlaufen über die Wiesen, dann kann man zumindest nach Osten Vogesenkuppen bewundern und das Thur-Tal erahnen. Weiter kommt man nur mit Wanderschuh.

Trotz anstrengender Auffahrt war ich völlig ausgekühlt und leiste mir einen Kaffee in Rouge Gazon. Das Frühstücksbuffet wurde gerade weggeräumt, sodass ich noch einen Eindruck gewinnen konnte: Ein unfranzösisch umfangreiches Frühstück mit vielen Eigenprodukten des Berghofes, die auch im freien Verkauf erhältlich sind. Gelegenheit um einen schmackhaften Käsevorrat anzulegen. Auch die Speisekarte klingt vielversprechend. Viele Gericht werden im offenen Ofen des Gastraumes angerichtet.

Le Thillot bildet ein kleines Regionalzentrum, im Vorjahr hatte ich dort ja bereits genächtigt. Ebenso wiederholte sich die Fahrt bis zum Col des Croix. Dort aber fuhr ich diesmal nicht rechts in das Plateau des Mille Étangs ein, sondern links auf die Route zum Ballon de Servance. Auch hier wieder eine Streckensperrungsankündigung, die mich verunsichert. Mein Mut wird aber belohnt. Es gab auf der Südseite Schneereste und eine Menge aufgeschwemmten Pflanzenkehricht. Doch ließen sich die wenigen Passagen neben der Straße umgehen. Zwei entgegenkommende Motorbiker konnten das Fahrgerät auch vorbeischieben, neugierige Autofahrer hingegen mussten umkehren. Nicht nur durch die Sperrung allerdings ist es eine einsame Strecke ohne Besiedlung und eine der abwechslungsreichsten, attraktivsten Routen unter den großen Vogesenhöhen. Auf der Nordwestseite zahlreiche Ausblicke, Steinbrücke, archaische Baumskulpturen und eine große Blumenvielfalt samt einer kleinen Osterglockenwiese. Dazu noch Sonne, dass man gar die Winterjacke ablegen konnte – soviel österliche Gnade war in diesen Tagen ja selten.

Von üblichen Weitblicken über die Vogesenhügel abgesehen, ist die Berghöhe dieses Belchen eher hässlich – ein kleiner Makel auf der sonst sehr schönen Route. Ein Sendeturm steht auf einem abgeriegelten Militärbereich, über eine kurze Stichstraße bis zum Drahtzaun zu erreichen. Die einzige Sitzgelegenheit ist eine schon leicht zerfallene, schattige Bank am Hochpunkt der Straße. Bessere Picknickmöglichkeiten findet man weiter unten auf der Südseite – allerdings auch meistens schattig, wie ohnehin die Südseite. Wahrscheinlich ist die Südseite schwieriger, wenngleich rhythmischer zu fahren als die Nordwestseite – ein langer steiler Anstieg, während der untere Teil des Tales recht flach ist. Wasserreich finden sich Vogesen-typische vermooste Kaskadenbachläufe sowie zwei größere, mehrteilige Wasserfälle.

Wie der spätere Etappenort Servance ist auch Plancher-lesMines ein Dorf, das nach einer Phase früher Industrialisierung, unterstützt von der Wasserkraft der Mühlen, seine Blütezeit überlebt hat und durch die massive Abwanderung im 20. Jahrhundert zu den heute eher vergessenen Vogesenorten zählt. Einst lieferten die Minen bereits seit 1458 Silber, später auch Blei, Molybdän und Eisen – letzteres heute noch an den rötlichen Erosionshängen zu erkennen.

