Dauer:17 Tage
Zeitraum:2.7.2010 bis 18.7.2010
Entfernung:1050 Kilometer
Bereiste Länder:deDeutschland

1000 km quer durch Deutschland – von Waren nach Frankfurt

Teil 1: von Waren nach Groß Glienicke

Lange geplant, spät gebucht, trotzdem gemacht – eine Radtour von Mecklenburg-Vorpommern nach Hessen.

Leider ist der Zettel mit den Daten zu den einzelnen Etappen verloren gegangen. Im Schnitt sind wir 70 bis 80 km pro Tag gefahren, mal etwas mehr, mal, wie am Ruhetag in Berlin, etwas weniger.

Freitag, 2. Juli: Bahnfahrt Frankfurt - Waren
Der frühe Zug war bereits ausgebucht, aber im IC um 10:44 Uhr nach Rostock gab es noch zwei Plätze. Bequeme Anreise, weil in Rostock ja mehr als eine Stunde Zeit zum Umsteigen war. Die sich dann Minute um Minute reduzierte, weil der Steuerwagen ein technisches Problem hatte. Just in time erreichen wir Rostock und den Anschlusszug. 19:29 Uhr Ankunft in Waren, eine nette Bahnmitarbeitern öffnet uns die Schranke über die Gleise und erspart uns damit die Treppen, die nette Pension in der Altstadt schnell gefunden und hinaus an die Müritz, erste Urlaubsluft schnuppern. Richt leider ein wenig muffig. Viele übergewichtige Menschen mit Tattoos, denen die bescheidene gastronomische Qualität an der Promenade offenbar nicht viel ausmacht. Aber vielleicht haben wir auch nicht lange genug gesucht. Immerhin sind die Getränke kühl, die geräucherte Forelle lauwarm, und das Finale des Viertelfinales Ghana gegen Uruguay regt sogar die sonst fußballresistente Gattin auf. So eine Ungerechtigkeit aber auch ...

Samstag, 3. Juli: Waren – Klein Quassow
Jetzt geht’s … immer noch nicht los. Nach gut einem km stellen wir fest: Mit dem Schutzblech kann sie nicht fahren. Aber direkt vor uns, schon auf der Ausfahrt aus Müritz, ein Fahrradladen: „Ne, das haben wir nicht da, fragen Sie mal beim Karberg“. Zurück in die Altstadt, und, ja, die können helfen, wird aber bis 11 Uhr dauern. Tja, das könnte knapp werden bis zum Anpfiff des Deutschland-Argentinien-Spiels, den wir wollen ja reisen, nicht rasen. Mit einem „ist doch nicht so wichtig, das Spiel“ versuche ich ein mögliches schlechtes Gewissen der Gattin im Keim zu ersticken. Der zweite Versuch, Waren zu verlassen, glückt, wir überholen einen älteren Herrn mit Gepäck und erreichen nach sieben sehr schönen Kilometern durch viel Wald Federow. Hier muss man anhalten und der ersten und einzigen Hörspielkirche Deutschlandszumindest einen kurzen Besuch abstatten. Da sind ein paar ganz umtriebige Menschen unterwegs, und wir bedauern es, hier am Vormittag und nicht erst am Abend zur Hörspielzeit einzutreffen. Die Temperatur steigt, wir müssen ein paar kleine Steigungen nehmen, ehe wir Ankershagen erreichen und im Schatten des Schliemann-Museums eine kleine Rast machen. Da trifft auch der ältere Herr aus Waren ein und fragt uns nach einem brauchbaren Weg von Fulda nach Frankfurt. Wir empfehlen die Fulda bis Schlitz und dann nach Lauterbach auf den Vulkanradweg – ist ja auch unsere Strecke. Dann stehen wir endlich an der Havelquelle, dem Fluss, der uns die nächsten Tage begleiten wird. Akkurat und ansprechend eingefasst, da werden wir später noch Liebloseres sehen. Immer wieder Vogelbeobachtungsstationen, aber ein Fischadler ist leider nirgends zu entdecken. Durch leicht hügeliges Terrain und über teils unschönes Pflaster nähern wir uns der 16-Uhr-Marke, zum Anpfiff in Kapstad radeln wir in Blankenförde ein. Und bereits zwei Minuten später lautes Gebrüll von einem Gartenkiosk – da haben wir bereits das erste Müller-Tor verpasst. Nur nicht hetzen, Klein Quassow am Großen Labussee und die Unterkunft sind nah. Die Gattin geht schwimmen, ich genieße (so muss man’s wohl sagen) die zweite Halbzeit von Deutschland-Argentinien. Und wer hat das Landhotel Labussee ebenfalls als Übernachtungsort gewählt? Der nette ältere Herr, mit dem wir am Abend viele Erlebnisse und Informationen austauschen. Er radelt von Kopenhagen nach Berlin, will von dort mit dem Zug nach Fulda, von dort Richtung Rhein-Main-Gebiet und später zurück in die Schweiz. Das allein fasziniert uns bereits, die Spucke aber bleibt uns weg, als er uns sein Alter verrät: Der Mann ist 82 Jahre jung! Viel Glück und gute Erlebnisse, Oskar Rohrmoser, auf allen kommenden Radtouren.

