In diesem Jahr will ich mal was einfaches machen... Ohne Logistik, ohne Verpacken, ohne ewig lange Vorausplanerei und -bucherei.
Südamerika und der Balkan waren sehr schön, und ich fahre auch gern wieder mal hin. Aber An- und Abreise waren schon einigermaßen nervig. Gerade wenn man auch dem Rückflug einen Flug bekommen muss, wird die ganze Reise für mich hektisch. Entweder ist nicht genug Zeit, sich was anzusehen (im Hinterkopf immer die Stimme "du musst den Flug erreichen!!!"), und zum Schluss ärgere ich mich, dass ich so wenig angesehen habe. Obendrein muss man mindestens einen Puffertag einplanen, um Verpackung für den Rückflug und den Transport zum Flughafen zu organisieren.
Und ich wollte auch schon immer mal (fast) von der Haustür aus losfahren. Also stand die Entscheidung fest: Ich werde mich spontan in den Regionalexpress von Berlin nach Cottbus setzen, und dann von da aus in Richtung Tschechien losfahren. Grobes Ziel war die Hohe Tatra, und danach zu irgendeinem Bahnhof (der zu Reisebeginn noch nicht klar war), von dem aus ein Zug in Richtung Berlin fährt.
Teile von Polen und der Slowakei standen also auch mit auf der Liste der zu bereisenden Länder.
Und da ich in diesem Jahr alles anders machen wollte, wird dieser Reisebericht auch anders. Nicht dieses tageweise aufzählen „dann war ich dort, und dann war ich dort etc.“. Stattdessen möchte ich die Eindrücke aus meinem Reisetagebuch wiedergeben.
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Mo, 27.06.2016 - Bautzen (DE)
Ich bin seit heute mit dem Fahrrad wieder auf großer Tour. Wie geplant - ohne große Anreiselogistik.
Start am Bahnhof in CottbusSo grob soll es von Cottbus aus bis in die Hohe Tatra gehen und ein großes Stück wieder zurück. Es kommen viele schöne und interessante Gebirge auf dem Weg. Das wird bestimmt sehr anstrengend, deshalb weiß ich noch nicht genau, ob ich diese Strecke wirklich genau so fahren werde. Aber ich kann mich ja jederzeit irgendwo in den Zug setzen.
Auf jeden Fall wird es überall gutes Bier geben.
Nicht nur in Tschechien, sondern auch im polnischen Żywiec. Und in der Slowakei und in Mähren gibt es auch viele Weingüter.
Heute bin ich die erste Etappe von Cottbus nach Bautzen gefahren. Das war ganz flach und erst mal eine gute Einstimmung. Hier am Stausee ist es zwar ganz schön - aber trotzdem. Wenn man die Hohe Tatra vor dem inneren Auge hat, dann ist die flache Lausitz doch eher unspannend.
Die ersten Hügelchen kommen erst ab BautzenMorgen geht es die Spree aufwärts bis nach Tschechien in die Böhmische Schweiz.
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Mi, 29.06.2016 - Staré Splavy (CZ)
Jetzt bin ich seit drei Tagen unterwegs. Ich habe mich mit viel Mühe von Bautzen aus südwärts gearbeitet. Es ging in den letzten 2 Tagen mit sehr vielen steilen Höhenmetern immer hoch und runter.
Das Spreetal südlich von Bautzen ist schon recht eng, so dass es immer an der hügeligen Talkante entlang geht.
Das Spreetal zwischen Bautzen und tschechischer GrenzeUnd das Lausitzer Gebirge auf der tschechischen Seite hat es wirklich in sich. Es ist viiiel niedriger als die Alpen, dafür sind die Anstiege aber deutlich steiler. Mehrere hundert Höhenmeter bei über 12-15% Steigung schlauchen ganz schön. Man hat nur die Wahl, entweder eine große und viel befahrene Straße zu nehmen (die halbwegs flach ist), oder auf kleinen steilen Radwegen bergauf und bergab zu fahren. Und man muss da auch durch, es gibt keine Alternative. Dafür sieht man aber auch wunderschöne Landschaften.
