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#642151 - 30.07.10 14:52 Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main
Christof
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 301
Dauer:17 Tage
Zeitraum:2.7.2010 bis 18.7.2010
Entfernung:1050 Kilometer
Bereiste Länder:deDeutschland

1000 km quer durch Deutschland – von Waren nach Frankfurt

Teil 1: von Waren nach Groß Glienicke

Lange geplant, spät gebucht, trotzdem gemacht – eine Radtour von Mecklenburg-Vorpommern nach Hessen.

Leider ist der Zettel mit den Daten zu den einzelnen Etappen verloren gegangen. Im Schnitt sind wir 70 bis 80 km pro Tag gefahren, mal etwas mehr, mal, wie am Ruhetag in Berlin, etwas weniger.

Freitag, 2. Juli: Bahnfahrt Frankfurt - Waren
Der frühe Zug war bereits ausgebucht, aber im IC um 10:44 Uhr nach Rostock gab es noch zwei Plätze. Bequeme Anreise, weil in Rostock ja mehr als eine Stunde Zeit zum Umsteigen war. Die sich dann Minute um Minute reduzierte, weil der Steuerwagen ein technisches Problem hatte. Just in time erreichen wir Rostock und den Anschlusszug. 19:29 Uhr Ankunft in Waren, eine nette Bahnmitarbeitern öffnet uns die Schranke über die Gleise und erspart uns damit die Treppen, die nette Pension in der Altstadt schnell gefunden und hinaus an die Müritz, erste Urlaubsluft schnuppern. Richt leider ein wenig muffig. Viele übergewichtige Menschen mit Tattoos, denen die bescheidene gastronomische Qualität an der Promenade offenbar nicht viel ausmacht. Aber vielleicht haben wir auch nicht lange genug gesucht. Immerhin sind die Getränke kühl, die geräucherte Forelle lauwarm, und das Finale des Viertelfinales Ghana gegen Uruguay regt sogar die sonst fußballresistente Gattin auf. So eine Ungerechtigkeit aber auch ...

Samstag, 3. Juli: Waren – Klein Quassow
Jetzt geht’s … immer noch nicht los. Nach gut einem km stellen wir fest: Mit dem Schutzblech kann sie nicht fahren. Aber direkt vor uns, schon auf der Ausfahrt aus Müritz, ein Fahrradladen: „Ne, das haben wir nicht da, fragen Sie mal beim Karberg“. Zurück in die Altstadt, und, ja, die können helfen, wird aber bis 11 Uhr dauern. Tja, das könnte knapp werden bis zum Anpfiff des Deutschland-Argentinien-Spiels, den wir wollen ja reisen, nicht rasen. Mit einem „ist doch nicht so wichtig, das Spiel“ versuche ich ein mögliches schlechtes Gewissen der Gattin im Keim zu ersticken. Der zweite Versuch, Waren zu verlassen, glückt, wir überholen einen älteren Herrn mit Gepäck und erreichen nach sieben sehr schönen Kilometern durch viel Wald Federow. Hier muss man anhalten und der ersten und einzigen Hörspielkirche Deutschlandszumindest einen kurzen Besuch abstatten. Da sind ein paar ganz umtriebige Menschen unterwegs, und wir bedauern es, hier am Vormittag und nicht erst am Abend zur Hörspielzeit einzutreffen. Die Temperatur steigt, wir müssen ein paar kleine Steigungen nehmen, ehe wir Ankershagen erreichen und im Schatten des Schliemann-Museums eine kleine Rast machen. Da trifft auch der ältere Herr aus Waren ein und fragt uns nach einem brauchbaren Weg von Fulda nach Frankfurt. Wir empfehlen die Fulda bis Schlitz und dann nach Lauterbach auf den Vulkanradweg – ist ja auch unsere Strecke. Dann stehen wir endlich an der Havelquelle, dem Fluss, der uns die nächsten Tage begleiten wird. Akkurat und ansprechend eingefasst, da werden wir später noch Liebloseres sehen. Immer wieder Vogelbeobachtungsstationen, aber ein Fischadler ist leider nirgends zu entdecken. Durch leicht hügeliges Terrain und über teils unschönes Pflaster nähern wir uns der 16-Uhr-Marke, zum Anpfiff in Kapstad radeln wir in Blankenförde ein. Und bereits zwei Minuten später lautes Gebrüll von einem Gartenkiosk – da haben wir bereits das erste Müller-Tor verpasst. Nur nicht hetzen, Klein Quassow am Großen Labussee und die Unterkunft sind nah. Die Gattin geht schwimmen, ich genieße (so muss man’s wohl sagen) die zweite Halbzeit von Deutschland-Argentinien. Und wer hat das Landhotel Labussee ebenfalls als Übernachtungsort gewählt? Der nette ältere Herr, mit dem wir am Abend viele Erlebnisse und Informationen austauschen. Er radelt von Kopenhagen nach Berlin, will von dort mit dem Zug nach Fulda, von dort Richtung Rhein-Main-Gebiet und später zurück in die Schweiz. Das allein fasziniert uns bereits, die Spucke aber bleibt uns weg, als er uns sein Alter verrät: Der Mann ist 82 Jahre jung! Viel Glück und gute Erlebnisse, Oskar Rohrmoser, auf allen kommenden Radtouren.

Sonntag, 4. Juli: Klein Quassow – Zehdenick
Wesenburg hat die Nacht zuvor Burgfest gefeiert, dass man’s bis Klein Quassow hörte. Wir holpern über Kopfsteinpflaster durch das nette Städtchen bewundern Burg, Marienkirche mit riesiger Linde davor und nehmen bedauernd zur Kenntnis, dass das vielversprechende Spielzeugmuseum erst am Nachmittag öffnet. Auf abenteuerlichen Radwegen geht es durch Wälder, an Seen entlang – nichts für Rennradler, für Anhänger, für Liegeräder. Aber für die Augen und Ohren. Vor Neu-Canow geht es ziemlich unmotiviert noch einmal auf einen Wurzelweg in den Wald hinein, da könnte man den Weg doch auch über die kleinen Landstraße führen. Achtung: Nach eine steilen Rampe vom See hinauf bei der Dorfstraße links abbiegen. Wir waren wahrscheinlich dermaßen auf schlechte Feld- und Waldwege geeicht, dass wir geradeaus fuhren und den Fehler erst nach zwei km bemerkten. Entscheidung vier km vor Fürstenberg: links auf den Havel-Radweg oder geradeaus durch den Wald? Geradeaus ist eine gute Entscheidung, denn der Weg führt zum Röblinsee und durch die Röblinsiedlung – traditionelle Sommerfrische betuchter Berliner mit ansprechender Architektur. Fürstenberg liegt und ist schön, leidet aber unter dem donnernden Durchgangsverkehr der B 96. wir retten uns auf den Marktplatz vor der Stadtkirche und werden von einem netten Imbissbesitzer aus Wassersuppe mit Essen, Getränken und Informationen versorgt. Der Kontrast zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück am Schwedtsee am Ostrand von Fürstenberg, dem größten Frauen-KZ während des Nationalsozialismus, könnte größer nicht sein: Ruhe bis zur fast völligen Stille. Und der nächste Kontrast: ein phantastischer Radweg führt in den Vier-Seen-Ort Himmelpfort mit seinem berühmten Weihnachtspostamt, mit Zisterzienserkloster und Havelschleuse. In Bredereiche gibt es noch eine schöne, bei unserer Durchfahrt prallvolle Havelschleuse mit Hubtoren zu bewundern, Zum Abschluss des Tages radeln wir bei Mildenberg in einen Ziegeleipark hinein, in dem viele aufgelassene Tonstiche eine traumhafte Seenlandschaft gebildet haben. Einer dieser Stiche ist der Haussee des Appartmenthotels Kormoran in Zehdenick. Eine Unterkunft der „hier will ich bleiben“-Kategorie, die wir umgehend in die Top 5 unserer Radtourenunterkünfte aufnehmen. Nicht abschrecken lassen von der Anfahrt durch Randlage und Industriegebiet, hier ist das Ziel das Ziel und nicht der Weg.