Sonntag, 4. Juli: Klein Quassow – Zehdenick
Wesenburg hat die Nacht zuvor Burgfest gefeiert, dass man’s bis Klein Quassow hörte. Wir holpern über Kopfsteinpflaster durch das nette Städtchen bewundern Burg, Marienkirche mit riesiger Linde davor und nehmen bedauernd zur Kenntnis, dass das vielversprechende Spielzeugmuseum erst am Nachmittag öffnet. Auf abenteuerlichen Radwegen geht es durch Wälder, an Seen entlang – nichts für Rennradler, für Anhänger, für Liegeräder. Aber für die Augen und Ohren. Vor Neu-Canow geht es ziemlich unmotiviert noch einmal auf einen Wurzelweg in den Wald hinein, da könnte man den Weg doch auch über die kleinen Landstraße führen. Achtung: Nach eine steilen Rampe vom See hinauf bei der Dorfstraße links abbiegen. Wir waren wahrscheinlich dermaßen auf schlechte Feld- und Waldwege geeicht, dass wir geradeaus fuhren und den Fehler erst nach zwei km bemerkten. Entscheidung vier km vor Fürstenberg: links auf den Havel-Radweg oder geradeaus durch den Wald? Geradeaus ist eine gute Entscheidung, denn der Weg führt zum Röblinsee und durch die Röblinsiedlung – traditionelle Sommerfrische betuchter Berliner mit ansprechender Architektur. Fürstenberg liegt und ist schön, leidet aber unter dem donnernden Durchgangsverkehr der B 96. wir retten uns auf den Marktplatz vor der Stadtkirche und werden von einem netten Imbissbesitzer aus Wassersuppe mit Essen, Getränken und Informationen versorgt. Der Kontrast zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am Schwedtsee am Ostrand von Fürstenberg, dem größten Frauen-KZ während des Nationalsozialismus, könnte größer nicht sein: Ruhe bis zur fast völligen Stille. Und der nächste Kontrast: ein phantastischer Radweg führt in den Vier-Seen-Ort Himmelpfort mit seinem berühmten Weihnachtspostamt, mit Zisterzienserkloster und Havelschleuse. In Bredereiche gibt es noch eine schöne, bei unserer Durchfahrt prallvolle Havelschleuse mit Hubtoren zu bewundern, Zum Abschluss des Tages radeln wir bei Mildenberg in einen Ziegeleipark hinein, in dem viele aufgelassene Tonstiche eine traumhafte Seenlandschaft gebildet haben. Einer dieser Stiche ist der Haussee des Appartmenthotels Kormoran in Zehdenick. Eine Unterkunft der „hier will ich bleiben“-Kategorie, die wir umgehend in die Top 5 unserer Radtourenunterkünfte aufnehmen. Nicht abschrecken lassen von der Anfahrt durch Randlage und Industriegebiet, hier ist das Ziel das Ziel und nicht der Weg.