Böhmische SchweizDadurch bin ich in den letzten zwei Tagen nur wenig vorangekommen. Ich bin deshalb wirklich froh, dass ich so viel Zeit habe und nicht hetzen muss. Dann kann ich mir nämlich auch so allerlei Naturschönheiten angucken und die Kilometer auf morgen verschieben.
Herrenhausfelsen in Kamenický Šenov (Steinschönau)Obendrein habe ich zu allem Überfluss entweder einen leichten Infekt oder eine Magenverstimmung.
Insofern sind kurze Etappen gerade richtig.
Ich stelle auch fest, dass ich zu viel mitschleppe.
Tschechien ist weder die südamerikanische Pampa noch der dünn besiedelte Balkan. Hier braucht man weder große Essens- noch Wasservorräte. Alle paar Kilometer kommt eine Ortschaft mit einer Kneipe und einem Laden. Ich war wohl in den letzten Jahren zu viel abseits der Zivilisation unterwegs und muss mich erst wieder umgewöhnen.
Selbst der Kocher ist vermutlich überflüssig. Jeder Zeltplatz hat ein Restaurant, und Cafés gibt es unterwegs auch überall.
Das Wetter ist bisher halbwegs gut. Im Prinzip scheint die Sonne und es ist warm, aber zwischendurch gibt es immer wieder mal Regengüsse, als würde jemand eine Badewanne auskippen. Wenn danach die Sonne rauskommt, ist es wie in der Sauna. Die nassen Sachen trocknen schnell.
Wolkenbruch in Česká Lipa (Böhmisch Leipa)Im Moment zelte ich gerade am Machovo Jezero bei Doksy. Das ist ein wirklich schöner Campingplatz. Bei solchem Wetter habe ich gar keine Lust, in einer stickigen Unterkunft zu sitzen. Und wie schon gesagt - ich schleppte viel zu viele Vorräte mit. Die habe ich gerade in einer großen Fressorgie am See verputzt, und nun sind die Radtaschen leichter.
Machovo jezero (Macha-See)Heute ist mir beim Aufbau des Zeltes im Wind eine Stange gebrochen, und zwar genau dort, wo man sie zusammensteckt. Zum Glück konnte ich sie mit einer Hülse so zusammenflicken, dass das Zelt sicher steht. Mal sehen, wie lange die Konstruktion hält (
Anmerkung: sie hielt problemlos bis zum Schluss der Reise.).
Geflickte Zeltstange--------------------------------------------------
So, 03.07.2016 - Międzygórze (PL)
Zur Feier des heutigen Sonntages war ich mal nicht radfahren. Ich habe also Zeit zum Schreiben. Ich bin gerade im polnischen Teil des Glatzer Schneegebirges. Das ist ziemlich unbekannt, aber trotzdem etwas besonderes. Hier entspringen Flüsse, die in 3 verschiedene Meere fließen: der Liptauer Bach über die Elbe zur Nordsee, die Glatzer Neiße über die Oder zur Ostsee und die March (Morava) über die Donau ins Schwarze Meer. Ich hatte das mal irgendwo gelesen. Und vermutlich war diese Information der ursächliche Auslöser für diese Reise, weil ich das interessant fand und hier hin wollte.
Jedenfalls bin ich heute zu Fuß auf den 1426 m hohen Glatzer Schneeberg gestiegen. Der heißt nicht umsonst so. Wenn es sich zuzieht, ist es oben wirklich eiskalt. Da hätte ich echt Handschuhe gebraucht. Das Mikroklima muss wohl an der besonderen Thermik hier liegen. Jahresdurchschnitt auf dem Gipfel sind nur +1,4°C.
Märchenwald beim AufstiegGipfel des Glatzer Schneeberges ca. 1425 m - im Hintergrund ein 1979 eingestürzter TurmDa unten bin ich losgelaufenÜber die letzten Tage gibts nicht so viel zu berichten. Nachdem ich aus dem Lausitzer Gebirge heraus war, wurde die Landschaft flacher. Trotzdem ist sie nicht brettflach gewesen. Es ist immer wieder faszinierend, wie in Tschechien vollkommen aus dem Nichts in vermeintlich ebener Landschaft ein steiler Anstieg auftaucht.
