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#720298 - 10.05.11 21:47 Alpen-Atlantik 2010
StefanS
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Beiträge: 3.637
Dauer:25 Tage
Zeitraum:31.7.2010 bis 24.8.2010
Entfernung:2500 Kilometer
Bereiste Länder:deDeutschland
frFrankreich
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liLiechtenstein
atÖsterreich
chSchweiz
Externe URL:http://www.lsv.ens-cachan.fr/~schwoon/bilder/aa2010/

Hier der Bericht von meiner Urlaubsreise 2010. Eigentlich handelt es sich um zwei verschiedene Radtouren in einem Zug: erst allein 10 Tage durch Alpen und Schwarzwald, dann mit meinem Vater 14 Tage durch Frankreich bis zum Atlantik.

Die Wurzeln dieser Tour liegen gut sechs Jahre zurück. Als ich damals in langen Winternächten erstmals anfing, Radreiseberichte zu lesen, faszinierten mich die klangvollen Namen wie Albula, Bernina, Stilfser Joch... und ich habe mir damals kaum zugetraut, selbst einmal diese Pässe zu bezwingen. Obwohl diese Zweifel bald schwanden, war ich trotzdem nie in die Engadiner Bergwelt vorgedrungen. Und so erfüllte mir diese Reise einige lang gehegten Ambitionen. Die Tour an der Loire lag auf der Hand, nachdem ich letztes Jahr nach Frankreich umgezogen war.

Die Bilder, in etwas anderer Auswahl, gibt es auch hier.


Vorbereitung

Angereist bin ich mit dem DB-Nachtzug von Paris nach München. Einfacher gesagt als getan: Die SNCF verkauft dafür keine Fahrradkarten, behauptet gar, es gäbe keine Stellplätze; Onlinekauf ist unmöglich, und DB France verlangt mit Aufpreis 25 Euro. Nein danke. Glücklicherweise war ich zwei Wochen vor Abreise nochmal in Deutschland und konnte die Karte am Schalter erwerben. Der übliche Mist halt böse

Eigentlich sollte die Tour in Landeck losgehen. Wegen Problemen mit der Mittenwaldbahn verfiel ich auf die Idee, einen "Prolog" einzulegen und von Bayern nach Tirol mit dem Rad überzusetzen.

Aufbruch am Freitag, 30. Juli um 19 Uhr direkt von der Arbeit. Ganz langsam und entspannt durch den Pariser Stadtverkehr, nur nicht völlig verschwitzt am Zug ankommen. Das gelingt auch, nur ist es im Zug so bullig heiß, dass die Mühe umsonst war.


Sa 31. Juli: Prolog (Tegernsee - Jenbach; sonnig)

Der Nachtzug kommt pünktlich in München an, kurz nach 9 Aufbruch in Tegernsee. Ich schwöre, ich bin noch keine 20 Sekunden auf der Straße, als der erste hupt - die spinnen, die Germanen.

Als Eingewöhnung in die Bergwelt gebe ich mir die Wallbergstraße. Leider gibt der Wald nur ein, zwei Mal die Aussicht auf den Tegernsee frei. Nach dem Parkplatz geht die Steigung noch auf einem sandigen, zähen Waldweg ein Stück weiter, über Waldwege wieder bergab nach Kreuth.



Auf altbekannten Wegen zum Achenpass und nach Achenkirch, dort links nach Steinberg am Rofan. Ein anfangs noch asphaltiertes Sträßlein führt weiter Richtung Pinegg. Bergauf lasse ich einen Traktor vorbei und bereue das bald, denn bergab bremst er mich lange aus. Irgendwann hört der Asphalt auf, trotz Gefälle lässt mich die geschotterte kurvige Strecke nur langsam vorwärtskommen. Dennoch legt es mich einmal, das geht ja gut los peinlich Später treffe ich zwei Wanderinnen auf der Suche nach der Kaiserklamm. Sie sind mächtig enttäuscht zu hören, dass sie rund 150 Hm in die falsche Richtung gestiegen sind.



In Pinegg falle ich diesmal nicht auf den Wegweiser rein, der einen über Brandenberg nach Kramsach schickt. In Brixlegg noch ein Umweg über den Kerschbaumersattel, wo sich eine schöne Aussicht über das untere Zillertal bietet.



Dann aber hurtig bergab und schnell weiter, denn es bleiben nur 35 Minuten, um in Jenbach den nächsten Zug zu erwischen. Das gelingt auch, und so treffe ich gegen halb sieben in Landeck ein. Zum Abendessen ein Wiener Schnitzel - wenn man schon mal wieder im deutschen Sprachraum is(s)t listig


So 1. August: Engadin (Landeck - La Punt; sonnig)

Heute geht es richtig los - von hier bis zum Atlantik nur noch per Muskelkraft. Die Strecke bis Martina kenne ich von einer vorherigen Tour, hole aber die Besichtigung der alten Zollstation Finstermünz nach (unterhalb der Straße am Inn gelegen, Einstieg in den Wanderweg bei Vinadi).



Auf dem Inn-Radweg begegnen mir mehrere gefährlich dreinblickende Mutanten. Schnell weg, bevor der eine seine Kettensäge entrostet hat.



In Scuol wurde Wanderern und Radfahrern eine Brücke über die Innschlucht gebaut - wohl eigens, um den schönen Blick auf die Kirche einzufangen.



Hinter Scuol schwingt sich der Inn-Radweg zu den Bergdörfern hinauf, was zwei längere Steigungen mit sich bringt. Der Schweiß ist gut investiert, es gibt Dorfidylle und Landschaft satt. Kurz vor Susch bemerke ich einen Platten, ein Steinchen hat sich im Mantel festgesetzt. Es soll die einzige Panne des Urlaubs bleiben.



Um die Zeit für die Reparatur aufzuholen, bleibe ich danach längere Zeit auf der Hauptstraße. In Zuoz ist ein großes Fest, erst später komme ich darauf, dass heute Schweizer Nationalfeiertag ist. Gegen 19 Uhr Ankunft in La Punt, zum Abendessen gibt's ein zünftiges Berner Rösti.


Mo 2. August: Bergell (La Punt - Morbegno; oben regnerisch, unten sonnig)

Am nächsten Vormittag war eigentlich der Aussichtspunkt Muottas Muragl geplant. Aber der Himmel will es anders, es ist trübe und die Berge sind wolkenumhangen.

Ich versuche, in St. Moritz einen neuen Ersatzschlauch zu organisieren. Im ersten Laden geht nichts: "Ach, ein City-Bike haben Sie. Nein, wir haben nur Schläuche für die normalen Mountainbikes." Im zweiten Laden findet die Verkäuferin ein paar "City-Bike"-Schläuche im Keller. Im dritten Laden gibt es sogar Flickzeug. Gut, dass St. Moritz mit so vielen Läden gesegnet ist.

