das Publikum im Saal wird langsam ungeduldig
OK Jürgen, weil ich Deiner Ungeduld unmöglich dauerhaft widerstehen kann, jetzt mal mit ohne zu viel witzisch die Saarlandfahrt am Vormittag im kurzfristigen Entwurf. Den aufschlussreichen Nachmittag lasse ich dann asap folgen.
PS: Wenn ich in diesem Tempo weitermache, sind wir frühestens an Ostern in der Schweiz.
Also, jetzt fahr ich ins Saarland. Abschnitt Vormittag.
Auf den Spuren des Nahetal Radwegs verlasse ich am frühen Morgen das muntere Städtchen mit dem albernen Namen. Der Route erhebt sich rasch entlang einiger steiler, durchaus imposanter Felsen und nach einer Stunde grüßt bereits das Fleckchen Birkenfeld. Der Ort liegt etwas verschlafen, schon fast versunken in einer Landschaft mit weiten Mulden und flachen Rücken, die sich gemütlich aneinander schmiegen.
Was soll ich jetzt zu Birkenfeld sagen? Dass es sich um eine Kreisstadt handeln soll unterschlage ich jetzt mal aus Respekt vor der Bedeutsamkeit der Position eines deutschen Landrats.
Auch das Schloss, so ist es, dessen Foto ich in einem touristischen Schaukasten betrachte, zeugt von bescheidenem Ruhm. Aus Gründen der Aufrichtigkeit beschreibe ich das winzige Anwesen mal als schlichtes Landhaus, gleichwohl in der Kenntnis, dass so mancher Regent den mageren Bau zuweilen als marode Gartenlaube denunzieren möge, allein schon um sein Prestige gegenüber der eitlen Verwandtschaft zu behaupten.
Ich entdecke den Kirchturm, nehme Platz zu seinen Füßen und schmiede einen Plan. Dieser sieht vor, zunächst das nah gelegene Saarland zu besuchen, dann den Pfälzer Wald in einer Route plusminus Pirmasens zu kreuzen, im nächsten Schritt entlang dem elsässischen Oberrhein zu flanieren, um bei günstiger Gelegenheit den Schwarzwald von West nach Ost zu überqueren und schließlich den oberen Neckar zu erreichen. Von dort möchte ich weiter zum Bodensee reisen – und dann endlich in die Schweiz.
Also Leinen los. Segle mit überhöhter Geschwindigkeit im Windschatten der Übermotorisierten in das nahe gelegene Saarland. Schon bald nach der imaginären Landesgrenze steigt die Zahl der Industriegebiete sprunghaft an, Autobahnen und Zubringerstraßen kreuzen den Weg und jede Menge eiliger Schwerlasttransporter und eifriger Handwerker-Kombinationsautomobile belästigen meine bis dahin beschauliche Fahrt.
Im Unterschied zur Pfalz ist man im Saarland als Pedaleur jedoch selten alleine und trifft ab und an auf einen tapferen Kombattanten. Die Radfahrer hier sind typischerweise männlich oder weiblich und im Greisenalter. In diesem Fall ist er männlich und sehr stolz auf sein ritzerotes Rennrad der Marke Supersport.
Der Veteran trägt an seinen dürren kahlen Beinchen diese hübschen zeitlos weißen Söckchen und dazu passend eine kurze schwarze Hose in fünf Nummern zu groß. Das fröhlich bunte Hemdchen aus dem Rennsportsortiment in fünf Nummern zu eng mag ihm selbst zwar kernig, kernig erscheinen, jedoch strapaziert eine überproportional wanstförmige Schwellung die Dehnbarkeit des modernen Textils bis an die Grenze der im Labor getesteten Belastbarkeit.
Zusammenfassend: Er strahlt mich ungebeten an, winkt mir taktlos zu, lupft zum Gruß die Kapp und nimmt mich sofort als neuen Kameraden in die örtliche Radsportgemeinde auf.
