28.5.2015

Heute werden wir die Loire erreichen. Entsprechend freudig packen wir unsere Sachen zusammen. Die Rezeption ist jetzt besetzt. Wir dürfen bezahlen. Die Frau des Hüters möchte raten, wo in Frankreich ich aufgewachsen bin. Sie könne es nicht einschätzen und sei normalerweise stolz darauf, das auf jeden Fall zu können. Ich gebe ihr einen Tipp. Nicht „aufgewachsen“, nur zeitweise in Frankreich gelebt. Nun will sie natürlich wissen, wo. Avignon. Oh Schreck. So spreche ich nicht. Ich kann das zwar halbwegs glaubwürdig imitieren, käme aber nie darauf, das in anderen Gegenden Frankreichs zu tun. Sie findet, ich hätte einen bretonischen Akzent. Das finden die meisten. Der norddeutsche Einschlag? Und wenn man wisse, dass ich deutsche sei, könne man deutlich erkennen, dass ich spräche „comme Romy Schneider“.

Weiter geht es die Sarthe entlang. Wir folgen teils der den Fluss begleitenden Nebenstraße, teils einsamen Feldwegen. Die Strecke ist ausgeschildert. Weniger als Sarthe-Radweg. Aber die Strecken zu den an der Sarthe liegenden Orten für Radler sind ausgewiesen. Die Straße ist nicht besonders befahren. Und die anderen Wege führen durch kleine Dörfchen und idyllische Landschaften. Alles ist sattgrün mit den bunten Tüpfeln der blühenden Feldblumen. Schön. Zumal bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Der Gegenwind ist da wie immer. Das haben wir nicht anders erwartet, da wir beständig Richtung Südwesten unterwegs sind. Aber ab Saint-Nazaire! Da geht es nur noch nach Osten bzw. Norden. Da werden wir auf der ganzen Strecke Rückenwind haben. Wir freuen uns schon drauf. In drei Tagen werden wir dort sein.

Die Strecke ist zwar schön, macht es uns aber nicht immer leicht, uns zu orientieren. Nebenflüsse erfordern lange Umwege. Dazu kommen Baustellen. Die Umleitungen sind für Radler indiskutabel umständlich. Wir umfahren also meist die Absperrungen. Ab und zu mal die Räder durch Baugruben zu tragen oder über Geröllfelder zu schieben, macht uns weniger aus. Die Arbeiter winken uns meist freundlich durch.

In einem kleinen Örtchen biegen wir seitwärts ab, weil dort ein Wegweiser steht in Richtung eines Aussichtspunktes. Schon das Dörfchen ist ganz reizend. Mit Schloss natürlich, in Privatbesitz mit vielen Verbotstafeln. Die Aussicht ist sehr eindrucksvoll. Man sieht über das weite Tal der Sarthe, die wir bisher selten gesehen haben auf die Abtei im nächsten Ort. Eigentlich suchen wir nach einem Plätzchen für ein Frühstück. Das finden wir hier nicht. Alles verboten. Zudem lockt uns die Abtei.

Zurück auf der Straße geht es nun steil abwärts. Die Abtei steht auf einem Felsen an der Sarthe. Den Radwegschildern folgend überqueren wir auf einer schmalen Brück die Sarthe nach Solesmes. Bereits in Sichtweite der Abtei Sainte Cécile. Ein Riesenkasten. Am schönsten vermutlich von außen. Was wir nicht überprüfen können, da man sie nicht besichtigen kann. Im Ort finden wir einen Bäcker. Und bald sitzen wir gemütlich an der Sarthe auf einem Picknickplatz. Mit Blick auf die Abtei natürlich.

Kurz hinter Solesmes liegt Sablé-sur-Sarthe. Ein etwas größerer Ort mit Einkaufsmöglichkeiten. Einem malerischen Hafen. Einer großen Kirche. Einer Burg hoch oben drüber. Und einer Altstadt. Wir gehen also zunächst einmal einkaufen. Wir wüssten gerne, wie der Radweg weitergeht. Weshalb wir nach der Touri-Info suchen. Es gibt ein paar Schilder. In Stadtmitte hören sie auf. Als wir fragen, wie es weitergeht, erfahren wir, dass sie oben an der Burg liegt. Wir sollen einfach die Treppen hoch. Und schon sind wir da. Da die Treppen Schieberinnen haben, schaffen wir uns samt Rädern hoch, um dort festzustellen, dass die Touri-Info erst in mehreren Stunden öffnen wird.

Die Touri-Karte mit dem Radweg, die wir gerne hätten, hängt allerdings im Schaukasten. So merken wir uns also soviel wie möglich, schieben unsere Räder über die Treppen wieder nach unten, überqueren die Sarthe und folgen weiter den Fahrrad-Wegweisern.
Das Tal ist hier eng geworden. Der Fluss fließt in einem tief in eine höher gelegene Ebene eingeschnittenen Tal. Folgerichtig geht es aus dem Ort heraus erst einmal steil nach oben. Am Golfplatz vorbei. Durch allerhand Wald. Auf schmalen Wegen oben entlang. Und schließlich runter in den nächsten Ort, der unten am Fluss liegt. Das wiederholt sich ein paarmal. Schön ist es hier. Und still. Wenn wir manchmal nicht so recht wissen, wo es lang geht, richten wir uns nach der begleitenden Bahnlinie.