Noch in St. Moritz fängt es an zu stippern und steigert sich, in Sils ist eine Mittagspause angesagt. Bei der Weiterfahrt interpretiere ich wohl einen Wegweiser falsch und fahre eine längere Steigung hinauf. Der Dickkopf in mir will die Steigung nicht umsonst gefahren sein, daher folge ich einem Wanderwegweiser nach Isola. Die Straße wird zu einem Weg, der zu einem Pfad, wallende Nebel. Immerhin findet nicht mal mehr der Regen den Weg in diese Einsamkeit. Plötzlich ist da ein Pferd zwischen den Felsen, wie kommt denn das da hin?



Dann ist die Fahrstrecke endgültig vorbei, auf einem engen, gewundenen, felsigen Pfad geht es steil den Berg hinab. Das kann ja nur ein kurzes Stück sein, sage ich mir und fange an, mein Fahrrad über die Steine und um die Kurven zu wuchten. Ca. 30 schweißtreibende Minuten später sehe ich Isola vor mir, wie eine verheißungsvolle Rückkehr in die Zivilisation. Von den frisch montierten Bremsgummis ist nur noch die Hälfte übrig.



Vorsichtig fahre ich die nassen Kurven der Malojastraße bergab. Und tausend Meter weiter unten herrscht auf einmal schönes Wetter, in Promontogno scheint die Sonne, und am Comer See bei Colico taucht sie das Bild in ein geheimnisvoll scheinendes blau-grünes Licht.



Mit hereinbrechendem Abend fahre ich auf einer netten Radroute zwischen Feldern ein Stück weit ins Veltlin herein, Morbegno ist das Ziel. Dort muss ich tiefer in den Geldbeutel greifen als geplant, eine günstige Unterkunft ist nicht zu finden. Gerade noch rechtzeitig entscheide ich mich für ein Zimmer, den kaum bin ich drin, kommt draußen eine Husche runter.


Di 3. August: Veltlin (Morbegno - Bormio; sonnig)

Vom Regen ist am nächsten Morgen nichts mehr zu sehen, blau präsentiert sich der Himmel und grün das Tal, bis hinauf in die Berghänge. Grün scheint die Farbe des Veltlins zu sein. Am südlichen Talrand gibt es eine ruhige Straße, später eine Radroute. Einem italienischen Radler rutscht mir statt "Buon giorno" ein "Bonjour" heraus - macht nichts, er freut sich, sein Französisch an mir auszuprobieren.



In Sondrio Pause und Verpflegung, dann weiter auf der Strada Panoramica dei Castelli. Keine Ahnung, warum die so heißt, denn Burgen gibt es nicht viele, dafür einige nette Kirchen und Aussicht vom Nordhang auf das Tal. Die Anregung dazu fand ich übrigens hier im Forum.



Um halb drei bin ich erstmals in Tirano und fahre die ersten Kilometer des Berninapasses hinauf bis Brusio. Kaum dort, kommt wie auf Bestellung die Rhätische Bahn und fährt malerisch durchs Kreisviadukt. Einen vernünftigen Aussichtspunkt findet man aber nicht so ohne Weiteres. Zurück nach Tirano und weiter entlang der Adda, der Weg nach Bormio zieht sich noch.



Ab Sondalo lässt der Verkehr auf der Straße merklich nach, ganz allein kurbele ich eine längere Talstufe hoch, wo sich die Adda in ein gewaltiges Betonkorsett zwängt. An deren Ende erklärt sich der mangelnde Verkehr, denn die Provinzialstraße im Talgrund ist voll gesperrt. Zwei Männer im Jeep zeigen mir einen Radweg am Straßenrand. Fluchend nehme ich eine 18-prozentige Steigung in Angriff und lande auf einer winzigen Straße, deren Serpentinen den Berg hochführen, und deren Zweck und Ziel mir verborgen sind. Zu meiner vollständigen Verunsicherung führt diese kleine Straße in einen riesigen, voll ausgebauten und sehr langen Tunnel. Erst Monate später finde ich nach einiger Recherche die Erklärung für diese Seltsamkeiten: Vor mehr als 20 Jahren wurde jener Talabschnitt durch einen katastrophalen Bergsturz verwüstet. Die kleine Straße mit dem riesigen Tunnel diente als Übergangslösung, um den Verkehr an der Schuttmasse vorbeizulotsen.



Endlich in Bormio angekommen, finde ich in der Albergo Adda eine Unterkunft für nur 20 Euro (plus 4 fürs Frühstück). Und das in der Hochsaison. Da muss doch ein Haken sein? Nein, das Zimmer ist einfach, aber tiptop in Ordnung. Ich miete mich für zwei Nächte ein, denn morgen ist das Stilfser Joch dran.


Mi 4. August: Stilfserjoch, Kaiserwetter

Schon 6 Uhr morgens hört man eine endlose Blechkarawane durch den Ort rollen. Das kann ja heiter werden. Auch als ich aufbreche, ist auf der Hauptstraße noch der Bär los. Aber am Beginn des Anstiegs zum Stilfser Joch ist es schlagartig ruhig - woher und wohin fahren all die Leute?

Ich habe jedenfalls erstmal Ruhe. Bis auf einen älteren Rennradfahrer, der von hinten herankommt und mich bittet, weiter voran zu fahren. Zwei Kehren weiter stehen Bekannte von ihm an der Straße, da sprintet er schnell an mir vorbei und ruft denen irgendetwas von den ragazzi zu, die er da stehen lässt erstaunt



Da die Straße nie steil ist, kann ich gemütlich hochkurbeln. Genau zu Mittag erreiche ich die Passhöhe, den höchsten Punkt, an dem ich jemals gewesen bin. Plötzlich ist es wie auf einem Rummelplatz, während es bei der Auffahrt ziemlich ruhig war. Alles sieht genauso aus, wie man es von den Fotos kennt schmunzel



Über den Umbrailpass geht es bergab. Dies wird für mich zum landschaftlich schönsten Teil der gesamten Reise. So oft halte ich an und mache Fotos, dass die Abfahrt über eine Stunde dauert. Im Tal werden die Wandmalereien in der Klosterkirche St. Johann bewundert.



Kurz vor vier bin ich in Prad, um die Rückreise anzutreten. Um diese Zeit fährt kaum noch jemand hoch, es gibt fast nur Gegenverkehr. Großartiges Ortlerpanorama in Trafoi. Kurz vor der Franzenshöhe lege ich eine Pause ein, es herrscht fast völlige Ruhe. Später sehe ich zum ersten Mal Murmeltiere. Gegen halb acht erreiche ich zum zweiten Mal an diesem Tag die Passhöhe und stelle fest, dass ich seit der Galerie vor Trafoi mit Scheinwerferlicht unterwegs bin träller Also, gegen den Laufwiderstand eines SON kann man wirklich nichts sagen.



