Nachdem wir 2010 die Strecke
Firenze – Roma – Napoli gefahren sind, ist nun die Fortsetzung dran. 2010 dominierte der Vesuv unsere letzten Urlaubstage am Golf von Neapel, nun soll der Ätna unser Ziel sein. Doch zunächst nehmen wir uns den Süden Festland-Italiens vor.
Erstmals beginnen wir eine Radreise mit einem Flug. Da ich auf Nummer sicher gehen möchte, besorge ich 2 Fahrradkartons, Vorderrad raus, Lenker quer und Pedale ab. VEB Berlintaxi lässt uns trotz Zusicherung im Stich, so dass ich einen kleinen Transporter besorgen muss, aber das war’s auch schon mit den kleinen Pannen. Beim Vorabend-Check in gibt es keine Probleme. Ich darf sogar die Räder aufs Band legen und (im Hochsicherheitstrakt) wieder herunter nehmen. Habe der Dame natürlich gerne geholfen.
Kurz vor der Landung in Neapel gibt es noch einen schönen Blick auf den Vesuv. Auf das Gepäck müssen wir eine gute Stunde warten. Zu guter Letzt werden die beiden Kartons aufs Band gelegt. Glücklicherweise stehe ich in der Nähe und bewahre so die Räder vor einer Rundfahrt durch die Empfangshalle.
Auspacken und Räder flott machen, alles klar, aber was machen wir mit den Kartons? Ich packe sie auf den Wagen und fahre ein bisschen durch den Flughafen, aber niemand hat Interesse an einer deutschen Fahrradverpackung. Sonst liegt hier überall Müll herum, aber nicht am Flughafen. Irgendwann ist meine Geduld am Ende und ich stelle sie irgendwo hin. (Bitte nicht verraten, das war am Parkplatz neben der Polizeistation.)
Zurück zu den Rädern und auf ins neapolitanische Verkehrsgewühl. Irgendwie fühlen wir uns hier wohl, denn wir hatten ja im Vorjahr gute Erfahrungen gemacht.
Weil es recht eng ist, geht es auch langsamer zu als auf Berliner Straßen. Wir schauen den wuseligen Wespen zu und machen es ihnen nach. Immer zwischen den Fahrzeugen hindurch. So kommen wir oft schneller voran als die Autos. Unseretwegen wird auch nicht gehupt, bestenfalls mal ganz kurz, um einen Überholvorgang anzukündigen. Wenn zweimal gehupt wird, haben sich zwei Automobilisten wiedererkannt, winken sich zu oder halten gar ein kleines Schwätzchen, mitten auf der Straße.
Das geht so bis Torre del Greco. Ab hier habe ich mir einen Track über Nebenstraßen gebastelt. Dieser führt zunächst bergan Richtung Vesuv und hält sich im weiteren Verlauf auf etwa 200 m Höhe nahe der Nationalparkgrenze. Die Straßen sind eng und die Kurven unübersichtlich. Vor den Kurven muss gehupt werden, falls Gegenverkehr kommt. Wir können da nicht mithalten und fahren etwas defensiver.
Schließlich gibt es eine rasante Abfahrt, vorbei an zahllosen Hotelanlagen und Vorstadtgewerbe mitten ins Zentrum von Pompei. Unsere B&B-Gastgeber empfangen uns sehr herzlich. Mit einem Restauranttipp versehen, geht’s zum Domplatz und zur Via Roma, Schauplatz des samstagabendlichen Corso.
Am nächsten Morgen fahren wir erst einmal zum Domplatz. Hier hat sich eine Alte-Herren-Radlergruppe für das Gruppenfoto zum Auftakt ihres Sonntagsausflugs aufgestellt. Wir stellen uns einfach dazu – großes Gelächter. Die Fotoapparate werden ausgetauscht und kurz woher und wohin geklärt. Die Jungs fahren heute 32 km nach Napoli und wohl auch wieder so zurück.
Wir fahren zunächst zur Via Roma und werfen einen Blick auf die
scavi durch den Zaun. Eigentlich wollten wir gestern Abend noch einen Kurzbesuch abstatten, aber der Flugplan machte uns einen Strich durch die Rechnung. Wir waren ja schon einmal hier.
Durch endlose Vorstadtstraßen mit sonntäglich mäßigem Verkehr überqueren wir die Monti Lattari. Unterwegs erfreuen wir uns an den architektonischen Schönheiten und der typisch kampanischen Baukunst.
Leider sind auch diese Müllberge typisch für Napoli und Umgebung. Offenbar wird der Müll nicht regelmäßig abgeholt. Immerhin wird er ordentlich in Plastiksäcken abgelegt.
In Nocera geraten wir in eine Prozession, die sich nach einem kleinen Feuerwerk in Bewegung setzt.