Sieht flach aus, sind aber 12% Steigung...Den Namen Wallenstein (tschechisch Valdštejn) trifft man in Nordböhmen nahezu überall. Burgen, Schlösser, Plätze etc. In Jičín bin ich durch eine 400 Jahre alte vierreihige Lindenallee gefahren, die der Feldherr damals hat anpflanzen lassen (auf dem Weg zu seinem Garten).
Die einzig wahre LindenstraßeWas wirklich sehr angenehm ist, ist die Tatsache, dass es neben ausgezeichnetem Bier auch nahezu überall mehrere Sorten Limonade vom Fass (!) gibt.
Und zwar keine überteuerte und überzuckerte Cola oder Fanta! Bei der Hitze, die in letzten Tagen herrschte, ist das sehr gut. Und selbst alkoholfreies Bier können die hier sehr gut.
Das beste alkoholfreie Bier - Birell polotmavý (halbdunkel) - gebraut in PilsenNach Polen bin ich gestern über das Adlergebirge gefahren. Als ich hoch bin (man kann bis auf die 1115 m hohe Kuppe mit dem Rad fahren), war es noch sehr warm. Oben konnte ich dann beobachten, wie aus klarem Himmel in einer halben Stunde ein ausgewachsenes Unwetter aus dem Nichts entsteht. Ich bin dann schnell auf die polnische Seite hinunter gefahren, aber erwischt hat mich der Regen dann doch. Mit meiner neuen Regenjacke bin ich aber sehr zufrieden. Die hat sich bisher bestens bewährt.
Oben war noch alles friedlich......und unten kam dann die WandMorgen geht es zurück nach Tschechien in Richtung Altvater. Ich habe heute beim Wandern einen mit dem Rad fahrbaren Waldweg quer durch das Schneegebirge entdeckt, der auf meiner Karte nicht drauf war. Den werde ich ausprobieren.
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Do, 07.07.2016 - Rožnov pod Radhošťem (CZ)
Es entwickelt sich so langsam... Mittlerweile ich in den Beskiden angekommen, dem Grenzgbirge zwischen Tschechien und der Slowakei. Ich logiere gerade in einem superschicken Hotel.
Eigentlich hatte ich mir ein ganz billiges einfaches Hotel für 20 € gebucht. Als ich ankam, hieß es, das sei schon voll und sie quartieren mich ohne Aufpreis um.
Am Montag bin ich dann tatsächlich auf Schotterpisten durch das Schneegebirge gefahren. Das war zwar anstrengend, aber ganz sicher deutlich besser als außen herum auf viel befahrenen Landstraßen. Die Ruhe im Wald ist einfach toll. Irgendwie werde ich zunehmend lärmempfindlicher. Früher war mir der Verkehr egal, heute nervt er mich.
Quer durchs Glatzer SchneegebirgeDanach ging es auf tschechischer Seite weiter über ein paar Hügelchen ins Altvatergebirge. Ab da wurde es abenteuerlich. Die Auffahrt zum Pass Červenohorské sedlo (1003 m) war gesperrt. Die Straße wird gerade komplett erneuert. Leider ist das nicht vorher angekündigt worden, sondern wirklich erst unten am Pass.
Ich hätte den ganzen Weg über die Hügel zurück gemusst, den ich gerade gekommen war.
Darauf hatte ich nun überhaupt keine Lust. Also habe ich mich nach Rücksprache mit eine paar tschechischen Mountainbikern irgendwie noch oben durchgeschlängelt, musste das Rad auch mal über einen Sandhaufen wuchten, bin aber doch recht problemlos oben angekommen. Andere Radler, die ich traf, hatten übrigens die gleiche Idee.
Auffahrt zum Červenohorské sedlo - kein Verkehr wegen Sperrung Danach glaubte ich, dass das Hotel oben ja superleer sein müsste - Pustekuchen! Alles komplett voll.
Also bin ich gleich weiter nach oben, dieses Mal wieder auf Schotter, bis zur Berghütte Švýcárna auf 1310 m Höhe kurz unter dem Gipfel. Tja.... und auch hier alles voll.