Kühl ist es hier oben, nichts wie weiter. Bibbernd geht es in die Abfahrt. Zwischendurch erzeugt der Sonnenuntergang geradezu überirdische Lichteffekte. Bei der Ankunft in Bormio bin ich regelrecht high von all den Eindrücken, brauche erstmal eine Stunde, um runterzukommen schmunzel Hier unten ist es wieder wohlig warm, beim Abendbummel genehmige ich mir ein Eis.




Do 5. August: Regen (Bormio - Lago di Cancano; unendliche Nässe)

Wie sich ein Tag vom nächsten unterscheiden kann. Schon beim Wachwerden prasselt draußen der Regen, alles ist grau in Grau. Ich trödele beim Frühstück so lange ich kann, umsonst. "Das wird schon noch", denke ich und fahre schließlos los - eine eitle Hoffnung.

Im Regen die gleichmäßigen Serpentinen zu den Seen von Cancano hinauf. Über mir thronen die Torri di Fraële und erwecken im düsteren Ambiente Gedanken an Tolkien - Die zwei Türme. Kein Orc fällt mich an, als ich mich vorbeischleiche, aber das Wetter hier oben könnte von Mordor sein: saukalt, nass und ein eisiger Wind.



Das Rifigio Monte Scala kommt gerade recht, ich ziehe mich um, wärme mich bei Suppe und gutem Essen wieder auf. Das Fernsehen berichtet übers Wetter: in Mailand schwere Überschwemmungen, die gesamte Region steht unter Dauerregen. Andere Forumsteilnehmer im Alpenraum erleben den Tag so ähnlich.

Genug gesehen, ich quartiere mich für heute im Rifugio ein. Tief unten in der Packtasche vergraben liegt noch Arbeit, die ich nicht mehr vor dem Urlaub geschafft habe, und hier oben in der Bergwelt gibt es nichts mehr, was mich von ihr ablenkt.


Fr 6. August: Pässe (Lago di Cancano - Filisur; durchwachsen)

Am nächsten Morgen ist es grau, aber trocken. Auf den Bergen rundum liegt Schnee wie Puderzucker, wie mit einem Lineal auf einer bestimmten Höhe abgeschnitten. Aufbruch zum Passo Alpisella. Lange Zeit bin ich allein, nur Murmeltiere huschen hier und da entlang, und versprengte Rindviecher suchen sich ihr Gras. Plötzlich zischen von vorn und von hinten mehrere Mountainbiker vorbei und sprengen jede Illusion von Einsamkeit, selbst um 10 Uhr morgens auf 2200 m Höhe.



Endgültig zurück in der Zivilisation ist man in Livigno, viel Verkehr, aber gesittet. Ich hätte Lust, mich in einem Café aufzuwärmen, finde aber kein ansprechendes. Abseits der Straße führt ein netter Radweg durchs Tal. Der Anstieg zur Forcola ist unspektakulär, schnurgerade am Hang, man sieht das Ziel von Anfang an. Zahlreiche Rennradler sind hier unterwegs, teils mit Begleitfahrzeugen.



Landschaftlich besser gefällt mir die Südseite der Forcola. Am Bernina herrscht ein unangenehmer Wind, lange halte ich mich nicht auf. Die Abfahrt kommt mir schwerer als die Auffahrt vor, bei Gegenwind und geringer Neigung. Auch bei der zweiten Begegnung ist Muottas Muragl wolkenverhangen, in Pontresina fängt es gar zu nieseln an. Ich suche mir ein trockenes Plätzchen im Wald, lege eine längere Essenspause ein und mosere vor mich hin, dass das Wetter nicht der positiven Vorhersage folgen will. Das Mosern scheint zu helfen, denn am Fuß des Albulapasses strahlt die Sonne. Nur wenig Verkehr ist unterwegs, trotzdem meint ein Volltrottel, mich um Haaresbreite überholen zu müssen, Kennzeichen GM. Die spinnen, die - ach das hatten wir schon.



Im flachen Teil kurz vor der Passhöhe wird der Himmel vor mir weiß, Wolken quellen über den Pass. Auf einmal ist es nasskalt, Schneereste am Pass, Nebel mit Sichtweite 50 Meter. Die Herberge am Pass hat zu, sonst würde ich hier den Tag beenden. So heißt es frierend und vorsichtig bergab zu fahren, während noch immer Scharen von Rennradlern von Norden den Pass erklimmen.

Ab Preda wird es besser. Die Kunstbauten der Rhätischen Bahn zieren den weiteren Weg bergab. Kurz vor Filisur kehre ich ins Gasthaus Bellaluna ein. Man offeriert mir für viel Geld ein Bett im leeren Viererzimmer. Aber im Unterkunfts-Verzeichnis war nur von halb so viel Fränkli die Rede? Ja, das wäre das Sechsbettzimmer (ebenso leer). Immerhin, das Essen ist prima.


Sa 7. August: Rhein (Filisur - Alt St. Johann; sonnig)

Beim Frühstück bin ich der einzige Gast, und die Bedienung ist sauer, dass sie meinetwegen antanzen muss. Das Wetter ist wieder schön. Dank Fahrplanstudium bin ich zum rechten Zeitpunkt am rechten Aussichtspunkt, als ein Zug über das Landwasserviadukt fährt schmunzel



Auf einer Nebenstraße über die Brienzer Sonnenterasse, dann weiter Richtung Lenzerheide bei geringer Steigung und gemäßigtem Verkehr. Die Passhöhe verliert sich irgendwo im Ort. Die Abfahrt ist umso spektakulärer, rauschend und kurvig geht es über tausend Meter bergab nach Chur.

In der Altstadt umringen mich drei Mädels. Ob ich von hier sei? Nein, na gut, ich dürfe auch Hochdeutsch sprechen. Vielen Dank. Sie machten einen Film für eine Hochzeit. Ob ich eine bestimmte Gewürztube in die Kamera halten und dazu sagen könne: "Auch ich nehme immer mein Aromat mit in den Urlaub"? Was man nicht alles tut, wenn man so nett gebeten wird. Das Gewürz darf ich behalten, aber ich koche ja nicht.



Das große Alpenabenteuer ist fast zu Ende, flach geht es im Rheintal nach Norden. Bei Maienfeld schaue ich im Heididorf vorbei. Besucher aus aller Herren Länder bestaunen das Heidihaus, Kinder reiten auf der Plastikkuh. In Balzers kreuze ich erstmals seit einer Woche zuvor bekanntes Terrain. Der Radweg auf der Liechtensteiner Rheinseite ist angenehmer, am linken Ufer lärmt die Autobahn.