Kurz vor Salerno kommt uns wieder eine Gruppe Rennradler entgegen. Wie immer gibt’s freundliche Grüße.
Auf einer erhöhten Uferpromenade in Vietri kurz vor Salerno genießen wir den Blick zurück auf die Amalfiküste
und fahren hinunter in die Hafenstadt. Wir stellen fest, dass viele Autos die Stadt verlassen, um die Bundesstraße zu erreichen, die die Stadt umgeht. Dazu kommt eine unendliche Kette von Trucks aus dem Hafen, so dass die Gegenrichtung schön zugestaut ist. Die Zufahrt in die Stadt ist aber für Autos gesperrt, wir haben freie Fahrt.
Ein paar Ecken weiter sehen wir die Ursache: Freie Fahrt für Radfahrer! Heute ist Fahrraddemo. Wenn man mal die Räder betrachtet (und die Rennräder ausblendet), muss man den Eindruck gewinnen, dass Italien ein Fahrrad-Entwicklungsland ist. Was hier so alles knarzt und scheppert. Dazu falsche Radgrößen, fehlerhaft eingestellte Sattelhöhen und die Stützradmanie, selbst bei Kindern bis zu 6 Jahren. Das kann ja nur besser werden!
Die Demo steht unter dem Motto:
Radle mit uns für Deine Gesundheit! – Nun geht es weiter auf einer ufernahen Straße bis Paestum. Wir finden ein Hotel gleich gegenüber den Ausgrabungen an der Via Nettuno. Unser Zimmer ist eigentlich ein Reihenbungalow, der auch Platz für die Übernachtung der Räder bietet. Wir machen uns flott und besuchen die alten Tempel griechischen Ursprungs. Leider trübt sich der Himmel, die Regentropfen halten sich aber sehr zurück. Das
centro storico ist nicht so ergiebig, mehr was für Bustouristen.
Heute wollen wir die Flachlandradelei aufgeben und ins Cilento aufbrechen. Zunächst nochmal an den Ausgrabungen vorbei,
verlassen wir die Ebene und gewinnen ziemlich schnell an Höhe. Bei Steigungen von bis zu 8 % merken wir, dass wir noch nicht richtig im Tritt sind.
In Trentinara sind wir aber schon auf 600 m. Es folgt eine wunderbare Höhenstraße bis Monteforte. Mittagszeit, aber keine Bar oder
tavola calda zu sehen. Also zum
supermercato. Der ist eher ein kleiner Dorfladen, aber für Mortadella, Käse und Panini reicht es. Der Dorfplatz mit dem Denkmal für die Gefallenen der beiden Weltkriege ist heute unser
ristorantemit Ausblick ins regenverhangene Cilento. Beim Weiterfahren bis auf 800 m wird es immer dunkler. Der Regen hält sich aber zurück,
sodass wir unseren geplanten Etappenort Valle della Lucania nach rasanter Abfahrt auf 400 m erreichen. Hier gibt’s sogar am Montagabend den Rundgang auf dem Corso. Wir beobachten die Menschen aus einem Café mit weichen Sofas auf der Straße.
Am nächsten Morgen fahren wir wieder zur Küste. Auf alten und schon etwas vernachlässigten, kaum befahrenen Landstraßen, die aber fast jeden Hügel mitnehmen, passieren wir kleine, oft verlassen wirkende Orte.
Um einen Umweg zu sparen, fahren wir auf die neue Superstrada. Die ist zwar für Fahrräder gesperrt, aber niemand stört sich an unserer laxen Auslegung der Verkehrsregeln.
Diese Straße ist auch recht schwach befahren, die paar Trucks machen große Bögen um uns, wir fühlen uns sicher und genießen die Aussicht auf die wolkenverhangenen Berge und das dunstige Meer. Im Küstenort Policastro Bussentino halten wir an einer Bar mit
tavola calda-Angebot und füllen die Speicher mit
pasta e vino auf. Inzwischen stellt sich wieder die Sonne ein. Deshalb geben wir den Etappenort Sapri auf, erfreuen uns ein wenig an der schönen Strandpromenade
und fahren weiter auf der Küstenstraße, wechseln von Kampanien in die Basilikata und erreichen Maratea. Eigentlich haben wir uns Küstenstraßen schön flach am Ufer entlang vorgestellt. Stattdessen geht es ständig auf und ab.