Und das am Montagabend, unglaublich!!! Es war echt schon spät, und ich hatte auch keine Lust mehr. Also habe ich mein Zelt kurzerhand neben der Hütte aufgestellt. Wild zu Zelten ist hier gar nicht so einfach, weil es in diesen steilen Gebirgen so gut wie keine geraden Flächen gibt. Sonst hätte ich mich schon vorher in den Wald geschlagen.
Die einzige gerade Fläche im Umkreis von vielen KilometernNachts waren es dann im Zelt 4°C (nachdem ich 3 Tage vorher nachts noch über 20°C im Zelt hatte), aber gefroren habe ich nicht. Meine Ausrüstung ist offenbar tauglich. Und Wasser und Bier habe ich in der Hütte bekommen.
Ich habe mir vorm Einschlafen nochmal den Spaß gemacht, im Internet zu gucken. Rund um den Altvater gibt es Dutzende Hotels (wenn nicht gar Hunderte), und wirklich alle waren voll!
Merkwürdig...
Vorteil der ganzen Übernachtungaktion: ich war am nächsten Morgen schon um 9:30 Uhr auf dem Gipfel Altvater/Praděd 1492 m.
Traumhafter Blick über Böhmen, Mähren und Schlesien bis fast zur Schneekoppe und Hohen Tatra (aber nicht wirklich fotografierenswert, zumindest nicht mit meiner Ausrüstung).
Der Altvater (Praděd) 1492 mUnd da es war noch halbwegs leer. Eine Stunde später bei der (asphaltierten) Abfahrt hatte eine wahre Völkerwanderung eingesetzt.
Menschen über Menschen und Horden von Radfahrern waren auf dem Weg nach oben. Was die wohl alle dort wollen?
Gut - das ist der höchste komplett in Tschechien liegende Gipfel. Entsprechend gut ist die Infrastruktur, man kommt von allen Seiten ran. Aber auf dem letzten Straßenstück sammeln sich fast alle. Bloß gut, dass ich von hinten über die Schotterpiste gekommen bin.
Burg Sovinec zwischen Altvater und OlomoucKurz danach, als ich wieder unten war, die nächste Merkwürdigkeit. Ich wollte in einem kleinen Nest namens Rýmařov zu Mittag essen. Dort war es total ausgestorben, und alle Läden waren mitten in der Woche verrammelt.
Und plötzlich erinnerte ich mich blitzartig daran, vor 25 Jahren auf meiner allerersten Radreise von Dresden nach Prag das gleiche erlebt zu haben. Und was war des Rätsels Lösung? Ganz einfach - der 5. und 6.7. sind in Tschechien Feiertage! Plötzlich ergab alles einen Sinn, die vollen Hotels, die Menschenmassen am Altvater und die geschlossenen Geschäfte. Der Montag war ein Brückentag. Offenbar hat jetzt gerade das ganze Land Urlaub und ist im Gebirge...
Ausgestorbene Innenstadt von OlomoucDanach habe ich mich erst mal in Olomouc einen ganzen Tag lang erholt. Ich hatte mir eine nette Pension in der Innenstadt übers Handy gebucht (ohne Smartphone hätte ich die nie gefunden). Meine Beine waren so wie Gummi, dass ich gar nicht so viel umhergestreift bin, sondern mit einem Glas Wein auf dem schönen weinberankten Innenhof gesessen habe.
Wohlverdiente Erholung nach mehreren GewaltetappenMähren ist nämlich Weinbaugebiet. Und die meisten Weine sind sehr gut trinkbar. Der Grüne Veltliner ist beinahe besser als ich ihn aus Österreich kenne (liebe österreichische Mitforisten - bitte weghören!
). Selbst hier in den mährischen Beskiden, wo selbst kein Wein wächst, gibt es Weinkultur. Im Moment sitze ich gerade in einer netten Weinstube neben dem Hotel, probiere Wein und schreibe Tagebuch.
Grüner Veltliner (Veltlínské zelené) und Cabernet MoraviaWas mir in bisher auch noch positiv aufgefallen ist: in den Bars und Gaststätten läuft eigentlich immer gute Musik.