Hinter Pincé trifft der Radweg auf die D 159 und folgt mit ihr zusammen der Bahnlinie. In Morannes sind wir mal wieder unten an der Sarthe und sitzen ein Weilchen am Fluss. Auch der Ort ist sehr einladend.

Étriché, Tiercé – wir kommen voran. Die D 52 ist jetzt stärker und stärker befahren. Angers kommt näher. Speziell an den Steigungen wird es unangenehm. Der Karte nach wird die Straße irgendwann zur Schnellstraße. Es ist laut, staubig, viele Lkws brettern an uns vorbei. In einem der Orte sehen wir auf einen Busplan und biegen dann an einer Brücke ab, um über einen ziemlich schlechten Weg auf eine weniger befahrene Parallelstrecke nach Angers zu wechseln. Es geht durch einen sumpfigen Wald und die Mücken lehren uns mal ordentlich das Fürchten. Anhalten, um mal auf die Karte zu gucken, fällt hier aus.
Im nächsten Ort finden wir die ersten Wegweiser in Richtung Centre und folgen ihnen. Wie immer dauert es lange, bis wir im dort ankommen. Vororte und Gewerbegebiete wechseln sich ab. Aber irgendwann sind wir in der Altstadt. Dort steigen wir ab und schieben durch die Fußgängerzonen. Eine belebte, schattige Innenstadt mit hübschen Lokalen. Wir setzen uns in ein Straßencafe und ruhen uns aus.

Angers liegt nicht an der Loire. Deshalb wollen wir hier nicht übernachten, obwohl es innenstadtnah einen Campingplatz gibt. Praktischerweise können wir uns jetzt wesentlich besser orientieren, da uns Bikeline Loire dabei hilft. Zusätzlich haben wir die EV6-Karten. Wir wollen von hier aus nach Saint-Nazaire weiter, aber auf dem Rückweg nicht mehr nach Angers kommen. Und so statten wir jetzt also der Kathedrale einen Besuch ab. Und umrunden auch das interessante Schloss an der Maine mit den auffälligen gestreiften Rundtürmen. Besichtigen können wir es nicht, da es bereits geschlossen ist.

Es ist schon nach 18 Uhr als wir die Maine überqueren, um an ihr entlang die Loire zu erreichen. Es geht durch einen ausgedehnten Erholungspark, der jetzt, nach Feierabend, entsprechend belebt ist. Es gibt Fußwege. Und Radwege, getrennt in Mountainbike und sonstige Wege. Häfen. Badestellen. Joggingrouten. Große Wiesen. Alles sehr schön gestaltet. Erst am Lac de Maine entlang, dann wieder am Fluss kommen wir nach Bouchemaine, also der Maine-Mündung in die Loire.

Wir bewundern die Loire, wie sie so breit und mächtig mit ihren vielen Sandbänken daliegt, möchten aber jetzt gern irgendwo zu Wiese kommen. Der eingezeichnete CP liegt gleich hier an der Mündung. Und Überraschung: Es ist ein Wohnmobilstandplatz. Dazu ein besonders hässlicher. Eine kahle Fläche. Ein vergammeltes Sanitärgebäude. Mist. Zwar gibt es auch ein Plätzchen für Zelte, für das wir ein Parkmärkchen ziehen könnten, das uns Zutritt ins Sanitärgebäude verschaffen würde. Aber hier ist es nicht schön. Ein Blick auf die Karte und Abreise. Jetzt die Loire entlang Richtung Atlantik.

Wir stellen fest, dass wir nunmehr auf einem vorbildlich ausgebauten und ausgeschilderten Radweg angekommen sind und freuen uns an dem Blick auf Loire und Bouchemaine. Nicht lange. Nach Passieren der Base nautique ginge es theoretisch ein Stück durch den Ort. Aber dort wird gefilmt. Nach Deko spielt der Film in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer schönen Kulisse. Aber: „Betreten verboten“. Wir dürfen hier nicht weiter. Während wir ein bißchen ziellos herumfahren und überlegen, wo es wohl weitergeht, kreuzen wir zufällig den Radweg und folgen ihm senkrecht nach oben. Da es inzwischen milde dämmert, fragen wir uns, ob wir wohl noch auf dem richtigen Weg sind. Es geht ordentlich nach oben. Durch ein Gebiet, in dem riesige Mücken herumsummen und gleich wieder genauso steil abwärts zurück an die Loire.

Ein kurzes Stück zwischen Fluss und Bahn entlang, die Bahn kreuzend nach Savennieres. Schon wieder ein ausnehmend hübscher Ort. Mit interessanter romanischer Kirche. Jetzt vermutlich geschlossen und Zeit haben wir auch nicht. Genauso wenig wie dazu, hier in reizender Umgebung ein Glas Wein zu trinken. Wieder geht es steil nach oben und über den Chemin de l’Aiglerie hinüber nach La Poissonière, dem Ort mit dem CP. Wir treten kräftig in die Pedale. Im Ort angekommen geht es bergab, den Camping-Schildern nach. Unter der Bahn durch. Und neben dem Yachthafen liegt der Campingplatz. Zwei Wohnmobile stehen drauf. Weiter hinten einige Zelte mit Klempnerautos. Eine Rezeption gibt es nicht. Ein kleines Sanitärhäuschen mit einem Anschlag zu den Gebühren. Alles ist neu und sauber. Ab und zu donnern Züge vorbei.