Montag, 5. Juli: Zehdenick - Oranienburg
Zehdenick hat eine Schleuse und eine Zugbrücke, ein Zisterzienserinnen-Kloster und ein Trockendock und macht überhaupt einen ganz lebhaften Eindruck. Nach der Getränkeversorgung geht es auf komfortablem Weg flott an der Havel weiter, auf der uns viele flussaufwärts tuckernde Boote begegnen. In und hinter Liebenwalde muss man ein paar km Straßenlärm ertragen, aber kurz vor Kreuzbruch erwartet uns wieder ein piekfeine Fahrradstraße Richtung Bernöwe. Der Ort wirkt wie eine Feriensiedlung; ein Weg zum Oder-Havel-Kanal, vielleicht mit einer Ruhebank, ist leider nicht zu finden. Na, dann zum Grabowsee, wo eine ehemalige Tuberkulose-Klinik im Wald verfällt, wo es eine nette kleine Badestelle gibt und wo eine neue Brücke die Fähre über den Kanal nach Friedrichsthal ersetzt. Ersetzen wird, muss man Anfang Juli leider sagen, denn wir kommen noch nicht rüber. Zwei Tage später soll sie eingeschenkt werden, was uns zu einem holprigen Umweg über Schmachtenhagen zwingt. In Oranienburg an der Schleuse am Lehnitzsee erreichen wir wieder den Havel-Radweg. Ärgerlich für Radler, die in die entgegen gesetzte Richtung fahren, dass es in Oranienburg keine Hinweis auf die fehlende Kanalüberquerung gibt – was 3,5 vergebliche Kilometer nach Friedrichsthal bedeutet, und 3,5 km wieder zurück. Im September soll sich der Umweg mit der Öffnung der Brücke erledigt haben. Direkt am Lehnitzsee steht unsere Pension Waldhaus mit schönem Biergarten, in der wir Mittagsvesper und, Luxus des Urlaubes, Mittagsschlaf halten. Die Kurzetappe diente eigentlich dazu, Oranienburg ausgiebig zu besichtigen, aber die Stadt enttäuscht (uns) fast völlig. Unzählige Freiflächen, vorm Schloss vierspuriger Verkehr und großer Parkplatz, eine Altstadt, die die Bezeichnung nicht verdient. Wenn nicht Montag wäre, hätten wir die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht oder die Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz, aber so ist der schnelle Rückweg ins Waldhaus die beste Wahl. Immerhin ist der Weg von und nach Oranienburg am Lehnitzsee entlang so schön, dass man ihn mehrmals fahren kann.

Dienstag, 6. Juli: Oranienburg – Groß Glienicke
Der Weg rein nach Oranienburg ist schön, der Weg raus aus Oranienburg weniger. Hinter Borgsdorf führt der Weg noch einmal ein schönes Stück durch den Wald, über Briese und den Naturlehrpfad, wo wir eine muntere Schulklasse auf Exkursion passieren. Nach Überqueren des Berliner Rings aber ist viel Aufmerksamkeit gefordert, um die permanenten Richtungswechsel und Abzweigungen in Birkenwerder und Hohen Neudorf nicht zu verpassen. Hinter der Hasenkuhle ist die nächste Autobahn, die A 111, schon zu hören und kurz danach in einem langen Bogen unterquert. An den Ausläufern von Hennigsdorf vorbei, verpassen wir natürlich den kleinen Stich vom Radweg Richtung Bundesstraße und stehen 100 m weiter konsterniert vor einer vierspurigen Straße mit Mittelleitplanke. Hier soll man rüber? Winkende Radler weisen den Weg zurück zum Abzweig im Wald. In Niederneuendorf gibt es einen der wenigen erhaltenen Grenztürme mit kleinem Museum zu besichtigen, bei Konradshöhe passieren wir die beiden Exklaven Fichtewiese und Erlengrund – einst West-Berliner Laubenkolonien jenseits der Mauer. Schön ist der Weg entlang der Havel, aber in Hakenfelde, Neustadt und Spandau wird’s ziemlich furchtbar. Alle paar Meter zweigt der Havel-Radweg ab, dauernd müssen Straßen überquert werden. Nach einem Abstecher nach Alt-Spandau wird es in Wilhelmstadt und Pichelsdorf nicht wesentlich besser, schöne Park-Passagen wechseln ab mit wenig radfreundlichem Terrain. Ich erinnere mich, mehrfach so etwas wie „eine Zumutung“ geflucht zu haben. Nobles Terrain beginnt spätestens in Gatow und Kladow. Wir erreichen Sacrow am gleichnamigen See, von wo man entspannt Richtung Krampnitz weiterradeln könnte. Könnte, weil ich vorschlage, doch lieber am Seeufer entlang einen Weg in den Bullenwinkel von Groß Glienicke zu suchen. Was prompt schief geht. So erreichen wir etwas umständlich über Groß Glienicke und die Landstraße unser Ziel, wo wir zwei Tage sehr komfortabel und exklusiv bei Freunden unterkommen.