Der Col de Chevrères erfordert wieder stramme Beinarbeit. Der schönste Teil ist die Dorfdurchfahrt von Belfahy, das sich recht weitläufig auf sonniger Südhanglage verteilt. Hier kann man nach Servance zwar abkürzen, allerdings hat man bis zu dem Abzweig ohnehin bereits den größten Teil der Höhe bewältigt. Nach der Abfahrt nach Miellin zieht sich das Tal recht idyllisch recht flach nach Servance. Kurz vor Servance steht die Mühle Martin als Industriedenkmal – dazu hatte ich bereits das Bilderrätsel 802 gestellt. Das für die heutige Bedeutung übertrieben riesige Rathaus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier tiefste Provinz liegt. Im frühen Industriezeitalter lebten 1831 in Servance 5100 Menschen, heute sind es nur noch ca. 900. Immerhin reicht es für ein Hotel/Restaurant, das an diesem Ostersamstag ziemlich überquillt. Der Pizzabäcker verkörpert eine örtliche Attraktion – macht schelmische Witze, zieht Grimassen, mit denen er nicht nur Kinder zum Lachen bringt, verteilt mindestens soviel Küsse an die Damen wie er Pizzen mit flinken Fingern zubereitet – ein kleines Stück Lokaltheater gewissermaßen. Ich darf ein köstliche Zwiebelrotweinsauce zum servierten Fleisch genießen.

So 8.4. Servance – Saut de l'Ognon – Montandre – Beulotte-St-Laurent – Corravillers – La Rosière – Cascade du Géhard – Cascade de Faymont – Le Val-d'Ajol – Fougerolles-les-Château – Benzey – Raddon – La Voivre – Melisey – Fresse – Col de la Chevestraye (623m) – Plancher-Bas – Evette – Valdoie – Belfort
122 km | 13,6 km/h | 8:56 h | 1685 Hm
E (oriental.): Couscous Royal (4 x Fleisch, Gem. im Sud), Rw, Cafe 24,40 €
Ü: C wild 0 €

Nach dem Besuch des Ognon-Wasserfalls, an dem die Industriegeschichte von Servance auf Tafeln dokumentiert ist (vgl. wiederum o.a. Bilderrätsel) fahre ich zu den 1000 Seen hinauf, jene in der Eiszeit geschaffene Tümpellandschaft, die ich gleichwohl auch an Ostern des Vorjahres auf einer nördlichen Variante befahren habe. Im Vergleich einschließlich der weiteren Variante am Abend des selben Tages, würde ich die Vorjahresroute zwischen dem Col des Croix und dem Col du Mont de Fourche immer noch als die reizvollste in den Mille Étangs bezeichnen. Der Vergleich ist allerdings etwas schwierig, soweit die Vegetation noch so weit zurücksteht wie auf dieser Ostertour.

Nach dem bissigen Schneesturm um Beulotte-St-Laurent herum erreiche ich Corravillers wieder bei Sonnenschein. Die Aprillaunen bleiben den Tag lang erhalten, wenngleich die zweite Tageshälfte etwas milder wird. Mit Zwischenspielen folgen mehrere Wasserfälle. Der erste (Cascade du Tampa), wohl gewöhnlichste, nur wenig oberhalb von Corravillers. Für den Cascade du Géhard bedarf es schon eines weiteren Berges, zunächst steil über kleine Weiler, danach eher eintöniger durch dunkle Nadelwälder. In Richtung Girmont-Val-d’Ajol öffnet sich eine hügelige Weidelandschaft in sattem Grün, bevor man zum Wasserfall wieder in dunklen Wald eintaucht. Vom schluchtigen Géhard- zum spreitzigen Faymont-Wasserfall geht es durch ein Tal mit einigen dezent aufragenden Felsen, der Wasserfall ist etwas abseits per Stichstraße zu erreichen.

Es beginnt ein weites Tal, dass recht belebt scheint, eine sehr zerstreute Besiedlung aufweist. Immer mehr Kirschbäume prägen lieblich die Landschaft. Vollends das ganze weiße Blütenmeer entfaltet sich über die Fougerolles-Ebene, wenn man die Talebene nach oben verlässt. Seit dem 17. Jahrhundert werden hier zahlreiche Kirschsorten geerntet und veredelt, insbesondere als „Kirsch“, einem 45%igen Kirschwasser. In zahlreichen Destillerien werden noch weitere Obstbrände erzeugt, dazu kommen vielfältige Produkte rund um die Kirsche, Kirscheis und Kirschpfannkuchen zählen mitunter zu weiteren bekannten Leckereien der Region. Im Juli findet gar eine Fête de la cerise statt – samt einer Miss Cerise im Zeichen der roten Verführung. Allein die zahlreichen Kirschsorten schmecken schon lustvoll durch ihre Namen: Marie Jean Diaude, Tinette, Jeanblanc, …

