9.6.2015

Heute wollen wir ein ordentliches Stück vorankommen. Sehenswürdigkeiten kündigen sich nicht so an. Wir überqueren mal wieder die Loire. Am Ufer entlang geht es auf das nächste Kernkraftwerk zu. Erst auf befestigtem Weg, dann auf ziemlich schlecht befahrbarem. Ein Stück vor dem Kraftwerk biegen wir Richtung Belleville ab. Neben der Durchgangsstraße geht es sehr hübsch den Kanal entlang. Das erinnert uns an den Beginn unserer Reise. Auch auf diesem Kanal tuckern Urlauber-Schiffchen vor sich hin.

An der nächsten Kreuzung biegt der Radweg wieder ab Richtung KKW, um Kurs auf das dortige Informationszentrum zu nehmen. Darauf haben wir wenig Lust und beschließen, weiter der Straße und dem Kanal zu folgen. Das ist mal ein bißchen Abwechslung. Die Loire fließt jetzt nach Süden. Bzw. kommt uns aus dem Süden entgegen. Folgerichtig haben wir heute auch Südwind. Wie Passanten uns erklären, ein Wind, den es hier eigentlich nie gibt. Wir sind darauf mental schon irgendwie vorbereitet.

Die Straße entlang kommen wir zügig voran. Ab und zu gibt es nette Ausblicke auf den Kanal. Bald durchqueren wir Léré. Und bei Bannay treffen wir wieder auf den Radweg, der nun auch der Straße folgt. Langsam wird uns die Straße langweilig und so biegen wir Richtung Saint-Satur und Sancerre ab. Dazu geht es ordentlich bergauf. Der Doppelort sieht aber recht vielversprechend aus. Die Straße ist so schmal, dass es alternierenden Verkehr gibt. Das ist für uns immer relativ schwierig, da wir dabei die Autos aufhalten und es häufig in der Grünphase nicht schaffen, die Engstelle zu passieren. Aber diesmal erreichen wir heil und gesund die Kirche in der Ortsmitte. Nachdem wir sie uns angesehen haben, beschließen wir, doch wieder Richtung Loire zu fahren. Der starke Verkehr hier macht keinen Spaß und kostet Nerven. Also das ganze wieder rückwärts. Und runter geht natürlich immer schneller als rauf.

Der Radweg führt Richtung Saint-Thibault und biegt kurz vor der Brücke ab auf einen unbefestigten Dammweg. Nun geht es durch Felder mit viel Wasser im Blick. Neben der Loire gibt es Teiche und Seen. Sehr entspannend. Die meiste Zeit ist der Weg ganz gut zu fahren. Manchmal auch weniger. Wir legen Kilometer um Kilometer zurück. Orte gibt es nur in der Ferne. Irgendwann werden wir freudig begrüßt und sehen da ein Ehepaar mit zwei Fahrrädern und einem Anhänger – die kennen wir doch. Ja, die haben wir in Nantes getroffen. Sie sind vom Atlantik her aufgebrochen, wo sie wohnen und wollen auf dem EV 6 bis an den Rhein, dann weiter nach Hamburg. Wovor sie sich ein wenig fürchten, weil sie ausschließlich Französisch sprechen. Sie fuhren von Nantes aus nach Osten, wir nach Westen. Sie hatten also einige Tage Vorsprung. Jetzt haben wir sie wieder eingeholt. Sie sind gerade am Flicken. Und erzählen, dass das ihre Dauerbeschäftigung sei.

Wir fahren zusammen durch die weite Landschaft und klönen ein bißchen. Da vergeht die Zeit schneller. Und so überqueren wir gutgelaunt die Brücke über die Loire nach La Charité-sur-Loire. Auch dieser Ort sieht sehr hübsch aus, wie er da so am Ufer liegt. Drüben geht es in eine kurze Straße auf eine riesige Kirche zu, wo wir unsere Räder abstellen. Unsere Reisegenossen sind abgebogen, um Freunde zu besuchen. Wir setzen uns in ein Straßencafe. Das ist immer angenehm. Der Wind bläst ein bißchen ungemütlich.

Da sehen wir, wie 2 Ehepaare ihre Räder vor der Kirche zusammenketten. Das sind die Schweizer, die wir zwischen Nantes und Angers getroffen haben. Wir sind alle etwas überrascht über das Treffen. Die vier fahren mit äußerst sportlichen Rädern einen äußerst sportlichen Stil. Und dank des Wechselkurses können sie Frankreich sozusagen ohne weiteres aufkaufen und tun das auch. Es wird nur im besten Restaurant am Platze einkehrt und in möglichst hoch dekorierten Hotels abgestiegen. So auch hier: Wir setzen uns mit einem Baguette und etwas Käse auf eine Bank. Die anderen suchen das einzige Restaurant vor Ort auf, um sich zum Viergang-Menü zu setzen.