Montag, 5. Juli: Zehdenick - Oranienburg
Zehdenick hat eine Schleuse und eine Zugbrücke, ein Zisterzienserinnen-Kloster und ein Trockendock und macht überhaupt einen ganz lebhaften Eindruck. Nach der Getränkeversorgung geht es auf komfortablem Weg flott an der Havel weiter, auf der uns viele flussaufwärts tuckernde Boote begegnen. In und hinter Liebenwalde muss man ein paar km Straßenlärm ertragen, aber kurz vor Kreuzbruch erwartet uns wieder ein piekfeine Fahrradstraße Richtung Bernöwe. Der Ort wirkt wie eine Feriensiedlung; ein Weg zum Oder-Havel-Kanal, vielleicht mit einer Ruhebank, ist leider nicht zu finden. Na, dann zum Grabowsee, wo eine ehemalige Tuberkulose-Klinik im Wald verfällt, wo es eine nette kleine Badestelle gibt und wo eine neue Brücke die Fähre über den Kanal nach Friedrichsthal ersetzt. Ersetzen wird, muss man Anfang Juli leider sagen, denn wir kommen noch nicht rüber. Zwei Tage später soll sie eingeschenkt werden, was uns zu einem holprigen Umweg über Schmachtenhagen zwingt. In Oranienburg an der Schleuse am Lehnitzsee erreichen wir wieder den Havel-Radweg. Ärgerlich für Radler, die in die entgegen gesetzte Richtung fahren, dass es in Oranienburg keine Hinweis auf die fehlende Kanalüberquerung gibt – was 3,5 vergebliche Kilometer nach Friedrichsthal bedeutet, und 3,5 km wieder zurück. Im September soll sich der Umweg mit der Öffnung der Brücke erledigt haben. Direkt am Lehnitzsee steht unsere Pension Waldhaus mit schönem Biergarten, in der wir Mittagsvesper und, Luxus des Urlaubes, Mittagsschlaf halten. Die Kurzetappe diente eigentlich dazu, Oranienburg ausgiebig zu besichtigen, aber die Stadt enttäuscht (uns) fast völlig. Unzählige Freiflächen, vorm Schloss vierspuriger Verkehr und großer Parkplatz, eine Altstadt, die die Bezeichnung nicht verdient. Wenn nicht Montag wäre, hätten wir die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht oder die Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz, aber so ist der schnelle Rückweg ins Waldhaus die beste Wahl. Immerhin ist der Weg von und nach Oranienburg am Lehnitzsee entlang so schön, dass man ihn mehrmals fahren kann.

Dienstag, 6. Juli: Oranienburg – Groß Glienicke
Der Weg rein nach Oranienburg ist schön, der Weg raus aus Oranienburg weniger. Hinter Borgsdorf führt der Weg noch einmal ein schönes Stück durch den Wald, über Briese und den Naturlehrpfad, wo wir eine muntere Schulklasse auf Exkursion passieren. Nach Überqueren des Berliner Rings aber ist viel Aufmerksamkeit gefordert, um die permanenten Richtungswechsel und Abzweigungen in Birkenwerder und Hohen Neudorf nicht zu verpassen. Hinter der Hasenkuhle ist die nächste Autobahn, die A 111, schon zu hören und kurz danach in einem langen Bogen unterquert. An den Ausläufern von Hennigsdorf vorbei, verpassen wir natürlich den kleinen Stich vom Radweg Richtung Bundesstraße und stehen 100 m weiter konsterniert vor einer vierspurigen Straße mit Mittelleitplanke. Hier soll man rüber? Winkende Radler weisen den Weg zurück zum Abzweig im Wald. In Niederneuendorf gibt es einen der wenigen erhaltenen Grenztürme mit kleinem Museum zu besichtigen, bei Konradshöhe passieren wir die beiden Exklaven Fichtewiese und Erlengrund – einst West-Berliner Laubenkolonien jenseits der Mauer. Schön ist der Weg entlang der Havel, aber in Hakenfelde, Neustadt und Spandau wird’s ziemlich furchtbar. Alle paar Meter zweigt der Havel-Radweg ab, dauernd müssen Straßen überquert werden. Nach einem Abstecher nach Alt-Spandau wird es in Wilhelmstadt und Pichelsdorf nicht wesentlich besser, schöne Park-Passagen wechseln ab mit wenig radfreundlichem Terrain. Ich erinnere mich, mehrfach so etwas wie „eine Zumutung“ geflucht zu haben. Nobles Terrain beginnt spätestens in Gatow und Kladow. Wir erreichen Sacrow am gleichnamigen See, von wo man entspannt Richtung Krampnitz weiterradeln könnte. Könnte, weil ich vorschlage, doch lieber am Seeufer entlang einen Weg in den Bullenwinkel von Groß Glienicke zu suchen. Was prompt schief geht. So erreichen wir etwas umständlich über Groß Glienicke und die Landstraße unser Ziel, wo wir zwei Tage sehr komfortabel und exklusiv bei Freunden unterkommen.

Mittwoch, 7. Juli: Rund um den Wannsee
Ruhetag. Der beginnt morgens um 7:30 Uhr mit einer kleinen Joggingrunde zum Sacrower See und durch Groß Glienicke. Dann starten wir mit unserem Gastgeber eine Besichtigungstour rund um den Wannsee. Über Groß Glienicke und Kladow erreichen wir den Fähranleger und genießen ein launige Fahrt mit ein paar aufgeweckten Kita-Abgängern auf Abschiedstour. Erstes Ziel in Wannsee: das Kleist-Grab. Vor 199 Jahren nahm der Dichter erst seiner Begleiterin, dann sich am Kleinen Wannsee das Leben. Grab und Infokasten sind in einem wenig rühmlichen Zustand; zum 200. Todestag im nächsten Jahr wird da hoffentlich aufgehübscht. Nächstes Ziel ist die Max-Liebermann-Villa, in der der Großmeister des deutschen Impressionismus seine späten Sommer verbrachte und seinen Garten in vielen Facetten malte. Ein paar Häuser weiter steht das Haus, in dem hochrangige NS-Führer am 20. Januar 1942 die generalstabsmäßige Ermordung der Juden besprachen (die sogenannte Wannsee-Konferenz). Die Ausstellung behandelt die Entstehung des Antisemitismus und die Konferenz und ihre Teilnehmer. Das Haus ist viel besucht, wir sahen Gruppen aus Israel, den USA. Unsere kleine Radtour führt uns am Wannsee entlang Richtung Pfaueninsel, dann der Blick auf die Heilandskirche (wer da schon alles geheiratet hat!), schließlich ein Abstecher zu Schloss Glienicke, und dann haben wir die Glienicker Brücke erreicht, eines der berühmten Symbole deutsch-deutscher Teilung und Stoff für tolle Agentengeschichten. In der Villa Schöningen am westlichen Brückenkopf (der früher im Osten lag!) informiert eine Ausstellung im Erdgeschoss über die Brücke und ihre Geschichte; der erste Stock ist für Wechselausstellungen reserviert (aktuell: Büttner, Kippenberger, Oehlen). Im schönen Biergarten der „Meierei“ am Jungfernsee verarbeiten wir die Eindrücke des Tages und radeln über Nedlitz, Neu-Fahrland und Krampnitz zurück in den Bullenwinkel. Zum Halbfinale gegen Spanien treffen sich Nachbarschaft und Freundeskreis im Garten, großes Büffet, große Stimmung, die ob der Dominanz des Europameisters aber von Minute zu Minute sinkt. Der männliche Nachwuchs verliert bald die Lust am TV und zeigt beim Spiel auf ein Tor im riesigen Bullenwinkel-Garten, wie leicht man einnetzt, wenn kein Pique, kein Puyol, kein Casillas im Wege stehen.