Nächste Station ist Werdenberg, verwachsen mit Buchs. Am unauffälligen Zugang zum Städtli würde man glatt vorbeifahren, wenn man nicht darum wüsste. Und schade wär's, die dortige Versammlung von bemalten Holzhäusern samt Schloss ist wirklich entzückend. Schon halb sechs, aber den Wildhauspass gebe ich mir noch. Ein ruhiger Wirtschaftsweg schraubt sich den Grabserberg hoch mit schönen Ausblicken auf die Rheinebene. Unterkunft in Alt St. Johann, nettes Zimmer samt Teddybär verliebt




So 8. August: Thur (Alt St. Johann - Stühlingen; wechselhaft)

Der Himmel zeigt sich wolkenverhangen, aber der erste Schauer ist so nett zu warten, bis ich abfahrbereit bin. Eine Viertelstunde Zeit, das Tagebuch zu vervollständigen. Ich folge der Route 95 des Velo-Netzes, die das Toggenburg hinabführt, oft auf netten Wirtschaftswegen an Bauernhöfen vorbei. Die Berge links und rechts werden nach und nach kleiner, Alpen ade.



Das Wetter schwankt hin und her; in Lichtensteig wird es zu warm für die Jacke, 20 Minuten später prasselt ein ergiebiger Schauer. Wieder Zeit für's Tagebuch, diesmal gemütlich im Schutz einer Tanne. In Wil Besichtigung der Altstadt. Ein letzter Schauer in Frauenfeld, danach bleibt es sonnig. Durch idyllisches Hügelland bis nach Diessenhofen am Rhein



Nach über einer Woche bin ich wieder auf deutschem Boden, der erste große Abschnitt der Reise ist vorbei. In den zwei Tagen, die mir bis zum Treffpunkt in Basel bleiben, werde ich ein paar Kenntnislücken im Südschwarzwald füllen. Schaffhausen kenne ich noch vom letzten Mal und halte mich nicht auf. Die Veloroute 77 führt sinnigerweise geradewegs durch eine Bahnstation: Nach einem dutzend Alpenpässen muss ich ausgerechnet an der weltberühmten Bahnhofstreppe von Neuhausen eine Tragepassage einlegen.



Weiter geht es durch den Klettgau, Neunkirch hat ein nettes Städtli, auch der Ortskern von Hallau ist hübsch. Bei der Abfahrt zur Wutach ist es so schön, dass ich vor Freude anfange zu singen. Schon acht Uhr ist es, als ich in Stühlingen ankomme, eine harte Steigung führt mich zur Pension Gysi, aber die Mühe lohnt sich. Während ich mit der Wirtin rede, schwebt ein Heißluftballon über dem Ort und scheint nicht mehr aus dem Tal rauszukommen. Gebannt schauen wir zu, aber dann kriegt er doch die Kurve.


Mo 9. August: Schwarzwald (Stühlingen - Wieden; sonnig, etwas kühl)

Mich weckt ein Hahnenschrei, aber ich bleibe liegen, bis mein Handywecker summt. Um dann festzustellen, dass sich das Mistding um eine Stunde verstellt hat! böse Nichts wie raus aus den Federn. Erst kurz nach 10 komme ich aus Stühlingen weg.



"Alb" hat die Wirtin die Landschaft zwischen Wutach und Steina genannt, und so ein wenig sieht sie auch danach aus. Wie Schwarzwald fühlt es sich in den Schluchten von Steina und Schlücht an. Dann biege ich auf die Werksstraße im Schwarzatal ein, die für den allgemeinen Kraftverkehr gesperrt ist. Ruhig und einsam ist es, aber auch ohne Abwechslung, die ganze Zeit umschlossen vom dichten Wald.



Ein Abstecher führt mich nach Schluchsee. Pause auf dem Kirchplatz, den ein Wal ziert. Im Schluchsee werden doch nicht...? Die Forststraße über Muchenland führt mich nach Bernau. Ich lege eine Offroad-Passage ein, das Präger Eck bietet ein schönes Panorama mit Feldberg und Belchen. Bei Herrenschwand ein lustiges Verkehrsschild: Gefährliche Kurven, "Forstfahrzeuge frei". Häh? verwirrt



Kurz vor sechs Ankunft in Schönau. Spontan beschließe ich, einen Schlenker zum Wiedener Eck einzulegen. Dort in der Nähe habe ich vor fünf Jahren auf meiner Schwarzwald-Tour übernachtet. Das war eine meiner ersten Touren mit dem Rad und die erste richtige Bergtour damals. So schließt sich ein Kreis. Leicht kurbelt es sich nach Wieden hinauf, bestimmt nie mehr als fünf Prozent, und im Haus Alpenblick kriege ich dasselbe Zimmer wie beim letzten Mal. Zum Abendessen gibt es Käsespätzle, mjam schmunzel


Di 10. August: Wiese (Wieden - Basel; sonnig)

Morgens kurbele ich gemütlich die restlichen paar Meter zum Wiedener Eck. Dort oben sind es genau 1000 km seit Landeck. Nochmal soviel und noch ein wenig mehr sollen es bis zum Atlantik werden, aber so hoch wie hier komme ich nicht wieder hinauf.

Auf der Abfahrt ein lustiger Ortsname: Holzinshaus. Zurück in Schönau probiere ich die Straße nach Schönenberg aus, zu meiner Überraschung ist die kleine Straße übers Sägeneck nach Wildböllen voll asphaltiert. Ein echter Geheimtipp, aber sausteil ist es, das kurze Stück ist anstrengender als alle Alpenpässe zuvor.



Am Haupass oberhalb von Neuenweg lege ich eine zweite Frühstückspause ein, die Krawallradler sind mittlerweile aus den Federn gekrochen und nerven. Dann geht es in die Abfahrt, das Kleine Wiesental hinunter. Ab Steinen ein netter Weg entlang der Wiese, rege frequentiert. Mittagspause in Lörrach, ich habe viel Zeit und lege noch einen Abstecher zum Wasserschloss Inzlingen ein.



Zwei Stunden vor der Zeit treffe ich am Badischen Bahnhof Basel ein, wo mein Vater um halb fünf ankommt. In der Zwischenzeit krame ich nochmal die Arbeit hervor und schreibe einen Bericht, den ich später vom Internet-Rechner des Hotels abschicke. Jetzt steht dem Rest des Urlaubs nichts mehr im Wege. Abends noch ein gemeinsamer Stadtbummel durch die Basler Altstadt.