Mittwoch, 7. Juli: Rund um den Wannsee
Ruhetag. Der beginnt morgens um 7:30 Uhr mit einer kleinen Joggingrunde zum Sacrower See und durch Groß Glienicke. Dann starten wir mit unserem Gastgeber eine Besichtigungstour rund um den Wannsee. Über Groß Glienicke und Kladow erreichen wir den Fähranleger und genießen ein launige Fahrt mit ein paar aufgeweckten Kita-Abgängern auf Abschiedstour. Erstes Ziel in Wannsee: das Kleist-Grab. Vor 199 Jahren nahm der Dichter erst seiner Begleiterin, dann sich am Kleinen Wannsee das Leben. Grab und Infokasten sind in einem wenig rühmlichen Zustand; zum 200. Todestag im nächsten Jahr wird da hoffentlich aufgehübscht. Nächstes Ziel ist die Max-Liebermann-Villa, in der der Großmeister des deutschen Impressionismus seine späten Sommer verbrachte und seinen Garten in vielen Facetten malte. Ein paar Häuser weiter steht das Haus, in dem hochrangige NS-Führer am 20. Januar 1942 die generalstabsmäßige Ermordung der Juden besprachen (die sogenannte Wannsee-Konferenz). Die Ausstellung behandelt die Entstehung des Antisemitismus und die Konferenz und ihre Teilnehmer. Das Haus ist viel besucht, wir sahen Gruppen aus Israel, den USA. Unsere kleine Radtour führt uns am Wannsee entlang Richtung Pfaueninsel, dann der Blick auf die Heilandskirche (wer da schon alles geheiratet hat!), schließlich ein Abstecher zu Schloss Glienicke, und dann haben wir die Glienicker Brücke erreicht, eines der berühmten Symbole deutsch-deutscher Teilung und Stoff für tolle Agentengeschichten. In der Villa Schöningen am westlichen Brückenkopf (der früher im Osten lag!) informiert eine Ausstellung im Erdgeschoss über die Brücke und ihre Geschichte; der erste Stock ist für Wechselausstellungen reserviert (aktuell: Büttner, Kippenberger, Oehlen). Im schönen Biergarten der „Meierei“ am Jungfernsee verarbeiten wir die Eindrücke des Tages und radeln über Nedlitz, Neu-Fahrland und Krampnitz zurück in den Bullenwinkel. Zum Halbfinale gegen Spanien treffen sich Nachbarschaft und Freundeskreis im Garten, großes Büffet, große Stimmung, die ob der Dominanz des Europameisters aber von Minute zu Minute sinkt. Der männliche Nachwuchs verliert bald die Lust am TV und zeigt beim Spiel auf ein Tor im riesigen Bullenwinkel-Garten, wie leicht man einnetzt, wenn kein Pique, kein Puyol, kein Casillas im Wege stehen.

Fortsetzung demnächst