Fortsetzung demnächst
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#642277 - 31.07.10 13:15 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Christof]
kleinertoto
Mitglied
abwesend abwesend
Beiträge: 73
Hallo,

ist ja witzig...wir waren dies Jahr auf dem Trip Rostock Krakow Plau Elbe und dann den Mittlandkanal Weser bis Kassel, dann Wetter bedingt abgebrochen.

Gruß
kleinertoto
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#642852 - 03.08.10 09:24 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: kleinertoto]
Christof
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 301
Teil 2: von Groß Glienicke nach Bettrum

Donnerstag, 8. Juli: Groß Glienicke – Rottstock
Gegen den Spanien-Kater (so überhaupt vorhanden) helfen frühmorgendlicher Lauf zum und Bad im Sacrower See. Der Abschied vom Bullenwinkel und den Freunden fällt schwer, aber uns leitet das Oliver Kahn-Motto „weiter, immer weiter“. Über Krampnitz erreichen wir Potsdam, passieren die russische Kolonie Alexandrowka, rollen durch die Freidrich-Ebert-Straße und versprechen uns: In diese Stadt kommen wir mal für einen ausgiebigen Besuch. An der Moschee erreichen wir den Templiner See, der uns die nächsten zehn Kilometer auf mal mehr, mal weniger fahrradfreundlichem Untergrund begleitet. Hinter de Brücke von Geltow nach Petzow verlassen wir den Havelradweg fast ein bisschen schweren Herzens, entlassen aus der sicheren Obhut des bikeline-Führers beginnt das Abenteuer Börderadweg. Was mag er bringen? Zunächst etwas auf und ab, die Ausläufer des Mirenberges (55 Meter hoch) sind zu spüren. Jetzt muss nach Karte gefahren werden, und nach einem ersten kurzen Fehlgriff finden wir die richtige Straße Richtung Biesendorf. Es begegnet uns ein holländisches Radlerpaar, dessen Kommentar nichts Gutes verheißt: „Alle Straßen enden im Sand“. Aber bis Biesendorf läuft es doch wunderbar. Und auch der weitere Weg nach Lehnin lässt sich gut an. Na gut, jetzt kommt Kopfsteinpflaster. Und jetzt Gras und Spurrillen. Und jetzt Sand. Noch versuchen wir mehr oder weniger verzweifelt, im Sattel zu bleiben, aber bald stellen sich erste Schiebepassagen ein, weil Rad und Sand gar nicht mehr harmonieren wollen. Erlösung kurz vor der Unterquerung der A 10: Asphalt! Ernüchterung kurz hinter der A 10: Sand, Gras und Schotter! In Lehnin hat der Spuk ein Ende, und im wunderbar ruhigen Café ganz hinten im Klosterbezirk lässt sich wunderbar entspannen. Kurz hinter Golzow, auf asphaltiertem Radweg, macht es plötzlich „pfffft“, und kurz danach ist das Hinterrad platt. Ist eigentlich ein Verfahrne erfunden, das Hinterrad zu wechseln, ohne sich die Hände einzusauen? Wir sehen jedenfalls aus wie mit beiden Händen in den Schmierpott gegriffen. Liegt vielleicht auch daran, dass mein letzter Platten neun Jahre zurückliegt, wie ich mich später nach mühsamem Gedächtniskramen erinnere. Jedenfalls haben wir viel Zeit verloren. In Dippmannsdorf suchen wir den richtigen Weg nach Weitzgrund. Fragen hilft – nicht wirklich: „Nee, da dürfen Sie nicht fahren, wegen Waldbrandgefahr.“ Alternative: zurück über Ragösen und über Klein Briesen? Zögerliches „Hmmm“. Aber da ist doch auch Wald? Schulterzucken. Fragen wir halt anderswo weiter, bis uns die Antwort gefällt. Da steht ein fröhlicher Dippmannsdorfer, lacht über unser Vorhaben, „von mir aus fahren Sie da ruhig lang, da hinten übers Kopfsteinpflaster rauf.“ Der Anstieg ist erträglich, aber im Wald (Sand und Schotter, aber längst nicht so schlimm wie vor Lehnin) keinerlei Hinweise. Doch der Freiflug mit BVA-Karte bringt uns wirklich nach Weitzgrund. Ein km hinterm Ortsschild erreichen wir den Mittelpunkt der ehemaligen DDR, geadelt durch eine Hinweistafel und eine Holzhütte. Sind wir jemals durch dünner besiedeltes Gebiet geradelt? Wir sind im Naturpark Hoher Fläming unterwegs, und der nächste Ort heißt Verlorenwasser. Und dann geht plötzlich doch noch alles ganz schnell, und wir rollen in Rottstock mit dem hübschen Gasthof und Pension Haug ein. Der Abend vorm Haus ist wie Kino, manches erinnert an Szenen aus Filmen von Jacques Tati. Da streunt ein Schäferhund über die Straße, macht alle andere Hunde hinter ihren Zäunen ganz närrisch, ein Nachbar kommt heim, steigt aus dem Auto aus, greift zum Handy, „hallo, Dein Champ läuft hier durchs Dorf.“ Kurz danach fährt ein dicker Mini-Van vor, lädt den Streuner ein, und himmlische Ruhe legt sich über die Dorfstraße. Da traut sich auch die Katze wieder auf die Straße, die nette Frau Haug kommt für einen Plausch aus der Gaststube und bringt noch einen Riesling. Kaum zu glauben: den feinen Riesling vom Milz Laurentiushof aus Trittenheim an der Mosel in einem Landgasthof in Brandenburg. Ein weiterer Beweis, wie viel Mühe man sich hier gibt, denn auch das Essen war prima.

Freitag, 9. Juli: Rottstock – Schönebeck (Elbe)
Der Tag startet verheißungsvoll: Asphalt. Leider nur gut 500 Meter. Kurz hinterm Ortausgang von Wittstock Richtung Dretzen erwartet uns mittlerweile vertrautes (liebgewonnenes möchte ich dann doch nicht sagen) Terrain: Sand. Kilometerlang. Und so schieben wir mehr als wir fahren durch eine Gegend, wo sich Fuchs und Has’ gute Nacht sagen. Einen Fuchs haben wir nicht gesehen, aber ab und zu scheuchen wir einen Feldhasen auf. Andere Verkehrsteilnehmer gibt es nicht. Wir wechseln von Brandenburg nach Sachsen-Anhalt, ohne Auswirkungen auf die Wegequalität. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir Dretzen, genießen die asphaltierte Ortsdurchfahrt, um gleich auf die nächste Sandpiste Richtung Magdeburgerforth abzubiegen. Sollte sich spätestens hier jemand fragen: warum machen die das?, biete ich zwei Antworten an. Erstens: die Alternative wären riesige Umwege gewesen, und deshalb folgten wir dem Prinzip „die Hoffnung (auf bessere Wege) stirbt zuletzt“. Vor Magdeburgerforth leitet uns die Karte nach links Richtung Dörnitz; wir fahren lieber noch ein paar 100 Meter weiter und dann links auf der Landstraße nach Drewitz. Und dort, in einem kleinen Laden, begegnet uns doch wahrhaftig, nach einer Woche, der erste unfreundliche Mensch in den neuen Bundesländern: „Gibt’s nicht! Gucken Se selbst. Se sehn doch, was wer ham.“ Danke. Gern wäre ich von Drewitz aus Richtung Westen gefahren, um einmal in einem Ort namens Wüstenjerichow zu stehen, aber wir bleiben auf der Landstraße, (es gäbe selbstverständlich auch eine Sandpistenroute) und erreichen über Lübars und Hohenziatz Möckern – ziemlich erschöpft in der Mittagshitze. Die Pause im Schlosspark taugt nur bedingt zur Regeneration, etwas müde kurbeln wir weiter und packen zwischen Ladeburg und Dannigkow eine letzte Holperpiste. Bei der Gattin schleift die Vorderradbremse, und irgendwie krieg’ ich das Ding nicht gelockert. In Dannigkow gibt es zwar einen Radladen, aber der Besitzer ist mufflig, unfreundlich, und helfen kann er auch nicht. Immerhin kann ich mir wieder einen Ersatzschlauch besorgen. Bei der Weiterfahrt gehen wir auf Nummer sicher (meinen wir) und fahren nicht über Gommern, sondern schenken auf den Elberadweg ein, der uns über Pretzien im großen Bogen nach Ranies führt. Ein Unding ist dann die Verkehrsführung ein paar km vor Schönebeck parallel zur 246a, auf einem engen Betonstreifen af dem Damm. Gut, dass uns niemand entgegenkommt. Und dann muss man auch noch die Straßenseite wechseln, was wegen des unablässig rollenden Verkehrs nach zwei Minuten erst dadurch gelingt, weil eine nette Autofahrerin anhält und uns passieren lässt. Der dank: ein freundliches Winken von uns und ein freundliches Hupkonzert ihrer Hintermänner, die sich über den kleinen Stopp freuen. Grrr! Die Unterkunft in Schönbeck ist ebenso bizarr, wie originelle wie nett: Das Schiffshotel „Sonnenschein“ drei km vom Stadtzentrum entfernt flussaufwärts. Der nette Besitzer versorgt uns mit den Adressen der örtlichen Lieferservices, und eine Stunde später genießen wir thailändische Küche auf dem Achterdeck, mit Blick auf die Elbe. Einfach traumhaft.