Am Fuße von Maratea (300 m) beginnen wir die Unterkunftsuche, verzichten auf die Höhenmeter ins
centro, orientieren uns weiter abwärts und finden ein tolles Hotel (Sette Bello) in Fiumicello, direkt am Meer mit diesem Blick vom Balkon des Zimmers auf den Golfo di Policastro:
Um wieder auf die Uferstraße zu kommen, müssen ca. 80 Höhenmeter mit teilweise 13 % Steigung überwunden werden, schöner Frühsport. Eigentlich wollten wir uns heute ins gebirgige Landesinnere durchschlagen. Ab etwa 300 m Höhe ist aber alles mit Wolken zugezogen. Der TV-Wetterbericht vermeldet außerdem für mehrere Tage Dauerregen für den gesamten Mezzogiorno.
Dafür geht es nun meist gemächlich auf der wenig befahrenen Uferstraße gen Süden. Die Entscheidung erweist sich als goldrichtig. Außer ein paar kurzen Schauern dominiert die nächsten Tage sonniges Wetter. Damit verzichten wir allerdings auch auf ein bisschen mehr Basilikata und wechseln schon nach Kalabrien.
Vor Práia a Mare verlassen wir die Bundesstraße und fahren auf kleineren Landstraßen nahe der Küste. In Práia nutzen wir den Radweg an der Uferpromenade, links die typischen Betonburgen, Hotels und Ferienwohnungen, rechts der grausandige Strand.
Ende Mai ist die Saison noch lange nicht in Sicht, die Strandbuden werden gerade aufgebaut. Na, eine ist schon geöffnet und wir werden freundlich zum
caffè empfangen.
Anschließend müssen wir wieder hinauf zur SS18. Mit bis zu 10 % Steigung erarbeiten wir uns schöne Ausblicke auf die Küste, hier mit der Isola di Dino:
Der Blick ins Gebirge sagt uns, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Da oben hätten wir bestimmt nicht viel gesehen.
Nun geht’s ein bisschen auf und ab. Die alte Landstraße schwankt ständig zwischen 0 und 150 m, bis wir die Bundesstraße erreichen. Mangels Alternative folgen wir dieser für einige Kilometer. Da der Transit-Lastverkehr von dieser Straße verbannt ist, fährt es sich recht entspannt. Immer wieder gibt es schöne Ausblicke aufs Meer, das Gebirge ist nach wie vor in Wolken gehüllt.
Das
centro von Diamante ist ein bisschen touristisch angehaucht, in der Vorsaison aber erträglich. Das äußerlich nicht sehr attraktive Hotel Stella Maris direkt an der Uferpromenade erweist sich als kleine Perle. Als wir es erreichen, setzt der Regen ein. Passt schon.
Den nächsten Tag verbringen wir meist auf der Uferstraße, die wir nur mal zum Markteinkauf oder zum
caffè verlassen. Meist scheint die Sonne, nur vorübergehend trübt sich der Himmel ein. Wir kommen trocken ins Ziel.
In Paola finden wir das wunderbar eingerichtete Hotel Blumentag. Der Ort besteht außer dem alten Zentrum mehr aus öden Bettenburgen und einer noch ungepflegten und unfertigen Strandpromenade. Naja, bis zum Saisonbeginn sind ja noch 2 Wochen. Im einzigen Restaurant essen wir einen riesigen Teller
Antipasto del mare, eine große Scheibe Schwertfisch, dazu
focaccia – alles zu zivilen Preisen
Am nächsten Morgen fahren wir zunächst durch das lokale Verkehrsgewühl,
verlassen die Stadt und erreichen wieder die 100 m höher gelegene Bundesstraße,
auch hier recht gut zu fahren, meist mit breitem Randstreifen und nur recht kurzen Tunneln.
Die heutige Etappe ist eine typische Überbrückungsfahrt. Jetzt wissen wir endlich, wo Lamézia Terme liegt. Ansonsten etwas ärmere Ortschaften, Gewerbegebiete und südlich vom Flughafen riesige Clubanlagen.
In Marinella, kurz vor Pizzo finden wir eine neue, gut ausgestattete Pension über einem Eiscafé, dazu noch preiswert, was will man mehr. Leider hat der Glückstreffer einen dicken Pferdefuß: Direkt vor unserem Fenster läuft die ganze Nacht das Kühlaggregat eines mobilen Eisladens, dabei hatte ich ausdrücklich nach einem
camera tranquilla gefragt.
Der nächste Tag verspricht Sonnenschein auch im Gebirge. Nun gibt’s keine Ausrede mehr, auf nach Serra San Bruno, immerhin auf etwa 800 m. Die knapp 40 km dorthin führen auf wenig befahrenen Landstraßen, teils mit ordentlichen Steigungen bis zu 10 % durch einsame Wälder, an einem langgestreckten Stausee vorbei
und durch urige kalabrische Dörfer. In der Bar von San Nicola fragen wir nach etwas Essbarem.
Niente, aber 100 m weiter gibt’s einen
supermercato. Also schnell eingekauft, dazu Kaffee und Cola aus der Bar und schon ist das
ristorante perfekt.