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#720300 - 10.05.11 21:52 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
StefanS
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Beiträge: 3.637
Mi 11. August: Elsass (Basel - Montbéliard), bedeckt, dann sonnig

Für die Tour von hier bis zum Atlantik, der Eurovelo6 folgend, haben wir die Karten vom Huber-Verlag besorgt. Unter den vielen Logos auf der Karte ist das größte das des Tourismusverbands Baden-Württemberg. Die Strecke in BW beträgt 530 Meter, vom Grenzübergang Kleinhüningen bis zur Dreiländerbrücke schmunzel Etwas monoton geht es am Kanal entlang bis nach Mülhausen. Am Marktbrunnen labt sich eine durstige Ameise.



Danach weiter am Kanal. Noch im Territoire de Belfort ist der Weg netterweise in deutsch beschildert, wenngleich der Text wohl von Yoda stammt.



Gegen vier kommen wir in Mömpelgard an. So jedenfalls kenne ich den Stadtnamen aus den Geschichtsbüchern seit meiner Stuttgarter Zeit. Imposant thront das Château des Ducs de Wurtemberg über einer sonst mäßig interessanten Altstadt. Langwierig gestaltet sich die Suche nach einem Lebensmittelladen, erst jenseits der Gemeindegrenzen werden wir fündig.




Do 12. August: Doubs (Montbéliard - Besançon), wechselhaft

Im Regen verlassen wir Montbéliard, nach etwa einer Stunde hört es auf. Wir fahren den ganzen Tag im Tal des Doubs, dessen Schleifen und Felshänge für mehr landschaftliche Abwechslung sorgen. Flach geht es dahin, besondere Sehenswürdigkeiten sind Fehlanzeige.



In Roche-lès-Clerval ein französisches Radler-Ehepaar. Er ist schon auf unserer Höhe, aber sie hat etwas Interessantes erblickt und ruft ihn zurück. Nur für uns hörbar seufzt er: "Ah, les femmes" schmunzel

Vor Baume kriegen wir aus dem Nichts eine zweiminütige Dusche ab, danach scheint urplötzlich die Sonne. Mein Vater plagt sich mit Schmerzen in der Kniekehle, die ihn noch mehrere Tage begleiten sollen. Die Zitadelle von Besançon dominiert eine weit geschwungene Schleife des Doubs und kündigt das Ende der Etappe an. Abends unternehmen wir noch einen Stadtbummel, die Zitadelle hat leider schon zu.




Fr 13. August: Jura (Besançon - Dole), meist sonnig

Wir verlassen Besançon durch einen Schiffstunnel, der die besagte Schleife abschneidet. Später gibt es noch so einen Tunnel, aber diesmal nur für die Schiffe - wenn überhaupt, denn anscheinend kriegt jeder, der den Tunnel benutzt, eine kräftige Dusche ab.



Die zweite Hälfte des Vormittags verbringen wir an der Tropfsteinhöhle von Osselle, die im Rahmen einer Führung zu besichtigen ist. Wie in der Fränkischen und Schwäbischen Alb hat der Kalkstein auch hier im Jura seine Wunderwerke geschaffen.



Für den Rest des Tages weichen wir von der EV6 ab und machen einen Abstecher nach Arc-et-Senans. Der Architekt Ledoux wollte im 18. Jahrhundert rund um die dortige Saline eine idealtypische Stadt errichten, von der aber nur ein kleiner Teil fertig wurde. Ein weiter Halbkreis von salzweißen Nebengebäuden umgibt das prächtige Haus des Salinenmeisters im Zentrum. Eine Ausstellung zeigt Werke und teils futuristisch anmutende Pläne des Architekten.



Eine sehr ruhige Straße durchs so genannte Val d'Amour führt uns nach Dole. Ruhig deshalb, weil eine Brücke gesperrt und daher kaum Verkehr ist. Wir hingegen können unsere Fahrräder trotzdem um die Bauzäune herumwuchten. Tagesausklang in der Petite Venise, einem italienischen Lokal am Wasser im ehemaligen Gerberviertel.


Sa 14. August: Saône (Dole - Chagny), freundlich

Wir sind in der flachen Übergangslandschaft zwischen Jura und den Hügeln des Burgunds angekommen, bei St-Jean-de-Losne erreichen wir die Saône. Ein kleiner Junge gibt sich redlich Mühe, den Kühen das Muhen beizubringen. Aber die denken gar nicht daran, es ihm nachzutun.

Wir weichen wieder von der EV6 ab und fahren Richtung Westen auf die Côte-d'Or zu. Das berühmte Kloster Cîteaux verpassen wir, weil ein auf der Karte vorgesehener Weg nicht existiert. Nach Mittagspause in Nuits-St-Georges geht es durch die Weinberge nach Süden.



Beim Frühstück in Dole hatte ich ein Bild vom Hôtel-Dieu in Beaune gesehen. Das will ich jetzt unbedingt anschauen, während mein Vater ein Café vorzieht. Meine Wahl bereue ich nicht, das ehemalige Spital mit seinen bunt gemusterten Dächern und bedeutenden Kunstschätzen zählt sicherlich zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Burgunds. Aber auch mein Vater hat seine Unterhaltung, als ein barfüßiger IrrerOriginal mit Eberkopf vor dem Café Verkehrspolizist spielt.



Über winzige Straßen in den Weinbergen weiter nach Süden, in Meursault ist gerade eine prächtige Hochzeit mit Kutsche und allem Drum und Dran. Übernachtung in Chagny, wo wir gegen 17:30 eintreffen. Unter der Veranda des Hotel-Restaurants sitzen wir den einsetzenden Regen aus, der noch die ganze Nacht anhält.


So 15. August: Dheune (Chagny - Digoin), wechselhaft

Auch morgens regnet es noch. Die EV6 schickt sich an, uns die nächsten zwei Tage über die Hügel zu hetzen. Wir ziehen die flache, ruhige Straße entlang des Canal du Centre vor und sind dabei nicht die einzigen: Ein Schweizer Paar aus Zug und ein Radler aus Saarbrücken auf der Rückreise vom Zentralmassiv sorgen für kurzweilige Unterhaltung.

Das waren fast schon die Höhepunkte des Tages, denn zu sehen gibt es lange Zeit nicht viel. Immerhin: Das Wetter bessert sich, und der Scheitelpunkt des Kanals markiert die Wasserscheide zum Atlantik, eine gedanklich bedeutende Wegmarke.

Endlich erreichen wir Paray-le-Monial, Pilgerstadt und südlichster Punkt der EV6. Ziemlicher Trubel, irgendeine kirchliche Veranstaltung. Gerade als wir wieder losfahren, prasselt nochmal ein kräftiger Schauer hernieder. Auch die Pilger hatten die Vorsehung nicht auf ihrer Seite, klatschnasse Gruppen begegnen uns am Kanal. Da uns die Wolken entgegen kommen, lege ich den Turbo ein nach dem Motto "wer schneller fährt, ist kürzer nass". Klappt auch, nach 15 Minuten haben wir wieder Sonnenschein.