Warum nur? Ich sitze eigentlich nur unschlüssig an einer Autobahn vor St. Wendel und sonne mich entspannt im Straßengraben hinter einer schützenden Leitplanke, vor mir die brüllende Schnellstraße der Übermotorisierten, hinter mir ein biologisches Naherholungsgebiet mit Tümpel, stinkendem Sumpf und stechenden Mücken,
Der Kamerad vermutet eine aussichtslose Lage, ich bin jedoch nach wie vor vertieft in das fachmännische Studium meines umfangreichen Kartenmaterials, das ich auf Reisen stets mit mir führe.
Meine Basiskollektion für Expeditionen in unentdeckte Gebiete besteht grundsätzlich aus allen erdenklichen und jemals publizierten regionalen und überregionalen Wanderkarten, Katasterkarten, Freizeitkarten, Radwegekarten, Übersichtskarten, Stadtplänen, Umgebungsplänen, Straßenkarten, Bodenkarten, Themenkarten, Flugblättern, Umgebungskarten und einiger historischer Atlanten. Dies ist der eigentliche Grund, weshalb mein Rad so überladen erscheint. Obwohl ich dieses Mal darauf verzichtet habe, wichtige Aufzeichnungen über die europäischen Luftverkehrskorridore und einige bedeutende Seewege mitzunehmen.
Ich liebe es also, in der Sonne zu sitzen und mich auf meine Karten zu konzentrieren.
Die geographischen Fakten sind etwas unübersichtlich: Schnellstraßen, Unterführungen, Überführungen, Wirtschaftswege und diverse Trampelpfade leiten unabsehbar in jede nur erdenkliche Richtung. Aber dieser zentrale Verkehrsknotenpunkt ist in keiner meiner etwa 200 Karten verzeichnet.
Hie lings nuff.
Do?
Nedd do. Hie lings.
Wo hie lings?
Ey dooh hinne.
Dooh hinne?
Nä ned dooh, Blohs ned. Do lings.
Wo dooh lings?
Ai hie.
Wo hie?
Ai lings, eefach lings, hie dooh hinne lings nuff.
Dooh hie?
Jooh,
Aha, dooh hie hinne lings de buggl nuff.
Ai jooh.
Unn dann?
Ai doo de Buggel nuff, wiera runner, drunna unner de eiseboah, dann doo wiera lings unnn wunnerscheeen bis nooh zweeebrigge, wunnerscheee faahre bis nooh zweeebrigge, Dess saaaarlannnn is wunnnerscheee, ma muss nur wissse wo ma gugge muss.
Guud, jooh, dangeschee aach.
Erscheint machbar: Hie doo hinne lings n buggel nuff …
Er hält noch einen Kurzvortrag über die touristischen Vorzüge der Region und ein Referat zur philosophischen Tradition der saarländischen Lebenskunst. Ich bin sehr beeindruckt und mach mich auf den Weg hie lings doo hinne de buggel nuff.
Ein paar Stunden und 10.000 Höhenmeter später stehe ich dann wieder an einer Autobahn vor Sankt Wendel.
Bin jetzt doch enttäuscht. Hadere irgendwie schon mit meinem inneren Gleichgewicht. Ein gewisses Maß an Harmonie mit mir und dem Saarland ist nun doch abhanden gekommen. Die diplomatischen Beziehungen sind ziemlich belastet. Verfluche durchaus scheiß Sankt Wendelin.
Habe jetzt auch isotonischen Bedarf. Schlage mich irgendwie durch in die Innenstadt des heiligen Scheiß.
Die Stadt der heiligen Wendeline sitzt in der Sonne vor dem Rathaus und lacht und scherzt und schwätzt und trinkt Kaffee, Bier und Wein zu Croissants und französisch klingenden Speisen. Mann, bin ich froh, dass ich jetzt hier bin und übergebe eine diplomatische Depesche an die Frau, die mich freundlich bedient.
Darin gebe ich zum Ausdruck, dass ich gedenke, vor dem Hintergrund der Überwindung kriegerischer Auseinandersetzungen in Verbindung mit den historischen Errungenschaften der europäischen Einigung sowie der erhofften zukünftigen gedeihlichen Entwicklung unseres Kontinents einer Wiederaufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zwischen der saarländischen Landesregierung und mir anzustreben und von einer ursprünglich in Erwägung gezogenen Beschwerde beim Internationalen Gerichtshof abzusehen. Sie nimmt meine Depesche mit Achselzucken zur Kenntnis.