Samstag, 10. Juli: Schönebeck – Schöppenstedt„Ich habe ja regelmäßig Fahrradfahrer zu Gast, aber Eure Strecke hat noch keiner gemacht. Da ist doch nur Ackerlandschaft.“ Motivierende Abschiedsworte des Schiffshotelbesitzers. Hm – wir wollen doch bloß weiter Richtung Westen. Der Weg dorthin ist erst einmal mit einem kräftigen Umweg gepflastert – im wahrsten Sinne des Wortes, denn wir kurven etwas wirr durch Schönebeck auf der Suche nach dem richtigen Weg nach Welsleben. Und dann bekomme ich den Hinterreifen mit der kleinen Handpumpe – mangels Kraft in den Händen? – nicht richtig prall. Aber ein netter Bastler mit eigener Werkstatt schraubt mal kurz die große Pumpe auf, und schon freuen sich Reifenund Radler wieder über komfortable 5 bar. So ist das in Welsleben – man hilft sich untereinander, wenn die Infrastruktur auf dem Dorf nichts anderes zulässt. Das Thermometer hat längst die 30° überschritten, und Schatten bietet die Strecke so gut wie überhaupt nicht. „Da muss man verrückt sein“, ruft uns eine Frau auf dem Weg zum Wochenendeinkauf zu. Wir verzichten auf den Weg a la Karte über Sülldorf und Langenweddingen (schlechte Wegstrecke, muss heute nicht sein) und radeln an der B 246a entlang über Bahrendorf, Altenweddingen und Blumenberg nach Wanzleben. Vorteil: Ein Supermarkt an der Strecke ermöglicht Getränkenachschub. Heute werden wir viel Flüssigkeit brauchen, wenn es bis 40° heiß werden wird. Und dann sichten wir hinter Wanzleben doch wirklich das erste Schild „Börderadweg.“ Es bleibt das letzte für lange Zeit. An der Zuckerfabrik von Klein Wanzleben vorbei erreichen wir Meyendorf mit Kloster und verlockend schattigem Klostergarten, aber eine Rast wollen wir lieber im nächsten Ort Seehausen mit See und eventuell Bademöglichkeit einlegen. Ein Fehler: Erst ist die Wegstrecke eine Katastrophe und vor Seehausen zudem von umweltbewussten Bürgern mit vielen Mülltüten verziert; dann finden wir keinen Zugang zum See und eine Bademöglichkeit erst recht nicht. Nächste Chance: Eggenstedt mit der Allerquelle. Die ist nun allerdings eine ganz traurige Angelegenheit und nicht viel mehr als ein rostiger Wasserhahn. Wir finden zumindest eine Bank, sehen aber nach vier Stunden Hitzeschlacht so wenig vertrauenswürdig aus, dass der Hausbesitzer nebenan uns erst einmal misstrauisch unter die Lupe nimmt – „hier wird nämlich oft eingebrochen.“ So gut die Pause tut, so schwer wird der Wiederaufstieg. Am Hohen Holz vorbei nehmen wir Kurs auf Hötensleben, machen Station am Grenzdenkmal und bereits auf niedersächsischer Seite am Braunkohletagebau. Nach Schöningen müssen wir hinein, weil die Gattin, spürbar erschöpft, etwas Essbares braucht. Ich möchte ihr gern den weiteren Weg nach Schöppenstedt ersparen, radle zum Bahnhof, um die nächste Verbindung herauszusuchen. Tja – den Bahnhof hätte ich (so steht’s auf einem Schild) kaufen können, ein Ticket aber nicht. „Der nächste Bahnhof ist in Helmstedt“, belehrt mich eine Passantin. Hilft nichts, ist ja auch 13 km entfernt. Aber vielleicht lässt sich eine direktere Verbindung in Eulenspiegel-Stadt finden als die Route über Dobbeln und Ingeleben. Die B 82 zum Beispiel. Ob die hügelig ist? Ja, versichern Einheimische, das sei sie wohl, aber nur zu Anfang etwas steiler (wir befinden uns schließlich an den Ausläufern des Elm). Nun sieht die Welt hinterm Steuer immer etwas anders aus als hinterm Lenker, aber die 15 km packen wir schon. In Groß Dahlum muss sich die Gattin vor einem Scheunentor in den Schatten setzen und sieht so erschöpft aus, dass eine besorgte Autofahrerin anhält und fragt, ob wir Hilfe brauchen. Jetzt Sammeln der letzten Kräfte, und kurz danach beziehen wir unser Zimmer im Hotel „Markt Eins“ am Marktplatz. Ein kurioser Abend in einem eigentlich ganz netten Biergarten rundet den Abend ab – so viele, sagen wir, eigenwillige Menschen haben wir lange nicht mehr erlebt. Hat denen die Hitze zu sehr zugesetzt?

Sonntag, 11. Juli: Schöppenstedt – Bettrum
Finale in Südafrika, Finale auch beim Abschnitt Börde-Radweg unserer Tour. Dank hoher Räume ließ sich die Hitzenacht einigermaßen ertragen, obwohl Schöppenstedts Jugend ihre Kommunikationsfreude auf dem Marktplatz bis weit nach Mitternacht unter Beweis stellte. Über Bansleben und Weferlingen radeln wir Richtung Dettum, zeitweise begleitet von einem munteren Rentner, der die Strecke Wolfenbüttel – Schöppenstedt – Wolfenbüttel als Sonntagsausflug absolviert. Links von uns die Asse, die am Sonntagvormittag und wohl auch sonst einen friedlichen Eindruck macht. Wer’s nicht weiß, möchte kaum glauben, was sich dahinter (auf der Südwestseite) bzw. darunter verbirgt. Wolfenbüttel lohnt mindestens einen Abstecher, aber da wir die Stadt schon kennen, berühren wir nur ihre südlichen Stadtteile, überqueren die Oker und radeln weiter Richtung Oderwald. In Cramme unter der Linde machen wir kurze Rast; unzählige Spatzen unterhalten uns mit Formationsflügen und Getschilpe. Entlang der Fuhse erreichen wir Salder, einen der zahlreichen Stadtteile von Salzgitter, mit Schloss und Café. Da unsere Tagesetappe kurz ist (um die 60 km), legen wir auch hier eine Pause ein und wenige Kilometer weiter am Salzgittersee schon wieder eine. Es ist früher Nachmittag, viel Badebetrieb, und die Wasserskiseilbahn läuft ununterbrochen – willkommene Abkühlung bei der Hitze. Danach durch die Felder nach Lesse (letzter Stadtteil von Salzgitter) hinein und wieder hinaus, durch Berel hindurch, und selten schien mir mein Heimatdorf Bettrum so willkommen wie heute. Wäsche einmal durchgewaschen, Ruhe unterm Kirschbaum genossen und abends den obligaten 1:0-Sieg der Spanier bewundert.