Kein Hiphop, nichts elektronisches, kein Schlager und kein Jazz, sondern einfach vernünftige Rockmusik.
Und durchaus auch einheimische.
Ach ja, eine Sehenswürdigkeit habe ich heute unterwegs noch besichtigt, nämlich die Quelle der Oder. Wer von den ganzen Oder-Neiße-Radweg-Radlern war schon mal dort?
Die Quelle liegt ca. 20 km östlich von Olomouc im Niederen Gesenke auf 633 m Höhe. Es geht trotz der eher niedrigen absoluten Höhe ziemlich steil hinauf und hinab. Und die ist schwer zu finden... die Quelle liegt auf einem Truppenübungsplatz. Sie ist zwar legal zugänglich, aber nicht von der Seite, von der ich gekommen bin...
Es hat sich aber zum Glück niemand drum geschert, dass ich da lang gefahren bin, und es wurde auch nicht geschossen.
In dem Häuschen entspringt die Oder auf 633 m HöheUnd ich habe in den letzten Tagen auch ein paar Hügel und Berge aus dem Programm gestrichen. Ich muss nicht zwanghaft überall hochfahren, sondern will mir die Kondition für die besonders interessanten Hügel aufheben. Obwohl die flacheren Abschnitte ja eher unspektakulär sind...
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So, 10.07.2016 - Český Těšín (CZ) / Cieszyn (PL)
Ich habe mir wieder einen Ruhetag verdient – im tschechisch-polnischen Doppelstädtchen Český Těšín (CZ) / Cieszyn (PL) (deutsch: Teschen). Die polnische Seite ist schöner, leider habe ich nur bezahlbare Unterkunft im tschechischen Teil gefunden. Dazu später mehr.
Links Polen (Cieszyn), rechts Tschechien (Český Těšín) - in der Mitte der Grenzfluss Olza/Olše (dt. Olsa) – im Hintergrund die Schlesischen BeskidenDen Ruhetag brauche ich heute auch. Es hatten sich wieder viele Höhenmeter angesammelt. Die Beskiden sind schon ein schönes Fleckchen Erde. Das ist zwar auch „nur“ Mittelgebirge, aber viel schroffer als die Gegend der letzten Wochen. Ich bin viel auf kleinen Forststräßchen nahezu autofrei durch die Landschaft gefahren.
Und wenn man parallel zu einem Gebirgskamm fährt, nimmt man natürlich jeden Hügel mit. Selbst die letzten Kilometer durchs vermeintliche Flachland gehen steil hoch und runter. In den unwirtlichen und abgelegenen Bergen hatten sich im 2. Weltkrieg die tschechischen Partisanen festgesetzt. Heute erinnern viele Gedenktafeln entlang des Radweges an die damalige Zeit.
Lysá Hora 1323 m - die Auffahrt fiel dem Rotstift zum OpferWas hier übrigens gerade total der Renner ist - Tretroller!
Mann lässt sich per Skilift den Berg herauffahren, mietet sich oben einen Roller, rollt herunter und gibt ihn unten wieder ab. Die Roller gibt es in verschiedenen Varianten, teilweise richtig ordentlich radforumstauglich mit Federgabel und Scheibenbremse.
Ein nahezu Falk-konformer TretrollerDie Doppelstadt ist merkwürdig. Der tschechische Teil Český Těšín ist ein ziemlich verschlafenes Nest. Die 1,4 km lange Hauptstraße von der polnischen Grenze bis zum Bahnhof besteht nur aus Schnapsläden.
Abends habe ich hier das Gefühl, dass fast nur einheimische Alkoholiker unterwegs sind, und Polen, die sich in Tschechien mal richtig billig besaufen wollen.
Der tschechische Teil war vor der 1920 erfolgten Teilung der Stadt nur ein Vorort mit Bahnhof, und hat dieses Image offenbar in den letzten 100 Jahren nicht ablegen können.
Das polnische Cieszyn ist hingegen richtig schön.
Ein schöner alter Stadtkern, und es ist hier auch Leben. Hier laufen ganz normale Leute herum, die einfach mal abends ein Bier trinken wollen, aber keine Sauforgien veranstalten. Hier hat es richtig Flair, und es gefällt mir ausgesprochen gut.