Ein weiteres Zeichen der Landschaft sind kleine Kornspeicher, die man auf der Route des Chalots folgen kann. Aus Holz gebaut, mit Steindach versehen und auf gekreuzten Balken nebst Steinsockel vom Erdboden abgehoben, dienten sie nicht dem Schutz der Ernte, sondern auch der Destillation. Heute werden sie allen möglichen Zwecken genutzt. Parallelen gibt es zu den hórreos in Nordspanien – dort meistens aber größer, in Galicien zudem meist aus Stein gefertigt.

Nach Raddon führt eine lichte Waldlandschaft, es folgt ein weitgehend flache Auenlandschaft mit kleinen Dörfern. Nochmal moderat hinauf an Seen vorbei geht es zwischen La Voivre und Mélisey. In Fresse soll es laut Karte einen Camping geben, aber der Ort macht einen solch ausgestorbenen Eindruck, dass ich keine Suche anstrenge, da es wohlmöglich kein Esslokal gibt. Keiner der weiteren Orte bietet irgendeine Gelegenheit zum Etappenstopp, sodass ich letztlich mich in die Dunkelheit hinein noch bis Belfort durchbeiße. Dort fehlt mir etwas die Orientierung, scheinbar bin ich gerade in einer falschen Ecke für Esslokale, überwiegend leergefegte Einkaufsstraßen. So bin ich dankbar für jede Speisestube, wenngleich das orientalische Menü nicht ganz meinen Geschmack trifft. Besonders ärgerlich dann, dass der Campingplatz nur per Sicherheitscode bzw. Chipkarte zu betreten ist. Natürlich ist zu dieser Zeit auch keine Rezeption mehr besetzt. Die hermetische Abriegelung des Geländes sorgt nicht gerade für ein Vertrauensgefühl zu der Umgebung. Durch die sumpfige Uferzone kann ich mein Zelt gerade eben noch am Rande eines Sportplatzes nahe der Straße platzieren. Von einer Restwärme des Freizeitsees ist auch nichts zu spüren. Nun, wer Ostern Hasen jagen möchte, braucht dick Fell.

Mo 9.4. Belfort – Montreux – Manspach – Largitzen – Altkirch – Wahlbach – Magstatt – Steinbrunn-le-Bas – Zimmersheim – Mulhouse – Rixheim – Ottmarsheim – Müllheim 18:55 || per Bahn || Stuttgart 23:25
116 km | 15,3 km/h | 7:25 h | 835 Hm
E (Bf. Freiburg): Spaghetti Monti e Mare, Rw 9,80 €

Der Tag beginnt nicht nur kalt, sondern auch regnerisch mit tief hängenden Wolken. So zeigt sich Belfort recht trist, nicht mal Bäckereien und Cafes werden besucht. Nach der Stadtvisite bleibt es leider regnerisch, zwischen Niesel und mäßigem Landregen wechseln die Launen der Natur, erst mit der zweiten Tageshälfte nehmen die Trockenphasen zu. Der ländliche Sundgau hat einen lieblichen Charme, erfüllt die Anforderungen pittoresker Fachwerkbauten des Elsass einerseits. Und doch ist hier alles ruhig, keine aufgebrezelten Dorfkerne, nahezu untouristisch, Versorgungsmöglichkeiten selten – ein Landstrich zum stillen, abseitigen Wohnen und zum entspannten Radeln. In gewisser Weise setzt sich hier die 1000-Seenlandschaft fort, doch handelt es sich meist um künstlich angelegte Fischteiche. Neben Forellen züchtet man insbesondere Karpfen. Ich folge in Teilen auch der Route de la Carpe frite, eine gastronomische, teichreiche Route, die ausgewählte Betriebe verbindet, die lokale Spezialitäten anbieten. Der goldbraun frittierte Karpfen – meist in kleinen, grätenfreien Stücken ähnlich wie große Pommes frites serviert – ist nicht nur namensgebend, sondern auch Gegenstand einer Sage, von denen es viele im Sundgau gibt.