Montag, 12. Juli: Ruhetag
Das Fahrrad keinen Meter vom Hof bewegt – nur ein bisschen geputzt und geschmiert.

Fortsetzung der Tour bis Frankfurt demächst


Geändert von Christof (03.08.10 09:27)
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#642907 - 03.08.10 12:06 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Christof]
sstelter
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abwesend abwesend
Beiträge: 661
Hallo Christof,
schöne Beschreibung meiner näheren und weiteren Heimat (bin in Potsdam geboren und aufgewachsen und rund um Berlin viel mit dem Rad unterwegs). Das Dorf nach Petzow heißt Bliesendorf. Kennst Du Boerde-Radweg? Sieht so aus, als hättest du zum Teil die blauen "Hardcore"-Strecken genutzt.
MfG
Stephan
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#642937 - 03.08.10 13:30 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: sstelter]
Christof
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Themenersteller
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Beiträge: 301
Hallo, Stephan,

vielen Dank für Deine Antwort. Tja, da kann man noch so intensiv Korrektur lesen, es schleichen sich doch immer ein paar übersehene Tippfehler ein, darunter auch das fehlende "l" Bliesendorf (wo wir ein paar ausgesprochen bunt blühende Vorgärten entdeckten).

Wir haben uns an dem von dir verlinkten Radweg orientiert (den Link einzubauen hatte ich auch vergessen - shame on me). Und manche blaue Route war wirklich "heavy" für unsere vergleichweise schmalen Tourenräderreifen, aber das Gefühl, ganz allein in einer weiten Landschaft oder in stillen Wäldern zu sein, hat das allemal wettgemacht. Daran habe ich viel intensivere Erinnerungen als an zwar flottes, aber vergleichsweise langweiliges Kacheln an der Bundesstraße, wie wir's später im Leinetal erlebten (an dem Abschnitt arbeite ich gerade).

Gruß,
Christof
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#644807 - 10.08.10 13:34 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: sstelter]
Christof
Mitglied
Themenersteller
abwesend abwesend
Beiträge: 301
1.000 km quer durch Deutschland – von Waren nach Frankfurt

Teil 3: von Bettrum nach Frankfurt

Radeln auf bekanntem Terrain. Neu waren für mich nur die Abschnitte Heersum – Bodenburg, Niedergandern – Witzenhausen und Schlitz – Lauterbach. Alles andere war ich vorher schon mal, teilweise in umgekehrter Richtung, geradelt.

Dienstag, 13. Juli: Bettrum – Northeim
Aufbruch zum letzten, längsten Abschnitt der Tour – gut 400 km durch Niedersachsen und Hessen. Und Aufbruch zu dritt, denn mein Neffe schließt sich uns an. 17 Jahre jung, schlank, längste bisher an einem Stück gefahren Tour: ca. 15 km. Da ist doch Luft nach oben. Die ersten kleinen Anstiege durchs Vorholz bewältigt er mühelos. Hinter Heersum überqueren wir die Innerste, hinter Hockeln folge ich der Radwanderkarte Niedersachsen, Nummer 24 – und schicke unsere Dreiergruppe auf einen schmalen Weg, der wenig radtauglich ist. In einer plötzlich auftauchenden Kuhle fährt die Gattin auf den Neffen auf und sammelt reichlich blaue Flecken ein. Die Brücke über die Innerste ist inzwischen auf Privatgelände, so dass wir über Heinde und Groß Düngen ausweichen müssen. Das kommt davon, wenn man den Mitreisenden eine landschaftlich schöne Strecke bieten möchte. Auf der direkten Strecke auf der Landstraße von Hockeln nach Klein Düngen hätte es vielleicht 5 Minuten gedauert, so gurken wir eine halbe Stunde herum. Hinter Wesseln geht es im Feld ein wenig hinauf, und bei einer Bank beruhigen wir uns wieder und genießen den Blick auf Bad Salzdetfurth (wer erinnert sich noch an die fiktiven Briefe von Gabi aus Bad Salzdetfurth, die Harald Schmidt in seiner Sendung „Schmidteinander“ verlas?). Beim Durchfahren der Stadt fallen uns mehrere Schilder „Straße des Jahres“ auf – ein stadtinterner Wettbewerb, der jährlich ausgeschrieben wird. Dann Bauchweh in Bodenburg: Der Neffe klagt über starke Schmerzen. Nach Toilettenbesuch im Freibad Bodenburg geht es etwas besser, aber wir überlegen bereits Alternativen: Abbruch der Tour und retour nach Bettrum? Per Zug nach Northeim? Aber er kämpft sich weiter, langsam radeln wir durch Hitze und Gegenwind nach Lamspringe. Nach Vesper am Radweg und frischer Getränkeversorgung geht es dann wieder besser, und wir rauschen auf dem schönsten Abschnitt des Tages auf einer stillgelegten Bahntrasse nach Bad Gandersheim – mehrere Stopps zum Betrachten und Fotografieren der Kunstwerke am Wegesrand inklusive. Der Platz vorm Dom in Bad Gandersheim gehört im Sommer traditionell den Domfestspielen, aber eine Bank für ein Eis ist immer frei. Über Orxhausen erreichen wir Kreiensen und die Leine, dessen (ich nehm’s schon mal vorweg; ziemlich unattraktivem) Radweg wir heute und morgen folgen werden. Am Flüsschen Aue weist das Radwegzeichen nach links, ich aber erinnere mich, den Weg vor Jahren nach rechts über Ippensen, Garlebesen und Volksen Richtung Einbeck gefahren zu sein, und führe die Gruppe nach rechts. Auf der kleinen Landstraße herrscht am Nachmittag kräftiger Verkehr – wäre die Route über Rittierode die bessere Alternative gewesen? Auch auf der L 572 Richtung Süden, an Salzderhelden vorbei, ist viel Verkehr, und die einzelnen Ortdurchfahrten abseits der Landstraße bringen nur minutenlange Erholung. Hier lohnt es sich, mal einen Blick auf das Hochwasser-Rückhaltebecken zu werfen, das das tief gelegene, ganz hübsche Salzderhelden schützen soll. Hinter Hollenstedt radeln wir in die Northeimer Seenplatte hinein, aber als wir endlich beschlossen haben, bei der nächste Badestelle anzuhalten, ist die letzte Möglichkeit vertan, und über die Rhume erreichen Northeim. In der Deutschen Eiche werden wir darauf hingewiesen, dass wir eine halbe Stunde nach 18 Uhr eintreffen, „ich kenne Kollegen, die das Zimmer eine Minute nach sechs weitervergeben, ich bin da ja großzügig, aber wie gesagt, es gibt da Kollegen …“ Willkommen in Northeim. Das Städtchen zeigt sich an diesem warmen Abend sommerlich, viele Gaststätten servieren draußen. Nudeln füllen den Kohlehydratspeicher wieder auf nach 90 km am ersten Tag zu dritt – nicht schlecht für den Anfang.