Marktplatz von Cieszyn - man beachte die LiegestühleStadtmauer von Cieszyn--------------------------------------------------
Do, 14.07.2016 - Žilina (SK)
Liebe Freunde zu Hause, sauft ihr auch gerade ab?
In Tschechien ist wohl komplett Land unter. Da wird es bestimmt bald ein Hochwasser an Moldau und Elbe geben, das irgendwann auch nach Deutschland kommen wird.
Zum Glück bin ich gerade in der Slowakei in Žilina.
Heute mal nicht radzufahren ist eine gute Idee gewesen. Es hat sich mächtig abgekühlt und den ganzen Vormittag über gegossen. Die Stadt ist recht leer – bei weniger als 15°C mag hier niemand im Biergarten sitzen so wie gestern abend, als ich angekommen bin. Wirklich viel zu sehen gibt es hier nicht. Und 10 Stunden im Café zu sitzen ist auch keine Option... Die Stadt besticht vor allem durch ihre traumhafte Umgebung.
Freiliuftkino in Žilina bei windigen 13°CIn den letzten Tagen bin durch die polnischen und slowakischen Beskiden gefahren. Die Landschaft ist mal wieder sehr schön gewesen, aber auch anders als vorher. Die Berge sind weniger bewaldet, es gibt mehr Wiesen und viele verstreute Häuschen mit roten Dächern. Genau so sahen früher immer die Illustrationen in den Märchenbüchern aus. Jetzt weiß ich, woher die Inspiration der Illustratoren kam.
Märchenland aus den tschechischen KinderfilmenIch musste natürlich unbedingt durch das polnische Żywiec fahren. Dort her kommt das beste polnische Bier.
Die Brauerei ist in der Tat sehr groß und der größte Arbeitgeber der Stadt. Und das Städtchen an sich ist auch ganz nett, eine alte Residenz der Habsburger. Dort habe ich zum ersten Mal erlebt, dass ein Zeltplatz geschlossen hatte, der laut Webseite und Datenbank geöffnet sein müsste...
Aber mittlerweile habe ich das Smartphone richtig schätzen gelernt. Man setzt sich in ein Café, sucht im Internet nach Übernachtungen in der Umgebung und kann ggf. auch gleich buchen.
Żywiec Im Städtchen Námestovo am Orava-Stausee am Fuß der Tatra bin ich nach dem 1001. Kilometer am Zeltplatz angekommen.
Zur Feier gab es slowakischen Rotwein (Blaufränkisch = Frankovka Modrá) und polnische Wurst (Myśliwska, eine Räucherwurst, die sich auch in der Radtasche bei 30°C noch hält). Luftlinie waren es von Cottbus allerdings nur 452 km. Das ist auch gleichzeitig der am weitesten von zu Hause gelegene Punkt gewesen, den ich erreicht habe. Einen guten Blick auf die hohen Bergkuppen der Tatra gab es leider nicht. Es war sehr diesig.
Und deswegen habe ich doch extra die lange Reise unternommen!
Im Hintergrund schemenhaft die Bergzacken der hohen TatraTausendundeinkilometerfeierDafür durfte ich gestern noch mal die Malá Fatra und den Waag-Durchbruch beim strahlendem Sonnenschein bewundern. Es war eine gute Idee, ins Tal abzubiegen und nicht bei Gewitter und Starkregen auf Schlammwegen ins Hochgebirge zu fahren.
Malá Fatra kurz nach dem RegenDurchbruch der Waag (Váh) durch die Malá FatraAlles in allem hatte ich mit dem Wetter in den letzten Tagen riesiges Glück. Auf der Passhöhe zwischen PL und SK habe ich wegen heftigen Regens 2 Stunden im glücklicherweise vorhandenen Café gesessen.
Das war sehr voll, weil auch eine Schulklasse polnischer Wanderer vom Regen überrascht wurde. Ansonsten hat es immer nur nachts geregnet, oder wenn ich ohnehin irgendwo trocken saß.
Mal sehen, wie es in den nächsten Tagen wird. Die Vorhersage ist ausgesprochen schlecht.