Kurz darauf sind wir in Digoin und erstmals an der Loire! Wir quartieren uns im kleinen Hôtel des Diligences ein, wo wir nach einem kurzen Rundgang auch zu Abend essen und den Tag beschließen.




Mo 16. August: Nièvre (Digoin - Nevers), bedeckt

Auch heute gibt es unterwegs nicht viel zu sehen, wenigstens bleibt es trocken. Die ersten 30 km spulen wir auf einem neuen Radweg am Loire-Seitenkanal ab. In St-Aubin werfen wir einen Blick auf das "erste" Château der Loire. Freilich beanspruchen diesen sinnfreien Titel noch mindestens zwei andere Stätten (Arlempdes und Sully).



Hübsch sind die Altstadtgassen von Bourbon-Lancy rund um den Torturm, wo wir uns eine Weile aufhalten. Danach folgen wir der Routenempfehlung der EV6, nur um uns davon zu überzeugen, dass all die Hügel einfach nur ermüdend und langweilig sind. Nach Mittagspause in Cronat fahren wir auf der Hauptstraße weiter. Offenbar hat der gestrige Regen tausende Nacktschnecken auf die Straße gelockt. Weiter als bis zum rechten Autoreifen sind sie nicht gekommen, ein makabrer Todesstreifen bietet sich uns dar. Igittigitt.



Abgesehen von einer kurzen Pause in Decize fahren wir bis Nevers durch, unserem Zielort für heute. Kultureller Höhepunkt ist die Kathedrale mit ihren modernen, bunten Glasfenstern. Übernachtung im Etap nördlich der Stadt, abends tun wir uns beim Chinesen am Büffet gütlich.


Di 17. August: Loire (Nevers - Briare), meist freundlich

Da wir schon mal nördlich von Nevers sind, nehmen wir eine Abkürzung querfeldein nach La Charité-sur-Loire. Von der dortigen Priorei, Station der Jakobspilger, wird behauptet, dass sie einst die zweitgrößte Kirche des Okzidents war. Ob das stimmt, weiß ich nicht, heute scheint sie stattlich, aber nicht größer als viele andere zu sein.



Wir wechseln aufs linke Ufer, die Region Centre, begrüßt uns mit einer netten Radroute durch die ruhige Uferlandschaft. Nach einer Stunde baut sich Sancerre vor uns auf, malerisch auf einer Bergkuppe gelegen. Oben warte ich vergeblich auf meinen Vater, erst per Handy finden wir uns wieder. Irgendwie hat er einen anderen, steileren Anstieg als die Hauptstraße gefunden.

Nach Mittagspause und Stadtbesichtigung geht's geschwind wieder bergab. Nächste Station ist das Briefträgermuseum in Cosne. Da fühlt sich mein Vater zu Hause, er interessiert sich für Postgeschichte. Nur ein sehr kleines Museum, dafür umso enger mit allerlei Exponaten bestückt, und die Museumswärterin ist sehr nett und spart nicht mit Erklärungen. (Post-)Fahrräder gibt's natürlich auch, und eine Hundekutsche, angefertigt für die erste Briefträgerin der Region.



Nach einigen unfreiwilligen Navigationsabenteuern auf der EV6 erreichen wir das heutige Ziel Briare, wo wir uns gleich neben der berühmten, 660 m langen Kanalbrücke einquartieren. Laternen und Drachenköpfe zieren den Beginn des Wasserwegs, der Briare mit Paris und der Normandie verbindet.




Mi 18. August: Loiret (Briare - Orléans) / 106 km, überwiegend heiter

Anfangs ist es noch bedeckt, aber je näher wir Sully kommen, desto mehr zeigt sich die Sonne. Wieder ein erstes Loire-Schloss, diesmal im Weltkulturerbe "Schlösser der Loire" - wir sind im klassischen Fluss-Abschnitt angekommen. Schick ist das Schloss auch, von außen jedenfalls. Wir treffen ein deutsches Ehepaar mit Fahrrädern und tauschen Erfahrungen aus.



Der Rest der Route besteht aus kleineren Zwischenstopps: an der Abteikirche von St-Benoît, der karolingischen Dorfkirche von Germigny, in Châteauneuf. Dort verlieren wir uns wieder aus den Augen, als mein Vater eine Fotopause einlegt und dann einem anderen Radler folgt, der wie ich ein rotes Trikot trägt, aber leider in eine andere Richtung fährt.



In Jargeau steht zwar kein Schloss, dafür das erste Jeanne-d'Arc-Denkmal der Reise. In der offenen Landschaft am Flussufer haben wir längere Zeit mit Gegenwind zu kämpfen. Kurz vor Orléans treffen wir nochmals das Ehepaar aus Sully. Der Weg nach Orléans rein ist ganz nett durch einen Park. Wir nehmen das Etap im Süden der Stadt und fahren abends zur Stadtbesichtigung ins Zentrum.


Do 19. August: Châteaux (Orléans - Blois), sonnig

Orléans ist eine Tagestour von Paris weg. Ein komisches Gefühl, nach fast drei Wochen so nahe von zu Hause zu sein und trotzdem noch eine Woche zu fahren. Aber der beste Teil der Loire kommt ja noch, das motiviert. Dazu das Wetter: nach einer Woche wird es endlich wieder richtig sommerlich.

Cléry-St-André, Meung und Beaugency heißen die ersten Stationen, wo wir uns kürzer oder länger aufhalten. Es sind deutlich mehr Radler als vor Orléans unterwegs, zwischendurch treffen wir auf einen älteren Deutschen, der selbst noch viel vorhat und uns mit Fragen nach Kilometerstand und dergleichen zu löchern versucht. Schnell weg.



Chambord nennt sich "le château absolu". Etwas großspurig, aber wenn man die unzähligen Türmchen auf dem imposanten Mittelbau sieht, kann man sehen, woher der Name kommt. Natürlich ist es ein Touristenmagnet erster Ordnung. Wir schauen uns das Schloss auch von innen an, was eher von der Architektur her interessant ist. Ein Erfolgserlebnis habe ich in der Schlossboutique: Zum ersten Mal fragt mich die Kassiererin nach meinem Département und nicht nach der Nationalität grins



Nach zwei Stunden haben wir vom Trubel genug und fahren weiter nach Blois, wo wir uns gleich das nächste Schloss anschauen, eine Zeitlang Sitz der französischen Könige. Unser Besuch, etwas im Schnelldurchgang, dauert "nur" anderthalb Stunden, interessant ist die Innenausstattung. Danach suchen wir uns ein Hotel und lassen den Abend beim Italiener ausklingen.