Mittwoch, 14. Juli: Northeim – Spiekershausen
Wer hat bloß diesen Leine-Radweg angelegt? Auch wenn die Leine ein breites Urstromtal mit entsprechend vielfältiger Verkehrsnutzung ist (Regionalbahntrasse, ICE-Trasse, A 7, B 3, Landstraßen) ist, muss der Radweg doch nicht so oft dermaßen unattraktiv und umständlich geführt werden. Kurz vor Sudheim: Umleitung, und statt über Elvese werden wir über die B 3 nach Nörten-Hardenberg geleitet. Und immer wieder abwechselnd über die Bundesstraße oder die Landstraße oder die Bahntrasse oder alles zusammen – Genussradeln ist was anderes. Eingezwängt zwischen Straße und Bahn liegt die Klostergemeinde Marienstein im südwestlichen Teil Nörten-Hardenbergs, die uns einen kleinen Abstecher wert ist. Bald kommt die Burg Plesse ins Blickfeld, aber meine Vorschlag, von Bovenden aus einen kleinen Abstecher auf die Höhe zu machen, wird dankend abgelehnt. War auch nicht ganz erst gemeint. Lang zieht sich Vorbeifahrt an Göttingen, die zumindest teilweise ganz hübsch ist, durch einen kleinen Grünstreifen direkt an der Leine. Kurz davor muss man allerdings sein Fahrrad über eine Brücke tragen – ein weiteres Puzzlestein im getrübten Leineradweg-Bild. Am Südende Göttingens erreichen wir den Kiessee, den ich meinen Mitradlern zur Stimmungsaufhellung als möglichen Badestopp in Aussicht gestellt hatte. Denkste: schöne Grünanlage, aber kein Badestrand. So treten wir, bei Gegenwind etwas schwerfällig, weiter durch mäßig interessantes Gelände über Rosdorf, Niedern- und Obernjesa und Klein Schneen, nach Friedland, wo dringend Mittagsrast eingelegt werden muss. Der Sportplatz jenseits der Bahnlinie bietet dazu Gelegenheit, und ebenso dazu, über die Weiterfahrt nachzudenken. Ergebnis. Wir teilen uns kurzfristig auf, die beiden nehmen den Zug von Friedland nach Witzenhausen, ich selbst fahre den Buckel mit dem Rad. Und bleibe damit auf Kurs, bis Frankfurt keinen Meter Streckenabschnitt mit Zug oder Auto zurückzulegen. Die Radwiki-Beschreibung hilft mir bis Niedergandern, dann folge ich nicht dem Wiki-Wegvorschlag über Hottenrode, sondern der Radhinweistafel Witzenhausen und fahre weiter nach Hebenhausen. Dort weist der Radweg nach links Richtung Eichenberg, aber ich will doch nach Witzenhausen? Und schon bin ich an der B 27. Zurückfahren? Nein, jetzt keine Kompromisse mehr. Auf der großteils dreispurig ausgebauten Bundesstraße, nur teilweise mit einem Radstreifen geadelt, jage ich dahin wie auf einer Autobahn. Und bin so flott, dass ich glatt den Radweg-Abzweig (ja, den gibt es plötzlich) nach Witzenhausen verpasse. Gebremst, gedreht, abgebogen, und kurz danach rolle ich in die Kirschenstadt, vorbei an zahlreichen Verkaufsständen. Soll ich ein Kilo mitnehmen, oder wird das, in der Gepäckstasche kräftig durchgeschüttelt, nicht schnell zu Marmelade? Und während ich noch über diese Frage nachdenke, ist die letzte Kirschenbude passiert, und ich erreiche die Werra. Anruf bei meinen abtrünnigen Mitradlern: Sie suchen gerade den Weg vom Bahnhof zum Fluss. Ha, Punktsieg für mich, mit einer Viertelstunde Vorsprung. Natürlich wird vor der Weiterfahrt das Kirschen-Tryptichon am Werra-Ufer ausgiebig fotografiert. Und dann endlich mal wieder ein Flussradweg, der den Namen verdient. Schöne Streckenführung, schöne Landschaft und ein paar kleine Anstiege, die von zügigen Abfahrten abgelöst werden. Man kommt gut voran, müssen wir aber auch, denn es geht auf 18 Uhr, und an der Radtasche der Gattin ist eine Halterung abgerissen, so dass wir noch technischen Beistand in Hann. Münden benötigen. Dummerweise geht uns der Neffe kurz vor Laubach verloren, weil er den Abzweig Richtung Hann. Münden verpasst, aber dank mobilen Telefonierens kann auch dieser Lapsus recht schnell korrigiert werden. Wo Werra sich und Fulda küssen, bekommt die lädierte Fahrradtasche einen vorläufigen Verband in Form einer Spinne – das sollte bis Frankfurt halten. Ein Eis für sofort, zwei Stück Käse für den Abend (hervorragender Laden in der Altstadt: Käsefeinkost Veronika Bode) und Antritt zum letzten Teil der Etappe. Ein besonders schöner Teil, denn die Fulda am Abend ist ausgesprochen stimmungsvoll. Warmes Licht, Blick auf die umliegenden, bewaldeten Hänge, von der B 3 bekommt man wenig mit. Wir überqueren, ohne es zu merken, die niedersächsisch-hessische Landesgrenze, der Wald tritt gelegentlich dichter an das Ufer auf der gegenüberliegenden Flussseite heran. Die Fulda zieht hier einige weite bogen, und nach etwa einer Stunde haben wir vor der großen Fuldaschleife das Wehr erreicht, über das wir, erneut die Landesgrenze überschreitend, noch fahren können, um kurz darauf im Wald sehr steil bergauf zu schieben. Aber das kennen wir schon von früheren Touren, und nach fünf Minuten sind die Räder nach oben gewuchtet. Jetzt noch die tolle Abfahrt nach Spiekershausen, dann der extrem steile Aufstieg der Straße Im Kreuzsiegen, den ich mit den letzten Körnern schaffe (aber auch das kenne ich schon), und wir werden von Onkel und Tante in ihrem wunderschönen Haus hoch über der Fulda erwartet. Der Swimming Pool ist wohl temperiert, was vor allem den Neffen zu einem ausgiebigen Aufenthalt animiert. Dann weht eine stürmische Bö die Sektgläser vom Tisch, und wir verlegen den Ausklang des Abends lieber ins Wohnzimmer.

Donnerstag, 15. Juli: Spiekershausen – Alt-Morschen
Bei der steilen Abfahrt aus dem Kreuzsiegen muss man aufpassen, dass man nicht ungebremst in die Fulda rauscht, sondern rechtzeitig nach links auf den Weg am Fluss entlang abbiegt. Die Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Hessen verlief früher quer durch den Sportplatz; heute üben hier Hunde grenzübergreifend artgerechtes Verhalten ein. Entspann rollt man durch die Fuldaaue über Sandershausen nach Kassel, muss nur an der Scharnhorststraße eine lästige Baustelle überwinden, und dann kreuz und quer durch das neue Stadtviertel Unterneustadt zu radeln. Und schon ladet der nächste See zum Bade, in der vormittags noch recht ruhigen, weitläufigen Karlsaue. Was meine beiden Mitradler gern und ausgiebig ausnutzen. Danach beginnt ein Abschnitt weitläufiger Flussschleifen, und wir erreichen Guxhagen erst gegen Mittag. Im schönen Innenhof des Klosters Breitenau genießen wir eine schattige Mittagsrast; das Kloster selbst mit langer, wechselvoller Geschichte lohnt ebenfalls einen Besuch. Wunderschön der Abschnitt um die Fuldaschleife bei Büchenwerra, während hoch oben der Verkehr der A7 donnert. Über ein paar kleine Hügel geht es nach Melsungen, der Fachwerk-Idylle an der Fulda. Schmuckstück ist das Rathaus, auf das wir bei einem Eisbecher blicken. Die Ausfahrt aus der Stadt führt vorbei an der Firma Braun – interessant für Freunde zeitgenössischer Industriearchitektur. Oft auf eigenen, gut ausgebauten Radwegen, gelegentlich auf schwach befahrenen Straßen lässt es sich hier wunderbar radeln. Zudem wurde in den vergangenen Jahren stetig am Ausbau des Radweges gearbeitet, was ihm sichtbar mehr Attraktivität verliehen hat. Gruppen, Paare, Solisten, Genuss- und Rennradler: Es ist auch unter der Woche einiges unterwegs. In Beiseförth plötzlich die Qual der Wahl. Geradeaus über die Kreisstraße oder links ab und eine Seilfähre nutzen. Die muss neu sein, kennen wir noch nicht. Aber bis wann wird die Betrieb haben – es geht ja schon auf 18 Uhr? Wir entscheiden für die „sichere“ Variante Landstraße, doch beim Anblick der Steigung aus Beiseförth hinaus schaut die Gattin so böse, dass wir umgehend umkehren. Die Seilfähre entpuppt sich als ein über der Fulda schwebender Metallkasten, in den man offiziell vier Fahrräder hineinbekommt (aber wohl nur ohne Gepäck) – und dann heißt es kurbeln. Wir haben das doppelte Vergnügen, müssen die Kiste erst einmal auf unsere Seite kurbeln. Das ist mit Sicherheit nicht schneller als die Straßen-Variante, aber auf jeden Fall ausgefallener. 3 Minuten soll die Rekordzeit betragen – wäre vielleicht mal ein Fall für „Wetten dass …“ Bei uns dauert das alles viel länger, bis wir endlich auf der anderen Seite einschweben. Bodenständig-witzig sind die Wirtsleute im Gasthaus Semmler, in dessen Biergarten wir den Abend nach einem Bummel im Abendlicht durchs Kloster Haydau ausklingen lassen.