Viel Regen und Kälte. Aber das muss nicht unbedingt stimmen. Für gestern Mittag war auch ordentlicher Regen angesagt, der aber komplett ausgeblieben ist. Auf nichts ist mehr Verlass, nicht mal auf das schlechte Wetter.
Hier ist das Waag-Tal noch einigermaßen hübschIch würde gern wieder ins Gebirge fahren. Die ganze Zeit den Flussradweg an der Waag (Váh) entlang zu fahren, ist mir einfach zu langweilig. Wenn das Wetter mitspielt, sind die Weißen Karpaten an der tschechisch-slowakischen Grenze das nächste Ziel.
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Di, 19.07.2016 - Brno (CZ)
Die Reise neigt sich dem Ende zu. Die letzten Tage waren nochmal richtig anstrengend. Das Wetter war eher mies. Am Wochenende hat es ordentlichen Dauerregen gegeben und war ziemlich kalt. Und wenn es mal nicht geregnet hat, dann war es unendlich windig.
Von oben ist das Waag-Tal auch ganz schönDie Tage im tschechisch-slowakischen Grenzgebirge waren noch mal schön.
Die Gegend ist wirklich klasse, obwohl ich da bei ziemlich viel Regen durch bin. Den höchsten Berg dort (Velka Javořina 970 m), dessen Gipfel bequem per Rad zu erreichen gewesen wäre, musste ich deshalb leider ausfallen lassen. Der steckte tief in den Wolken.
Weiße Karpaten bei Vršatské Podhradie - zwischen den beiden linken Zacken musste ich durchDer höchste Berg der Weißen Karpaten - wie Sie sehen, sehen Sie nichtsUnd so langsam habe ich auch gemerkt, dass es reicht. Ich brauche jetzt eine längere Pause zur Erholung. Großartig neue Eindrücke kann ich nun auch nicht mehr aufnehmen. Gulasch mit Knödeln habe ich auch ausreichend oft gegessen (gut, heute abend vielleicht noch mal
- ab morgen esse ich dann weniger
).
Hauptnahrungsmittel (neben Bier) in TschechienSeit Sonntag Nachmittag ist das Wetter zwar wieder besser geworden, wärmer und kein Regen, aber dafür hat der Wind ganz merklich aufgefrischt. Die letzte Etappe nach Brünn (Brno) war so ziemlich die schlimmste von allen.
Heftiger böiger Gegenwind im langweiligen Flachland von früh bis spät - das braucht es nicht.
Das zog sich unendlich hin und nahm einfach überhaupt kein Ende.
Das kann ich zu Hause auch haben. Da fahre ich lieber über 5 Gebirgspässe, als nochmal solchen Blödsinn zu veranstalten...
Gartenreich Schloss LedniceHeute habe ich in Brünn meine Rückfahrt organisiert. Das wird auch noch mal ein Abenteuer...
Die Eurocities nach Berlin, die Fahrräder mitnehmen, sind alle ausgebucht. Deshalb wollte ich eigentlich in den sauren Apfel beißen, und per Regionalzug fahren (mit 5(!) mal umsteigen in Prag, Děčín, Bad Schandau, Dresden und Elsterwerda). Aber der Verkäufer meinte, ich solle doch ab Prag einen normalen EC ohne Radmitnahme nehmen und das Rad verpacken. Das würde wohl seitens der tschechischen Bahn toleriert. Also habe ich jetzt je eine Rolle Mülltüten und Klebeband organisiert und harre der Dinge, die da kommen werden. Wenn alles glatt geht, bin ich morgen Abend wieder in Berlin.
In Brünn sitze ich gerade im Liegestuhl auf einem Platz mitten in der Stadt.
Das ist toll, dass es hier sowas gibt. Und es kommt auch jemand vorbei, der einem Bier oder Limonade bringt (gegen Bezahlung versteht sich).
Wenn mal wieder eine ordentliche Bö kommt, dann treibt es das Wasser vom Springbrunnen quer über den Platz.
Chillen in Brünn (Brno)--------------------------------------------------
Do, 21.07.2016 - Berlin (DE)
Ich bin wieder zu Hause.
