Heute bin ich LH-Mitarbeiter im Ruhestand und positioniere mich dahingehend, daß m.E. eine mehrtägige Radreise in Deutschland oder beispielsweise in Frankreich mit einem Pedelec ganz sicher nicht weniger eine Fahrradreise ist als eine solche von Seattle (Anreise FRA-SEA LH490, Flugdauer 10 Stunden, 35 Minuten) nach Los Angeles (Abreise LAX-FRA LH457, Flugdauer 11 Stunden, 10 Minuten)...
Das ist ein Streit um Kaisers Bart. Ist ein Pedelec eine Sonderform des Fahrrads oder eine eigene Fahrzeuggattung in der Familie der Zweiräder? Letztlich geht es doch darum, dass transparent ist, mit welcher Art von Fahrzeug eine Reise durchgeführt wurde. Und da macht es schon einen gewaltigen Unterschied, ob eine Alpenüberquerung mit dem Pedelec oder mit dem M-Rad (M wie Muskel) gemacht wurde.
Die Tranparenz lässt sich ja leicht herstellen, wenn der Reiseberichterstatter sein Gefährt vorstellt (also z.B. E-Bike mit xxx-Watt) - vielleicht auch angibt, wie oft der Antrieb zugeschaltet wird, an welchem Berg etc. Im Zweifel kann man sich an solchen Berichten leistungsmäßig nicht orientieren - dann muss man halt andere Berichte suchen. Das gilt letztlich aber auch für nur Analogradelberichte. Ich kann mich nie mit einem ausgereiften Sportradler vergleichen, auch wenn deser meiner Alter erreicht haben sollte. Er hat einfach mehr Bumms im Oberschenkel und wird das bei regelmäßigem Training auch bis ins hohe Alter behalten. Ich kann mich für die Leistung für eine Tour nur an mir selbst orientieren, meinen eigenen Trainingswillen, meine Leistungsfähigkeit im Abgleich mit der Alterskurve und meine jeweils aktuellen Erfahrungen in meine Reisepläne integrieren. Tendenziell habe ich mich zu allen Zeiten eher etwas überfordert (blieb hinter meinen Plänen zurück), was aber nichts mit Leistungsvergleichen zu anderen zu tun hat, sondern mit der Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten.
Es ist in der Tat ein Streit um des Kaisers Bart, nur andersum. Es kommt doch bei der Veloreise darauf an, wie die Fortbewegungsgeschwindigkeit ist (die berühmte Entschleunigung gegenüber Auto etc.) und auf den Erlebnischarakter der nomadisierten Reiseform. Insofern sind Analog- und E-Bike-Radler nahezu identisch. Der E-Biker kommt vielleicht einen Berg schneller hoch, verliert aber vielleicht bergab. Nimmt man die Leistungsunterschiede bei Analogradlern, fallen die zuweilen stärker aus als ein Analog-Radler guter Konstituion im Vergleich zu einem E-Biker - vom Vergleich von Reisradler und Rennradler, der an dir vorbeischießt, will ich erst gar nicht reden. Die Etappenlängen dürften immerzu im ähnlichen Bereich sein - eher bestimmt das die Art der Veloreise: Bin ich interessiert, schaue viel herum am Wegesrand oder bin ich ein Tunnelblickradler? Den Unterschied macht nicht das Gefährt, sondern der Fahrer selbst mit seinem Reisekonzept. Vergleiche mit anderen bringen mir da wenig - egal ob elektrisch oder analog.
Gewiss, ich hasse ein knatterndes oder stinkendes Mofa. In Lourdes habe ich mal einen Mofafahrer getroffen, der damit kleinere Reisen unternimmt. Diese Mofareisen sind dann auch zum Radreisen sehr ähnlich, die Geschwindigkeiten auch nicht so weit auseinander - ich fühlte mich ihm verbündet, solange er nicht vor meiner Nase fahren würde. Ähnliches gilt sogar für Motorradfahrer, von denen viele nomadisiernd unterwegs sind - mehr als klassische Autofahrer jedenfalls. "Der Weg ist das Ziel" gilt sogar für diese Motorbiker, die die Serpentinen von Pässen abrocken, weil sie die größere Unmittelbarkeit zu Topografie und Natur suchen als vielleicht bei einer Urlaubsfahrt durch den Transittunnel. Natürlich hasse ich laute knatternde Harley-Motoren, noch mehr die Kawasaki-Raser. Je mehr aber auch der Motorradler ein genussreiches Tempo fährt, fühle ich auch eine gewisse Gesinnungsnähe. Ich treffe sie ja oft wenig später auf dem Zeltplatz, sie speisen vielleicht im selben Lokal, sind dankbar für ein Tipp zu einem Wasserfall oder sonstwas. Warum soll ich also nicht auch eine Symphatie für Menschen bzw. ihre Reiseform hegen, die ähnlich, wenn auch nicht identisch reisen wie ich.
Im Übrigen: Die gehobene Anerkennung kommt mir immer noch zu - das werden auch früher oder später die "Kolonnen" von E-Bike-Reisradlern tun, wenn du mit Rad ohne Motor am Pass ankommst. In Alpe d'Huez habe ich einen Engländer getroffen, der sich zum Runteradeln von der Frau hat hoch fahren lassen. Der hat vor mir 5 mal den Hut gezogen, weil ich da rauf bin mit Gepäck. Und er hatte natürlich so ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Es sagte aber, das könne er rauf niemals schaffen.