Wir besichtigen stattdessen die Kirche mit anhängendem Kloster. Von der Straße aus geht man durch ein riesiges Portal, das mal Eingang einer riesigen Kirche war. Heute geht in deren ruinösen Resten des gewaltigen Mittelschiffs der Ort weiter. Umflattert von Tauben, die es sinnvoll erscheinen lassen, einen Helm zu tragen. Der Kircheneingang in die immer noch sehr große Kirche ist weiter nach hinten gerückt. In der Kirche riecht es sehr feucht und muffig. An einigen Ecken stehen Baugerüste.

Hinter der Kirche steigt das Gelände stark an. Hier haben diverse Ausgrabungen stattgefunden. Im Moment klettert darauf eine Schulklasse herum. Eine weitere tobt im ehemaligen Kreuzgang. Von hier aus führt eine Tür in eine angrenzende Schule. Eine weitere bringt uns in das ehemalige Kloster. Wir finden ein umfangreiches Labyrinth. Viele Räume sind bereits instandgesetzt. Es gibt einen Gang mit Werkstätten und Läden, der allerdings etwas verlassen wirkt. Veranstaltungsräume in größerer Zahl. Auch verlassen. Und schließlich kommen wir wieder bei den Rädern vor der Kirche an.

Während wir zurück Richtung Brücke schieben, realisieren wir noch einmal (steht im Reiseführer), dass Charité das Zentrum des französischen Gebrauchtbüchermarktes ist. Jedes zweite Haus enthält ein Antiquariat. Zurück über die Brücke biegen wir gleich wieder auf einen unbefestigten Uferweg ein, um unser meditatives Radeln durch unendliches Grün wieder aufzunehmen. Den Blick auf die Loire mit ihren vielen Sandbänken, Inseln und Nebenarmen schätzen wir immer noch sehr. Wobei jetzt lange Strecken durch eine Sumpflandschaft oder einen Auenwald verlaufen, abseits vom Flussufer.

Irgendwann passieren wir Marseilles-lès-Aubigny und später liegt auf der anderen Flusseite Fourchamboul, wo es einen Campingplatz gibt und wir in den Vororten von Nevers angekommen sind. Für ein Nachtlager ist es aber noch viel zu früh. Und ins Zentrum von Nevers wollen wir auch nicht. Wir kennen es schon. Und es liegt weitab vom Radweg. Ab Nevers haben wir kein Bikeline mehr. Hier endet der Loire-Radweg, obwohl der EV 6 der Loire noch weiter folgt. Ab jetzt müssen wir unsere EV 6-Karten benutzen.

Wir verlassen jetzt das Loire-Ufer und wechseln auf den Treidelpfad des Canal Latéral de la Loire. Die Strecke fährt sich gut. Bald sind wir auf der Höhe von Cuffy und fahren weg vom Kanal zur Allier-Mündung in die Loire. Wir sehen von oben drauf herunter. Sehr eindrucksvoll. Beide Flüsse sind annähernd gleich breit. Hier oben gibt es eine Art EV 6-Denkmal. Und ab jetzt gibt es die gewohnte Loire-Radweg-Ausschilderung nicht mehr, sondern EV 6-Wegweiser. Mal mehr mal weniger.

Der Canal Latéral überquert den Allier auf einer Kanalbrücke. Wir gucken uns dort oben um und sehen zu, wie sich einige Schiffe hochschleusen lassen. Der Höhenunterschied ist beträchtlich. Wir hätten drüber schieben müssen, um weiterhin dem EV 6 zu folgen. Irgendwie haben wir das aber nicht verstanden und folgen der Straße. Schnell stellen wir fest, dass dies die Umgehungs-Schnellstraße um Nevers ist. Nicht wirklich etwas für uns und so nehmen wir die erste Ausfahrt und landen in Gimouille. Der Kanal, an dessen Ufer der EV 6 verläuft, hoch über unseren Köpfen. Irgendwo werden wir schon eine Auffahrt finden.

Erst einmal kurven wir im Ort herum. Dort begegnen wir an der interessanten, aber leider verschlossenen romanischen Kirche einer Gruppe deutscher Radler, die hier auf dem Bahnhof ihren Zug verlassen haben und nun bereits seit Stunden nach dem EV 6 suchen. Wir können ihnen helfen. Gerade sind wir an einem Wegweiser vorbeigekommen. Erleichtert machen sie sich in Richtung Atlantik auf.