Fr 20. August: Touraine (Blois - Tours), heiß

Das Frühstück ist mal wieder dürftig. Als erstes holen wir die Besichtigung der Innenstadt nach, dann weiter am Südufer. Vor Candes-sur-Beuvron führt uns die Ausschilderung auf einen mehrkilometrigen Umweg. In Chaumont wollten wir eigentlich durchfahren, entscheiden uns dann doch spontan für eine Besichtigung. Von außen imposant, von innen weniger - nett, aber kein "incontournable" wie Chambord.



Die letzten 10 km bis Amboise fahren wir auf der Landstraße, gesäumt von Felsenkellern, in denen Wein feilgeboten wird. Amboise hat auch ein großes Schloss, unsere Hauptattraktion für heute ist aber das Clos-Lucé, wo Leonardo da Vinci seine letzten Jahre verbracht hat. Im Haus ist eine Ausstellung über ihn und sein Werk, im großen, schattigen Park findet man Nachbauten seiner zahlreichen Entwürfe. Auch Vorläufer von Panzern und Maschinengewehren sind dabei, das freut die Kinder. Nee, im Ernst, sehr sehenswert das Ganze.



Die nahegelegene Pagode hätten wir uns gerne von außen angeschaut, aber selbst das soll 8 Euro kosten, nein danke. Durch nahezu flache "Weinberge" (Weinebenen?) geht es auf Tours zu. In der Innenstadt führt uns die Ausschilderung "Office de Tourisme" an der Nase herum. Bei allem Respekt, aber Franzosen und Ausschilderung, das geht nicht zusammen. Und wenn ich schon mal am Meckern bin: Warum kommen die OTs eigentlich nicht auf die Idee, ein Gastgeberverzeichnis frei auszulegen? Jedesmal eine Viertelstunde anstehen, um eins zu ergattern, das nervt. Am Ende wird's eh das Etap beim Bahnhof.


Sa 21. August: Vienne (Tours - Saumur), Hitze

Auch diesmal wird die Stadtbesichtigung am nächsten Morgen nachgeholt. Vor der mächtigen Kathedrale treffen wir zwei Holländer mit dem Rad auf dem Jakobsweg, die sich hier einen Stempel abholen. Tours ist ja die Stadt des Hl. Martin, der mit dem halben Mantel. In der Altstadt stehen drei scheinbar zusammenhanglose Türme, die alle mal zur selben riesigen Pilgerkirche gehört haben, die dann während der Revolution zerstört wurde; die heutige, kleinere Basilika ist ein Neubau aus dem 20. Jahrhundert.



Außerhalb von Tours geht es auf einem netten Radweg am Südufer des Cher entlang. Schloss des Tages ist Villandry, in dessen abwechslungsreichen Gärten wir die zweite Hälfte des Vormittags verbringen. Anschließend weichen wir von der EV6 ab und fahren auf kleinen Landstraßen nach Azay-le-Rideau, dessen Schloss wir nur von außen anschauen.



Bei teils unangenehmer Hitze schlagen uns durch den Wald ins Tal der Vienne durch und statten Chinon einen Besuch ab. Schön ist es bei Candes-Saint-Martin am Zusammenfluss von Vienne und Loire. Tagesziel für heute ist Fontévraud, etwas abseits des Flusses gelegen. Nur dass es dort keine Unterkunft mehr zu kriegen ist, irgendeine Veranstaltung. Die Abtei ist eine Enttäuschung; abgesehen von vier bemalten Sarkophagen, darunter der Richard Löwenherz', sind Kirche und Kloster komplett leer; dafür ein Eintrittspreis wie in Chambord.



Wir fahren noch weiter nach Saumur. Die Tourist-Info hat schon zu, aber man ist modern: Es gibt ein Info-Terminal, das sich freilich weigert, mehr als die erste von fünf Seiten mit Hotels anzuzeigen. Und dann geht gar nichts mehr, denn Punkt 20 Uhr fährt das Ding runter böse Nach einigen Anläufen finden wir trotzdem was. Auch die Gastronomie hat schon zu (Samstagabend um 9 - hallo?), so muss der Pizzabäcker aushelfen.


So 22. August: Anjou (Saumur - Chalonnes), meist sonnig

Zum Ausgleich dafür, dass es im Zimmer irgendwie zu heiß war, gibt es morgens ein üppiges Frühstücksbuffet, das beste Frühstück auf der ganzen Tour. Auf dem weiteren Weg am Südufer treffen wir einen Radler mit Platten, der sich partout nicht helfen lassen will, weil er "nur" zwei Dörfer weiter wohnt. In Saint-Mathurin-sur-Loire stoppen wir am Supermarkt und werden anschließend, zusammen mit spanischen Radlern, für ein Foto vereinnahmt - das örtliche Gemeindeblatt will einen Bericht über den Loire-Radweg schreiben.



Mit Rückenwind geht es fix weiter. Übrigens, über Gegenwind hatten wir trotz Fahrtrichtung West nie viel zu klagen. Schon um 13 Uhr sind wir in Angers. Die Burg beeindruckt mit ihren dicken Wehrtürmen und birgt einen Schatz: den gigantischen Wandteppich der Apokalypse, mit bestimmt über 100 Metern Länge auf zwei Flügel eines eigens errichteten Gebäudes verteilt. Jedes einzelne Bild des Zyklus ist riesig, man kann sich die Arbeit gar nicht vorstellen, die das gekostet haben muss.



Am späten Nachmittag fahren wir noch ein Stück weiter und machen Station in Chalonnes, diesmal in einer Chambre d'hôtes. Abendessen auf einer Terasse am Flussufer, auf dringende Empfehlung unseres Gastgebers, der wohl mit dem Wirt bekannt ist und selber dort speist. Gutes Essen, aber die Portion hätte etwas größer sein dürfen.


Mo 23. August: Bretagne (Chalonnes - Nantes), verregnet

Heute ist mal wieder schlechtes Wetter angesagt. Andererseits, hätte ich mir einen Tag dafür aussuchen müssen, dann diesen, wo unterwegs so rein gar nichts zu sehen ist. Nach einer halben Stunde geht der Regen los und hält sich den ganzen Tag, im Wechsel mit kurzen Trockenphasen.

Die Brücke von Ancenis hat, wie so viele andere in der Gegend, ein Schild, dass Radfahrer doch bitte aufs Trottoir wechseln und schieben möchten. Sonst geht's gut? Ancenis, obgleich Sitz einer Unterpräfektur, ist ein ziemlich trostloses Nest, im Stadtzentrum ist nichts zu Essen zu finden, nur zufällig finden wir einen Imbiss im riesigen Leclerc-Supermarkt am Stadtrand.