Weiter geht’s durch den Ort, der von Anfang bis Ende ungefähr um 100 Höhenmeter zunimmt.
Beim nächsten Stopp auf einem naturnahen Parkplatz
sehen wir diesen Weggenossen.
Kurz vor Simbario beobachten wir diesen kalabrischen Pferdetransport:
Serra San Bruno versprüht den etwas spröden Charme kalabrischer Orte, auf den ersten Blick hässliche graue Fassaden, dazwischen aber üppige Barockbauten. Die Fahrt durch das
centro wird uns verwehrt, da gerade ein Radrennen stattfindet, also wieder hinauf auf die höher gelegene Zentrumsumfahrung.
Im Foyer des neuen Hotels Certosa sehen wir am Abend das Champions league Endspiel Barca – Manu 3:1. Nebenan läuft eine große laute Familienfeier. Massen von Pizzas werden vertilgt. Die Kinder flitzen lärmend durch’s Haus – schön!
Die Kartause Santo Stefano am Ortsrand lassen wir rechts liegen und fahren durch den Bosco Santa Maria. Am Straßenrand warnt ein Schild vor Wölfen auf den nächsten 22 km.
Die Straße erklimmt gemächlich die 1000 m-Marke, gibt diese wieder auf, führt ansteigend um den Ort Fabrizia herum
und erreicht am Croce Ferrata wieder 1100 m. Die folgende Straße ist auf den Karten als Feldweg ausgewiesen. Der Track ist aber bei gpsies in einer größeren Tour enthalten und passt gut zu unserer Grobplanung. Bis auf ein paar Straßenschäden und einer Delle mit 100 hm runter und 100 hm wieder rauf (10 %) bietet sie aber eine herrliche landschaftliche Passage mit duftendem Ambiente.
Am Piano Limina (einem früheren Kasernengelände) stößt die Strecke wieder auf das klassifizierte Straßennetz. Am Passo del Mercante halten wir uns rechts und fahren auf einer aufgelassenen Straße (SP5) durch einen Ausläufer des Parco Nazionale dell’Aspromonte
Richtung Cinque Frondi. Eigentlich sollte es nun von 900 m auf 250 m hinab gehen. Aber auch hier kommt vor dem Spaß noch etwas Mühe, wieder geht es zwischendurch nochmal 100 Höhenmeter hoch, bevor wir die Abfahrt genießen können. Die Straße ist recht einsam. Auf 16 km begegnen wir nur einem Auto mit einem Bauern, der mal nach seinen Schafen sehen wollte. So fahren wir durch dichten finsteren Wald, der durch die aufziehende Bewölkung noch gruseliger wirkt. Ich denke an Wölfe, sage aber meiner Frau nichts davon.
Da die Straße offenbar nur noch dem Anliegerverkehr dient, wird sie nicht mehr instand gehalten und gereinigt. So wächst sie langsam zu. Auch Schäden werden nicht mehr repariert. Wir sind auf der Hut und fahren immer in Bremsbereitschaft.
Nun sind wir wieder nahe der Zivilisation. Die Straßenwächter geben die Strecke frei
und wir erreichen unseren heutigen Etappenort Polistena. Im Hotel sehen wir beim Abendbrot das italienische Pokalendspiel Inter Mailand – Palermo 3:1, was aber hier kaum jemanden interessiert.
Am nächsten Tag soll es nun richtig ins Aspromonte gehen. Zunächst fahren wir auf endlosen Alleen durch ausgedehnte Olivenhaine. Uralte riesige Bäume hinter alten verfallenen Mauern prägen für viele Kilometer das Bild. Hinter Taurianova steigt das Gelände langsam an. Wir fahren durch eine schroffe, etwas wild anmutende Landschaft, die offenbar ständig durch ein paar Gebirgsbäche neu modelliert wird. Da die Ortschaften meist auf Hügeln errichtet wurden, schlängelt sich die Straße 111 nun in ständigem Auf und Ab zwischen Orten und Flusstälern, gewinnt dabei aber insgesamt an Höhe
und erreicht auf 648 m die Straße 112, die hier ungefähr die Grenze zum Aspromonte-Nationalpark bildet. Zahlreiche Straßenschäden zeugen vom unablässigen Wirken der Natur.
Auf der Höhenstraße geht es nun etwas gemächlicher weiter, links der Nationalpark mit schroffen Felsen und rechts die weite Ebene mit dem kaum sichtbaren Meer im Hintergrund. Hinter Santa Christina dell’Aspromonte
folgen wieder schöne Abfahrten durch urige Olivenhaine mit beeindruckendem Farbspiel des himmlischen Hintergrunds.