Die Rückfahrt... naja... Bis Prag ging es vollkommen unkompliziert. Dann wollte ich in den EC nach Berlin steigen (der kein Fahrradabteil hatte). Der tschechische Schaffner meinte, nur ganz vorn direkt hinter der Lok. Also muss ich mit dem schweren zerlegten Fahrrad in der Hand einmal über den ganzen Bahnsteig laufen. Und der deutsche Schaffner ab Dresden moserte herum, das das nicht gestattet sei, wegen Fluchweg, und überhaupt...
Aber er hat mich auch nicht rausgeschmissen, sondern hat es bei dem Rüffel belassen.
Alles in allem Glück gehabt.
Ankunft am Hauptbahnhof in BerlinAls Fazit kann ich sagen, dass es eine sehr schöne Tour war, aber auch sehr anstrengend. Ich bin froh, dass ich noch ein paar Tage auf dem Balkon in der Sonne ausspannen kann. Da kann ich auch die Bilder nochmal Revue passieren lassen.
Es bleibt festzustellen, dass man in Tschechien ganz außerordentlich gut radfahren kann.
Das ganze Land ist mit einem dichten Netz an Radrouten überzogen, die geradezu vorbildlich ausgeschildert sind. Dagegen ist das in Deutschland richtig schlecht, und man könnte sich bei unseren Nachbarn wirklich eine Scheibe abschneiden.
Die Tschechen haben nämlich das verstanden, worüber in anderen Ländern einfach hinweggegangen wird:
Eine Kette ist nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied!!! Das heißt, dass die Ausschilderung wirklich LÜCKENLOS ist. Die Wegweiser sind groß und in auffälligen Farben gehalten (und nicht winzig und in Tarnfarben wie in Deutschland). Und ganz wichtig: sie stehen nicht erst irgendwo versteckt AUF der Kreuzung, sondern ca. 30 m DAVOR am rechten Fahrbahnrand. Und darauf kann man sich wirklich verlassen.
Und auch noch wichtig: Komplizierte Wegführungen (z.B. Kreisverkehr - Brücke - Einmündung nacheinander) sind durch separate Schemata angezeigt. Hier kann man wirklich ohne Karte und elektronische Navigation einer Radroute folgen, was in Deutschland trotz des vorhandenen Radroutennetzes im Prinzip nicht möglich ist.
Gut, manchmal lässt die Oberflächenbeschaffenheit der Wege etwas zu wünschen übrig, aber meistens sind sie ziemlich gut und oft auch weitgehend autofrei auf kleinen Asphaltbändern.
Ich kann jedem, der das als Anfänger mal versuchen möchte, nur Tschechien ganz wärmstens ans Herz legen. Hervorragende Infrastruktur und vergleichsweise günstig.
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FazitEine tolle Reise!
Tschechien ist eines der am unkompliziertesten zu bereisenden Länder. Aber man sollte die Mittelgebirge keineswegs unterschätzen. Das war meine anstrengendste Radreise bisher. Es waren mehr Höhenmeter als in den Anden oder den Schluchten des Balkan, und die Anstiege waren in aller Regel auch steiler. Ich habe danach fast 2 Wochen gebraucht, um mich davon zu erholen.
Von der Haustür aus loszufahren... naja, ich glaube, das mache ich nicht so schnell wieder. Irgendwie fährt man ja doch erst mal nur durch Gegenden, die man schon hunderte Male durchradelt hat. Und sooo spannend ist die Landschaft rund um Berlin nun auch nicht. Da verschwende ich nur meine wertvollen Urlaubstage.
Und 3 Wochen Urlaub hätten auch gereicht. Am Ende der 3. Woche war meine Aufnahmefähigkeit erschöpft. Neue Eindrücke blieben im Kopf nicht mehr so richtig haften. In Zukunft werden mir 3 Wochen reichen. Dann mache lieber noch mal separat eine kleine Radreise.
Trotzdem war es gut, beides gemacht zu haben (zu Hause los und gleich 4 Wochen). Ich wollte das schon immer tun, und wenn ich es jetzt nicht durchgezogen hätte, wüsste ich nicht, dass es mir so eben nicht liegt.