Ein Stückchen weiter sind wir dann in Loire-Atlantique. Unter dem Departementschild befriedigt der Hinweis "Bretagne historique" die regionalen Empfindlichkeiten. Ohne weitere Besonderheiten erreichen wir Nantes. Nach Einquartierung und Dusche machen wir uns an die Stadtbesichtigung, außer der Burg der bretonischen Herzöge wäre da noch die ehemalige Keksfabrik im Jugendstil und die Kathedrale. Die Allegorie der "Force morale" schaut ziemlich bedient aus der Wäsche - Kommentar zum damaligen Zeitgeist, oder ist es nur langweilig, Würmer aus Türmen zu ziehen?




Di 24. August: Atlantik (Nantes - St-Nazaire), sonnig

Zum Abschluss haben wir nochmal richtig schönes Wetter. Wir verlassen Nantes am Nordufer und nehmen versehentlich eine Fähre zu früh, die nach Indre, dafür ist sie kostenlos. An Bord versucht uns ein Schlauberger weiß zu machen, wir seien falsch, St-Nazaire läge doch am Nordufer. Ach ne.

Am Südufer ist es dafür ganz nett, etwas hügelig bis Le Pellerin, dann an einem netten Kanal entlang bis Paimboeuf. Hier ist der Atlantik schon deutlich zu spüren, die Loire ist über einen Kilometer breit, und ein kleiner Leuchtturm steht am Hafen, wo wir unsere Mittagspause einlegen.



10 Kilometer weiter auf der Landstraße nach St-Brévin, und wir stehen am Strand, vor uns der offene Atlantik. Ein toller Anblick und ein stolzes Gefühl, vom Herz der Alpen bis hierher gefahren zu sein. Wir verweilen ein bisschen, dann machen wir uns auf, um die größte Steigung seit Basel in Angriff zu nehmen: die Brücke nach St-Nazaire. Der Verkehr lässt einem nicht so recht die Muße, das Erlebnis zu genießen, aber auch das geht vorbei, und bald sind wir am endgültigen Ziel unserer Reise.



In St-Nazaire setzen wir uns in eine Crêperie und lassen es uns schmecken: Crêpe mit Banane, Vanille-Eis und Nutella, hmm. Gegenüber prägt stabile deutsche Architektur das Stadtbild, nur so verdammt grau. Heute ist eine Art Vergnügungspark drin. Der Bahnhof von St-Nazaire wirkt, als wäre er einem Schiff nachempfunden. Nur, dass uns dieses Schiff dem Alltag näherbringt und nicht fernen Welten. Am späten Nachmittag bringt uns ein TGV nach Paris.




Epilog

Mein Vater bleibt noch zwei Tage und schaut sich Paris an, dann geht es heimwärts für ihn, und für mich geht die Arbeit wieder los.

Mitte September mache ich nochmal einen Wochenend-Ausflug in die Bretagne und fahre von St-Nazaire aus an der Küste weiter bis nach Vannes. Das Stück von St-Nazaire bis Le Croisic und Guérande ist wirklich sehr nett, ich würde jedem, der die EV6 fährt empfehlen, dieses Stück noch mitzunehmen, zumal der TGV eh bis Le Croisic fährt.

Und wenn wir schon bei Empfehlungen zur EV6 sind, ein kurzes Fazit: Die Strecke ist nett, hat aber auch ihre Längen, insbesondere im Burgund, dessen interessante Partien anderswo liegen. Die Varianten über Arc-et-Senans und Beaune sind empfehlenswert, um die Monotonie aufzubrechen. Interessanter ist die zweite Hälfte, insbesondere zwischen Orléans und Angers.

Es war mit Abstand meine bisher längste Radreise und trotz aller erworbenen Routine ein besonderes Erlebnis. Vielen Dank an alle im Forum, die mich mit ihren Reiseberichten von den Alpen und der EV6 inspiriert und zum Gelingen beigetragen haben. Doch bleibt, bei allen schönen Erinnerungen, auch ein bitterer Nachgeschmack: zwei Monate später wurde mein treues Fahrrad, das mich sechs Jahre zuverlässig durch dick und dünn begleitet hat, gestohlen, als ich es bei der Arbeit geparkt hatte. Ihm sei dieser Bericht gewidmet. Wenigstens war ihm vorher noch vergönnt, diese Tour zu fahren, wer weiß, wer es jetzt verrotten lässt traurig



Geändert von StefanS (10.05.11 21:59)
Änderungsgrund: Ortsnamen korrigiert
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#720306 - 10.05.11 22:42 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
veloträumer
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Danke für den genüsslicher Bericht - auch von einer guten Portion Humor getragen. Manches vorgetragene Gefühl kommt mir bekannt vor. Für eine passablen Alpensommer 2010 hättest du früher in Pedalen treten müssen - nur die Anfänge des Sommers waren ausreichend erträglich. Deinem gestohlenen Drahtesel wünsche ich dann auch alles Gute - ich glaube nicht, dass er verrottet. schmunzel
Liebe Grüße! Ciao! Salut! Saludos! Greetings!
Matthias
Pedalgeist - Panorama für Radreisen, Landeskunde, Wegepoesie, offene Ohren & Begegnungen
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#720436 - 11.05.11 10:22 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
Hansflo
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eine beeindruckende Tour und ein sehr schöner Bericht mit super Fotos.

Vielen Dank,

Hans
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#720598 - 11.05.11 17:09 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
barbara-sb
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Hallo Stefan,
vielen Dank für den interessanten Bericht und die schönen Fotos - Teil 2 kommt für mich gerade recht, Ende des Monats will ich von St. Nazaire aus den Eurovelo 6 angehen. Dank Deiner Angaben weiß ich jetzt auch, wo auf die Bahn umsteigen sollte, falls die Strecke länger als der Urlaub ist.
Gruß Barbara
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#720624 - 11.05.11 18:14 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
danni1
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wunderbarer Bericht bravo bravo bravo

Gruß Helmut der dieses Jahr auch in dieser Ecke ist
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#722151 - 16.05.11 14:26 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: veloträumer]
StefanS
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Danke allen für den netten Zuspruch. Mit dem Wetter war ich im Großen und Ganzen zufrieden, mit ein wenig Regen (und manchmal auch mehr) muss man bei einem solchen Zeitraum immer rechnen. Dafür hatte ich richtig Glück am Stilfser Joch.

Stefan
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#722660 - 18.05.11 06:58 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
Kekser
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Unterwegs in Deutschland

Schicker Bericht. Mir kamen da einige Bilder sehr vertraut vor. Teilweise habe ich im gleichen Winkel fotographiert.

Besonders die Mutanten im Skulpturenweg sind possierlich... Mein Favorit ist jedoch der Gorilla, der etwas weiter oberhalb stand.

Gruß, Daniel
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#722670 - 18.05.11 07:41 Re: Alpen-Atlantik 2010 [Re: StefanS]
GlobalDave
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Hallo!

Eine sehr schöne Tour.
Super Bilder...

Danke
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