Wir folgen nun weiter dem Kanal. Der Weg ist gut ausgebaut. Der Kanal mäandert als wäre er die Mosel persönlich. Hier sind viele Radfahrer aus Nevers unterwegs. Auch einige Wanderer mit Jakobsmuscheln am Rucksack. Wir unterqueren einige Brücken, auf denen das Leben tobt. Schließlich die Autobahn und ihre Zubringer. Irgendwann sind wir am Abzweig zum Campingplatz. Der lockt uns immer noch nicht. Wir fahren weiter.

Laut unserer Karte sollen wir hier den Kanal verlassen und zunächst einen kleinen Bogen bis Chevenon fahren. Danach nochmal dasselbe in größer über Saint-Parize-le-Chatel bis Fleury-sur-Loire. Das erinnert an den Moldau-Radweg. Steil hoch weg vom Flussufer, wieder runter, über die Brücke und das ganze von vorn. Erst einmal bis Chevenon. Dort ist ein Campingplatz eingezeichnet. Wir fragen die Radler in der Nähe, ob wir dorthin auch am Kanal entlang fahren können. Bis Chevenon auf jeden Fall. Steht auch auf einem Wegweiser. Danach kennen sie sich nicht mehr aus. Und die Einheimischen wissen auch nicht, ob es dort einen Campingplatz gibt.

Wir radeln also gemütlich am Kanal weiter. Es ist schattig. Ab und zu kommt eine Schleuse. Oder eine Brücke. Urlaubsboote fahren in beiden Richtungen. Etliche haben schon zur Übernachtung am Ufer angelegt. Das würden wir nun langsam eigentlich auch gerne. So sind wir froh, als wir an der Brücke nach Chevenon ankommen. Ein Boot legt dort gerade an. Der Ort liegt einiges höher und sieht nicht nach viel Infrastruktur aus. Einkaufen würden wir auch noch gerne. Schließlich finden wir den Dorfladen. Dort versichert man uns verbindlich, dass es den Campingplatz nicht mehr gibt. Wir müssen weiter bis Décive. Das ist noch ein ordentliches Stück. Immer am Kanal entlang immerhin.

Im Laden treffen wir einen jungen Franzosen. Er will ans Schwarze Meer. Mit komplett ladenneuer Edelausstattung. Wild campend. Er will sich jetzt bald ein Eckchen am Kanal suchen. Er macht sich Sorgen wegen des Donau-Radwegs. Ich möchte wissen, wovor genau und erwarte Geschichten von wilden Straßenhunden und ähnliches. Aber nein. Er hat Angst vor Bayern. Vor den Menschen, die kein Französisch sprechen. Und den entsetzlichen Gewittern dort.

Abwärts Richtung Kanal kommen uns die Leute aus dem Schiff entgegen, das unten angelegt hat. Sie suchen ein Restaurant. Wir biegen wieder auf den Radweg am Kanal ein und machen uns auf den Weg. Ein Stückchen weiter baut drüben am Ufer unsere neue Bekanntschaft ihr Zelt auf. Wir folgen weiter dem Kanal. Ich zähle die Schleusen und Brücken und versuche zu raten, wieviele davon es pro Kilometer gibt. Der Weg zieht sich. Es ist schon spät. Wir sind müde. Wir passieren Fleury und Avril-sur-Loire. Und irgendwann kommt Décize in Sicht. Wir verlassen den Kanal und radeln Richtung Zentrum, immer auf der Suche nach einem Camping-Schild. Wir müssen uns aber durchfragen. Jedenfalls existiert der Platz. Er ist groß und schön dämmrig wegen der vielen Bäume. Gras ist kaum zu finden.

Die Rezeption hat natürlich schon geschlossen. Daneben gibt es Gemeinschaftsräume und eine Küche. Hier sitzen viele Camper. Sie erklären uns, wir dürften nicht auf den Platz, ohne dass Madame uns genau angibt, wo wir hindürfen. Wo sie ist, weiß keiner. Wir schieben also unsere Räder am geschlossenen Schlagbaum vorbei. Und schon ruft sie uns zu ihrem MobilHome. Wir sollen uns irgendwo niederlassen und morgen vorbeikommen.

Wir zelten also „irgendwo“ und gehen duschen. Die Sanitäranlagen sind neu und überraschend komfortabel. An anderem – außer einem Abendessen – haben wir kein Interesse mehr.