So heißt es von einem Sohn des Grafen zu Ferrette, dass er sich eines Tages in eine Schäferin unsterblich verliebte. Er umwarb sie mit einem Gedicht, das der Schäferin so gut gefiel, dass sie die Hochzeit mit dem Grafensohn ersehnte. Doch traf das nicht den Zuspruch des Grafen. So stellte er der Schäferin eine scheinbar unmögliche Aufgabe, ihn mit einer außergewöhnlichen Tat umzustimmen. Die Schäferin bot ihm an, von ihrem sagenhaften goldenen Fisch zu kosten. Der Graf ward neugierig und ließ die Schäferin ihren Vorschlag ausführen. So nahm sie Karpfen und gab ihm in Öl gebacken auf ihre Art die goldbraune Farbe. Der Graf ward von der Köstlichkeit mehr als überzeugt und ließ die beiden heiraten und ihnen gleich noch dazu ein Schloss auf einem Felsen bauen, das seither als Schloss Liebenstein bekannt ist. Der gebackene Karpfen trat unaufhaltsam seinen Siegeszug im Sundgau und darüber hinaus an – wie könnte es auch anders sein, wenn jeder goldene Bissen ein Stück großer Liebe enthält. Leider gibt es frittierten Karpfen oft nur als Mehrpersonengericht (wie auch in Servance), so kam es, dass ich erst zu Beginn meiner späteren großen Juratour in den Genuss dieses Fischgerichtes kam (Link s.o.).

Die flachen bis leicht hügeligen Routen kann man gelegentlich durch kurze Steilrampen aufpeppen, wie etwa über eine kurze Nebenroute nach Altkirch. Es wäre aber falsch ins Sundgau zu radeln um eine velopedistische Herausforderung zu suchen. Altkirch ist der einzige unter den von mir beradelten kleinen Orte, der so etwas wie eine touristische Betriebsamkeit aufweist, wenngleich das Wetter auch hier einen lähmenden Schleier über die Straßen legte. Ich lande in einem heruntergekommenen asiatischen Fastfood-Bistro, um mich aufzuwärmen. Der Elsässer, wohl mit einer Ostasiatin zusammenlebend, zaubert trotz des schmierigen Ambientes die saftigsten frittierten Hähnchenbällchen, die ich je gekostet habe.

Ich versuche noch eine möglichst hügelige Variante nach Mulhouse zu finden. Es geht meist durch braun-graues Ackerland, gelbe Rapsfelder, aber auch Weideland, Haine mit erstem Frühjahrsgrün und Weinberge. Wenn mal die Steigung etwas stärker ausfällt, ist sie allerdings sehr kurz. Gourmets finden in den kleinen Orten versteckte Pilgerstätten. Die Bebauung trägt Richtung Norden immer mehr die Zeichen einer modernen Pendlerbevölkerung und weniger traditionelles Fachwerk.

Schon weil der Radelgenuss an diesem Tage nicht gerade auf Hochstimmung kommt, bin ich froh, die Tour mit einer Stadtbesichtigung gewissermaßen abzuschließen. Leider bestimmt auch in Mulhouse die Tristesse des Tages das Leben. Nicht mal die Chocolatiers bieten Stimmungsaufheller an, die Osterhasen sind erschöpft von der Arbeit der vergangenen Tage – ich kann es ja nachempfinden. traurig Trotzdem verfliegt die Zeit schneller als dass ich noch zu einem Cafebesuch komme. Die ätzende Flachstrampelei nach Müllheim will ja auch noch bewältigt sein. Glücklicherweise gibt es mittlerweile eine neue Bahnverbindung über den Rhein, die hätte ich da gerne schon in Anspruch genommen.

Bildergalerie Tour I (180 Fotos):