Freitag, 16 Juli: Alt Morschen – Schlitz
Durch das Kloster Haydau verlassen wir Morschen Richtung Rotenburg. Der Weg führt angenehm dahin, die Sonne brennt schon wieder heftig. Rotenburg hat ja durch einen Kriminalfall fragwürdige Publizität bekommen, ist wegen seiner vielen Fachwerkhäuser einen Besuch wert. Vor Jahren haben wir mal in der „Gerichtsschänke“ ebenso originell wie bizarr übernachtet. Die Gaststätte gibt es noch, Zimmer werden derzeit nicht mehr vermietet. An der Brücke über die Fulda liest uns ein nettes älteres Paar („wir sind ja früher auch große Strecken geradelt; heute machen wir noch Tagesausflüge mit dem Rad“) den Abschnitt über die „Rotenburger Knaben“ des Bildhauers Ewald Rumpf vor. Ein paar Kilometer hinter der Stadt: böse Bremsenattacke bei einer Dopingprobe. Und dann wird auf dem landschaftlich sehr schönen Abschnitt vor Breitenbach vor Attacken von Raubvögeln gewarnt, die ihre Brut schützen. Da geht der Blick dann doch immer wieder mal etwas bang gen Himmelt. Aber die Raubvögel sind wegen der Hitze offenbar ebenso matt wie wir und verzichten auf eine hautnahe Begegnung. Wir nähern uns langsam Friedlos, wo der Radweg früher direkt an der B 27 besonders fried- und freudlos entlang führte. Die neue Streckenführung ab Mecklar ist zwar etwas länger, aber dafür ruhig durch Feld und Wald. Sie mündet in den Solztal-Radweg, mit dem man eine kurze Verbindung hinüber zur Werra nach Phillipstahl nutzen kann. Wir fahren aber nach rechts und landen irgendwann doch noch an einem unkomfortablen Radweg an der B 27, von dem wir nach endlos scheinendem Gestrampel endlich rechts ab Richtung Bad Hersfelder Innenstadt abbiegen können. Wahrscheinlich wäre es viel besser gewesen, vorher dem Radweg-Hinweis „Bad Hersfeld Bahnhof“ zu folgen. Die Proben für die Aufführungen der Festspiele in der Ruine der Stiftskirche sind leider nur zu hören, nicht zu sehen; die Ruine beeindruckt aber bereits mit ihrer schieren Größe. Auch der Weg hinaus aus der Stadt ist nicht ganz leicht zu finden, aber mit der Orientierung „Eichhof“ klappt es ganz gut. Der Ort gehört zu Bad Hersfeld, das Schloss gehört ebenfalls zu den Bühnen der Festspiele, mit dem Schwerpunkt Komödien. Im Landwirtschaftszentrum Eichhof beginnt kurz nach unserer Durchfahrt ein Seminar zum Thema ökologischer Gartenbau. Was ja auch mal ganz interessant wäre. Das wellige Gelände in Kombination mit Gegenwind strengt meine beiden Begleiter doch ziemlich an, aber eine Pause in Mengshausen, verkürzt und gewürzt durch launig vorgetragene Erläuterungen einer rüstigen Seniorin ("ich bin 80 Jahre alt, aber mir macht hier keiner was vor“) zum Ortsgeschehen. Der folgende Abschnitt ab Niederaula schient mir auch relativ neu und besser zu sein, jedenfalls erinnere ich mich daran, 2002 eine andere Strecke gefahren zu sein. Über uns rauschen ICE und A7 dahin, wir rauschen auf gut ausgebautem Radweg, so gut es die hitzegeplagten Waden noch vermögen, rasten noch einmal auf einer schattigen Bank und biegen kurz dem Ort mit dem schönen Namen Fraurombach ab nach Schlitz. Dort beziehen wir unsere Zimmer im putzigen Braustübchen, drehen noch eine Runde durch die Stadt inklusive Auffahrt zum Turm der Schachtenburg – ein Muss, denn von oben bietet sich ein herrlicher Blick über die Stadt und die Umgebung. Der Turmführer empfiehlt uns fürs Abendessen passenderweise das Braustübchen, und wer hockt dort beim Bier? Zwei Freunde aus dem Rhein-Main-Gebiet, die morgens in Bad Vilbel aufgebrochen zu einer einwöchigen Tour waren. So wird es ein kurzweiliger, mit vielen Radleranekdoten gewürzter Abend.

Samstag, 17. Juli: Schlitz – Merkenfritz
Die Nacht ist schwül, und die Hitze staut sich in den eigentlich ganz gemütlichen Kojen im Braustübchen. Gut angelegt der Radweg Richtung Lauterbach, wo sich die Schwüle schon im nächsten Ort, Bernshausen, in heftigem Regen mit Gewitter entlädt. Gut, wenn ein Bushäuschen in der Nähe ist. Nach zehn Tagen Dauersonne ist heute der Tag des unbeständigen Wetters, was im weitern Verlauf zu regelmäßigen Umkleidestopps führt. Der Weg ist weiter toll zu fahren, um Bad Salzschlirf (klingt für mich immer noch nach Inbegriff betulicher Kur-Kultur) herum, weil der Ort bei Nieselregen nicht für einen Stopp lockt, ehe man in Angersbach, drei Kilometer vor Lauterbach, noch einmal an die stark befahrene B 254 muss. Für den Abschnitt noch eine schöne Strecke einrichten, und es gibt eine perfekte Verbindung von Schlitz nach Lauterbach. Dort gibt es einen Metzger mit dem schönen Namen Otterbein, bei dem wir für die Mittagsvesper einkaufen. Die wird vorgezogen, weil es gerade mal wieder heftig regnet – im traumschönen Ambiente der Eichbergschule, aber immer im Trockenen. Der Vulkanradweg steigt hinter Lauterbach für kurze Zeit etwas kräftiger an, dann geht es moderat bergauf. Ein Feuersalamander sitzt seelenruhig mitten auf der Piste, und hätte uns ein anderer Radler nicht gewarnt, hätten wir ihn wahrscheinlich überfahren. Er lässt sich per Hand ins sichere Grün versetzen und krabbelt langsam davon. Wir passieren das schön gelegene Schloss Eisenbach, umfahren in weitem Rund Herbstein, auf das man kilometerlang blickt, ehe der Weg rund um Ilbeshausen eben wird oder sogar leicht abfällt. Das mäßige Wetter wirkt sich umgehend auf die gastronomische Versorgung aus: Wo sonst Bahnhöfe geöffnet haben oder Stände aufgebaut sind, ist heute nichts zu sehen. Kurz vorm Schlussanstieg nach Hartmannshain sehe ich dafür am Zaun des ehemaligen Bahnhofs Crainfeld ein bekanntes Gesicht: eine Freundin aus Frankfurt, die den Bahnhof vor Jahren gemeinsam mit ihrem Mann gekauft hat. Was für ein Zufall, was für eine Überraschung. Sie haben zu tun, denn der Sturm vor ein paar Nächten hat das Dach beschädigt. Eigentlich müsste man einen Besichtigungsstopp machen, aber wir sind in Merkenfritz verabredet und haben durch die Regenpausen schon viel Zeit verloren. Also hinauf nach Hartmannshain, was auf den letzten zwei, drei etwas steileren Kilometern erfahrungsgemäß etwas länger dauert. Umso mehr genießen wir die Abfahrt nach Ober-Seemen, wo man leider immer noch für ein kurzes Stück ein ehemaliges Werksgelände umfahren muss, und den weiteren Streckenabschnitt hinunter nach Gedern. Immer wieder treffen wir eine fidele Frauengruppe aus Fulda, die seit vielen Jahren eine gemeinsame Tour macht und heute noch bis Altenstadt kommen will. Für uns aber ist bereits Schluss in Merkenfritz, wo wir traditionell bei Freunden übernachten. Das haben wir, vom Vulkan- oder vom Südbahnradweg kommend, bereits häufiger gemacht und fühlen uns nach zwei Wochen auf dem Rad fast schon wieder daheim. Das Haus ist voll, die Gespräche abwechslungsreich, Essen und Getränke reichlich, die Hunde wollen („wo ist das Quietschi?“) ununterbrochen spielen – was für ein schöner letzter Tour-Abend!

Sonntag, 18. Juli: Merkenfritz – Frankfurt
Letzte Runde, nein, nicht in Mac’s Place, sondern auf der Radtour. Wir wissen: wir werden heute die 1.000-Kilometer-Marke knacken, und der Neffe wird stolz auf die mehr als 450 Kilometer sein, die er bei seiner ersten großen Tour im Sattel gesessen hat. Der Vorteil am Vulkanradweg Richtung Rhein-Main-Gebiet: Man rauscht zügig leicht bergab. Der Nachteil am Vulkanradweg Richtung Rhein-Main-Gebiet: Man rauscht zügig leicht bergab. Und weil es so schon rollt, macht man unterwegs zu selten Halt, um die Gegend zu betrachten und die Städtchen (Hirzenhain, Ortenberg, Lissberg, Glauburg) zu besuchen. Der Fluch des guten Radweges. Nicht mal am Forellenteich in Lissberg wird gestoppt, weil wir befürchten, dass den Fischen die Hitze bis Frankfurt nicht gut bekommt. Und so sind wir bereits nach einer Stunde ab Merkenfritz in Altenstadt. Über Höchst erreichen wir Eichen, wo sich immer wieder die Frage stellt: wie weiter in Richtung Frankfurt? Über Ostheim auf die Hohe Straße? Wir wählen diesmal die Variante Heldenbergen (bis dahin brauchbarer Weg) – Büdesheim (das Stück ist nicht so angenehm), dann links ab nach Kilianstädten (Radweg neben der Straße), im Ort rechts über Oberdorfelden (überflüssiger Radweg am Ortsanfang) und Niederdorfelden nach Gronau und dort auf den Niddaradweg. Das gute Wetter lockt viele Radler und Spaziergänger an den Fluss, wir gönnen uns ein letztes Eis in Bad Vilbel, biegen rechts ab Richtung Massenheim und erreichen nach 1.055 km in 17 Tagen (davon ein Ruhetag und eine Kurztour) und vielen großartigen Eindrücken in teils für uns neuen, teils schon bekannten Regionen unseren Frankfurter Stadtteil.
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#644917 - 10.08.10 21:02 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Christof]
Oldmarty
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Nette Tourbeschreibung ... bin im Juli den Vulkanradweg von Frankfurt nach Schlitz gefahren, aber an einem Tag.

Und hat der Neffe Geschmack auf Radreisen bekommen?
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#644968 - 11.08.10 07:42 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Oldmarty]
Christof
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In Antwort auf: Marxty
Nette Tourbeschreibung ... bin im Juli den Vulkanradweg von Frankfurt nach Schlitz gefahren, aber an einem Tag.

Und hat der Neffe Geschmack auf Radreisen bekommen?


Danke für Deinen Beitrag. Frankfurt - Schlitz in einem Tag traue ich mir auch noch zu, aber dann müsste ich ja an der schönen Privatpension in Merkenfritz vorbeifahren.

Und was Deine Frage angeht: Mal abwarten. Er war danach noch zehn Tage bei uns, hat das Fahrrad in der Zeit aber nicht mehr angefasst. Vielleicht, wenn wir ihm wieder eine Tour anbieten ...
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#645689 - 13.08.10 20:58 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Christof]
JimmiBondi
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Hallo Christof,

sehr schöner Reisebericht , und auch sehr ausführlich.
Bilder gibt es vermutlich keine ??

Der Bericht ist für mich sehr informativ , da ich im September u.a. auch den Leine-Radweg und auch den Börde-Radweg fahren will ( wenn auch in Gegenrichtung).

Ursprünglich hatte ich mehr an den "klassischen" R1 Radweg gedacht um von der Leine in Richtung Berlin zu kommen . Aber der Börde-Radweg klingt gar nicht so übel.

Das Risiko eines unbeschilderten, neuen Radweges ist mir natürlich schon klar.
Aber seit Weihnachten habe ich ja jetzt auch ein GPS..... schmunzel

Gruss
Markus
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#646061 - 15.08.10 19:30 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: JimmiBondi]
Christof
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Hallo, Markus,

danke für Deine Antwort. Börde-Radweg ist schon was Besonders, weil eben kaum befahren. Mir hat's Spaß gemacht, aber ich kann mir vorstellen, dass manch anderer die Landschaft als langweilig empfindet.

Der Leine-Radweg zwischen Kreiensen und Friedland ist, ich muss es so deutlich sagen, Mist und nur geeignet, schnell von Süd nach Nord (oder umgekehrt) zu kommen.

Fotos unserer Tour gibt's auch, und wenn ich mich mal erfolgreich mit der Technik des Hochladens beschäftigt habe, stelle ich ein paar ein.

Keep on rollin,
Christof
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#646563 - 17.08.10 08:20 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Christof]
Kathi Se.
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Hallo Christof,

nicht schlecht, die Strecke. Solltest du nochmal nach Waren fahren, kann ich dir lokaltechnisch den Klabautermann (Altstadt) empfehlen. Ich habe dort über Pfingsten super Fisch gegessen. Auch sonst ist es gastronomisch nicht sooo schlecht. Das mit den übergewichtigen tätowierten Menschen ist mir auch aufgefallen, allerdings waren wir am Vatertag dort...
Grüße
Kathi
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#647030 - 18.08.10 11:28 Re: Von Waren an der Müritz nach Frankfurt am Main [Re: Kathi Se.]
Christof
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Hallo, Kathi,

danke für den Tipp. Wir sind erst relativ spät in Waren angekommen und wurden von unserer netten Pensionswirtin direkt an die "Riviera" geschickt. Essen mit Blick aufs Wasser ist ja auch eine feine Sache. Für die gastronomische Qualität wäre die Altstadt aber wohl die bessere Gegend gewesen. Maybe next time.

Gruß,
Christof
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